Im letzten Jahr gewann Laurent Cantets ENTRE LES MURS die Goldene Palme in Cannes, was für Verleiher natürlich eine schöne Sache ist, aber nicht unbedingt etwas über die Qualität des Films aussagt, der sich auch mal schnell als einer dieser Programmkinostinker für Gymnasiallehrer entpuppt.
Ob gerade Lehrer mit ENTRE LES MURS so viel Spaß haben werden, sei mal dahingestellt, denn Cantet zeigt unangenehm realistisch, mit welchen Problemen dieser Berufszweig zu kämpfen hat, vor allem wenn es sich um eine Art Sozialer-Brennpunkt-Schule mit extremer multikultureller Mischung handelt.
Und wer will schon gerne einen Film über etwas sehen, mit dem er sich schon den ganzen Tag herumplagen muss? An dieser Pariser Schule versucht der Lehrer François (François Bégaudeau, der das Drehbuch und die Romanvorlage schrieb) Teenagern zwischen 13 und 15 Jahren Französisch beizubringen.
Eigentlich handelt es sich hier um einen Vorzeigepädagogen, der wirklich auf seine Schüler eingeht, aber irgendwann auch an eine kritische Grenze gelangt. Mit zwei Stunden eine recht epische Angelegenheit, zumal es sich bei ENTRE LES MURS überwiegend um eine Aneinanderreihung vom Klassenraum-Szenen handelt, zusammengehalten durch einen bestimmten Schwarzen Jungen, dem die Anpassung besonders schwer fällt und der schließlich mit ungewisser Zukunft von der Schule verwiesen wird.
Dennoch ein recht fesselnder Film, den Cantet mit dokumentarischem Touch versehen kann und der nötigen Authentizität. Das hier ist kein BREAKFAST CLUB, sondern das echte Leben, auch wenn die Lehrer insgesamt zu positiv wegkommen, an dieser Stelle wirkt ENTRE LES MURS etwas unausgewogen.
Wobei ja auch Lehrer in gewisser Weise Opfer eines unangenehm bürokratischen Schulsystems sind beziehungsweise der Tatsache, dass der Staat von Jahr zu Jahr immer weniger in die Bildung der Jugend investiert.
Am Ende stellt sich nur die Frage, wo denn bei allem Realismus jetzt die eigentliche Message ist, denn letztendlich besitzt das Gesehene keine weiterreichenden Konsequenzen, niemand hat sich wirklich verändert oder hat eine Veränderung am Status Quo herbeigeführt, und im nächsten Schuljahr geht alles von vorne los – DIE KLASSE TEIL 2.
Dennoch taugt ENTRE LES MURS durchaus dazu, Denkanstöße bezüglich der Vermittlung von Wissen und dem Miteinander in einer multikulturellen Gesellschaft zu geben, ebenso wie das Hinterfragen der Funktionsweise von extrem autoritären Systemen dieser Art, da die Szenerie und Gruppendynamik in Cantets Film eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzt und im Prinzip in jedem Klassenraum dieser Welt vorzufinden ist.
Zur Abwechslung hatte ich mir DIE KLASSE mal komplett auf deutsch angeschaut, empfand die Synchronisation zwar nicht als völlig misslungen aber oftmals aber als zu aufdringlich, zumal natürlich auch bestimmte sprachliche Feinheiten bezüglich des kulturellen Mischmaschs in der Originalfassung akzentuierter zur Wirkung des Films beitragen.
Eine angenehm lebensnahe und lebendige Regiearbeit und kein manierierter französischer Kunstfilmquark, was als Empfehlung eigentlich reichen sollte.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #85 August/September 2009 und Thomas Kerpen