Irgendwann in Peter Medaks True-Crime-Biopic DIE KRAYS meint jemand zu den Zwillingsbrüdern Ronnie and Reggie Kray: "I love London - it's so wonderfully dirty. And The Beatles - I adore The Beatles. You know The Beatles?" Worauf Reggie "No" sagt und Ronald meint: "I believe they know us." Denn die berühmt-berüchtigten Brüder Kray waren in den 60ern so was wie die Popstars der dortigen Unterwelt - Ronnie war darüber hinaus schwul, als das in England noch unter Strafe stand - und verkehrten als Nachtklubbesitzer mit Diana Dors, Frank Sinatra, Judy Garland und Politikern, eine Form von Bekanntheitsgrad, der ihnen ebenfalls Auftritte im Fernsehen bescherte.
Insofern durchaus passend, dass sie in DIE KRAYS von den Ex-Spandau-Ballet-Mitgliedern Martin und Gary Kemp verkörpert werden. Gleichzeitig dominierten sie das Organisierte Verbrechen in Londons East End und waren berüchtigt für ihre Brutalität, bis sie schließlich 1968 verhaftet und vor Gericht gestellt wurden.
Basierend auf dem Drehbuch von Philip Ridley (Regisseur von THE REFLECTING SKIN und THE PASSION OF DARKLY NOON) bemüht sich Medak in DIE KRAYS um eine umfassende Aufarbeitung des Lebens der Krays, soweit das in 115 Minuten eben möglich ist, angefangen mit ihrer Kindheit und der fast ödipalen Beziehung zu ihrer Mutter, die die beiden während des 2.
Weltkriegs im rauen Londoner East End alleine großziehen musste, weil der Vater als Deserteur auf der Flucht war. Ein ausgeprägter Working Class-Background, der sie dann auch zum Amateurboxen brachte.
Medak spart dabei nicht mit ungeschönter Gewalt - weshalb die aktuelle ungeschnittene deutsche DVD auch noch das "keine Jugendfreigabe"-Siegel ziert. Vor allem hinsichtlich der berüchtigten "Chelsea Smile"-Szene, als Ronnie Kray jemandem den Mund von einem Ohr zum anderen aufschlitzt, was aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln gefilmt wurde, wobei nur die harmlosere Variante den Segen der englischen Filmbewertungsstelle BBFC erhielt.
Aber in erster Linie geht es Ridley und Medak um die besondere Beziehung der beiden Brüder zueinander und ihrer völlig unterschiedlichen charakterlichen Eigenschaften - während Reggie mit Verstand und Besonnenheit arbeitete, zeichnete sich Ronnie durch psychopathische Gewaltausbrüche aus -, weshalb manche Leute kritisch anmerkten, dass beide viel zu menschlich dargestellt und ihre brutalen Taten verherrlicht würden.
DIE KRAYS ist überwiegend eine ruhig erzählte Charakterstudie und weniger ein actionreicher Gangsterfilm, sehr schön von Kameramann Alex Thomson (YEAR OF THE DRAGON, EXCALIBUR) bebildert, und versehen mit gelegentlichen heftigen Gewaltschüben.
Letztendlich krankt er aber wie alle Biopics daran, dass er nicht die komplette Geschichte der Krays erzählen kann - die zum Zeitpunkt der Entstehung des Films beide noch lebten - und sich auf Schlüsselereignisse beschränken muss, was nicht minder faszinierend ist.
Auf der deutschen DVD ist auch die TV-Doku "Flesh and Blood: The Story of the Krays" enthalten, die quasi die Lücken schließt, die im Film offen geblieben waren und so zu einem kompletteren Gesamteindruck führt.
Außerdem gibt es noch einen interessanten Audiokommentar von Peter Medak und den Kemp-Brüdern, der leider ebenso wenig deutsch untertitelt ist wie der Hauptfilm und die Doku, was alleine schon aufgrund des ganzen im Hauptfilm gesprochenen Cockney-Slangs sinnvoll gewesen wäre.
Die auf der englischen Special Edition enthaltene zusätzliche Doku "The Krays: The Final Word" ist ebenfalls nicht enthalten. Neben ROMEO IS BLEEDING und LET HIM HAVE IT ist DIE KRAYS sicher eines der besten Werke von Medak, dem allerdings irgendwas fehlt, um ihn zu einem wirklich großartigen Film zu machen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #76 Februar/März 2008 und Thomas Kerpen