Guido Crepax ist sicherlich ein sehr streitbarer Künstler, keine Frage. Unbestritten ist aber, dass er in manchen Dingen Meilensteine gesetzt hat: Mit seinen ab Mitte der 1960er Jahre erschienenen erotisch gefärbten Zeichnungen war er einer der Vorreiter europäischer Erwachsenencomics. Dabei setzte er stark auf dem filmischen Bereich entlehnte Perspektiven, Effekte und Bildkompositionen. Während er zu Beginn seiner Karriere mit Eigenkreationen von weiblichen Hauptcharakteren wie „Valentina“ oder „Bianca“ arbeitete, beschränkte er sich in der Spätphase seines Schaffens überwiegend auf die Umsetzung bekannter Schauerklassiker. Gleich vier davon versammelt der Splitter-Verlag in dieser großformatigen Hardcover-Ausgabe. „Dr. Jekyll & und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson, „Die Drehung der Schraube“ von Henry James, Kafkas „Der Prozess“ und Mary Shelleys „Frankenstein“, die überwiegend in den späten 1980er Jahren entstanden respektive erschienen sind, Kafka und Shelley sogar erst in den Jahren 1999 und 2002 (Crepax starb 2003 im Alter von siebzig Jahren). Die weirde Mischung von – gefühlt ständig unbekleideten – 1960er-Jahre-Püppchen mit Schmollmund, Cat Eyes und diversen anderen Klischees, gepaart mit in den 1980ern wieder sehr angesagten Art-Déco-Stilelementen macht die schwarzweißen Zeichnungen dabei auch gleich zu einer ziemlich grotesken Zeitgeistdokumentation. Ob es dabei wirklich so viel nackte Haut braucht? Immerhin kommt „Der Prozess“ nahezu ohne aus. Wer Schwarzrollkragen-Avantgarde mit surreal-absurdem Einschlag und reichlich wohlgeformten Frauenkörpern mag, wird hier jedenfalls bestens bedient.