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DIE UNBEKANNTE

Ich muss gestehen, dass ich das überschaubare Werk Giuseppe Tornatores bisher immer nur aus sicherer Entfernung betrachtet hatte. Der Mann besaß zu sehr den Anruch von drögem Kunstkino, selbst wenn er in UNA PURA FORMALITÀ Gérard Depardieu und Roman Polanski in einer Art Thriller aufeinander treffen ließ.

Auch DIE UNBEKANNTE (LA SCONOSCIUTA) ist in gewissem Sinne ein Thriller, Tornatores erster Film seit MALÈNA von 2000, eine lange Pause, die ja oftmals einhergeht mit einer allzu großen Erwartungshaltung, die hier aber nicht enttäuscht wird.

Wie der Titel schon andeutet, geht es hier um eine Frau unbekannter Herkunft, die in einer nicht näher bezeichneten italienischen Stadt auftaucht und sich als Putzfrau bei einer Juweliersfamilie mit kleiner Tochter einschleicht.

Seltsamerweise schleppt sie große Mengen Bargeld mit sich herum und dennoch lässt ihr verbissenes, zielgerichtetes Handeln eigentlich nur den Schluss zu, dass sie es auf das Geld der Familie abgesehen hat.

Oder etwa doch nicht? In Rückblenden bekommt der Zuschauer häppchenweise Details aus dem bisherigen Leben dieser Frau geliefert, die offenbar in ihrer alten Heimat, der Ukraine, als Sexsklavin gehalten wurde, eine Vergangenheit, die sie irgendwann auch wieder einholt.

Tornatore wäre nicht Tornatore würde er dem Zuschauer hier einen x-beliebigen Thriller präsentieren, sein Film ist vielschichtiger angelegt, und so entsteht über erstaunlich kurzweilige, knappe zwei Stunden ein virtuos inszeniertes Spiel aus Genrekonventionen, Drama und Sozialkritik mit exzellenten Darstellern, bei dem das düstere Geheimnis der im Mittelpunkt stehenden Frau bis zum Ende bewahrt wird.

Das mögen manche Leute vielleicht als extrem kitschig empfinden, aber ist durchaus konsequent. Denn Tornatore geht es in erster Linie um die Tragik seiner Hauptfigur und eben nicht um einen Krimi-Plot, was eine der vielen falschen Fährten ist, die er für den Zuschauer auslegt.

Langweilig ist DIE UNBEKANNTE nie und besitzt sogar einige erstaunlich verstörende, brutale Szenen. Für deren Wirkung ist sicherlich auch Michele Placidos dämonische Performance verantwortlich, der den ehemaligen Zuhälter der Unbekannten spielt und mit Glatze und seltsam aufgequollenem Gesicht kaum wiederzuerkennen ist.

Die Musik stammt von Ennio Morricone, der nicht das erste Mal mit Tornatore zusammenarbeitet. Der zitiert vor allem in der ersten Hälfte überdeutlich und fast etwas aufdringlich Bernard Herrmann, bis seine Kompositionen dann allzu kitschig werden.

Ein exzellenter Film, seit Mitte November auf DVD erhältlich, sogar mit einem Audiokommentar des Regisseurs versehen – und zur Abwechslung auch mal untertitelt.