Die Veröffentlichung dieser Box mit den Frühwerken des inzwischen 85-jährigen chilenischen Regisseurs Alejandro Jodorowsky geht einher mit der erfreulichen Nachricht, dass dieser nach 23 Jahren mit „The Dance Of Reality“ wieder einen neuen Film gedreht hat.
Die Ironie dabei ist, dass ausgerechnet ABKCO, die Firma des 2009 verstorbenen BEATLES-Managers Allen Klein, der amerikanische Verleiher des Films ist. Denn Klein hatte bereits 1973 auf Anraten von John Lennon, der Jodorowskys „El Topo“ (1970) gesehen hatte und schwer davon begeistert war, dessen nächsten Film „The Holy Mountain“ produziert und gleich auch noch die Rechte an „El Topo“ erworben.
Das führte letztendlich dazu, dass beide Filme für die nächsten 30 Jahre von Klein aus dem Verkehr gezogen wurden und nur als Bootlegs in schlechter Qualität kursierten – die Vorlagen stammten offenbar oft von Jodorowsky selbst –, allerdings in Japan auf Video und Laserdisc mit exzellentem Bild und Ton veröffentlicht wurden.
Grund für diesen jahrelangen Rechtsstreit, wegen dem Jodorowsky in Interviews kein gutes Haar an Klein ließ, war die Weigerung des Chilenen, eine Adaption des Bestseller „The Story Of O“ umzusetzen – aufgrund des großen Erfolgs von Pornos wie „Deep Throat“ beim Mainstreampublikum Anfang der Siebziger –, der dann letztendlich 1975 vom Franzosen Just Jaeckin verfilmt wurde.
Zwar drehte Jodorowsky mit „Tusk“ (1978), „Santa Sangre“ (1989) und „The Rainbow Thief“ (1990) noch weitere Filme, wandte sich aber schließlich enttäuscht vom Filmgeschäft ab und betätigte sich vor allem als Comic-Autor, wo er seine Ideen weitestgehend ungehindert umsetzen konnte, auch wenn Gerüchte über neue Filmprojekte in den letzten Jahren immer wieder die Runde machten.
2004 konnten Jodorowsky und Klein ihren langjährigen Disput dann tatsächlich doch noch beilegen. 2007 wurden dann fast zeitgleich in den Staaten und England Boxen mit „El Topo“, „The Holy Mountain“ und „Fando y Lis“, Jodorowskys Spielfilmdebüt von 1968, veröffentlicht.
Ebenfalls enthalten waren die Soundtracks zu „El Topo“ und „The Holy Mountain“, neben Jodorowskys erstem Kurzfilm „La Cravate“, sowie „La Constellation Jodorowsky“, einer 86-minütigen Dokumentarfilm über den Regisseur.
Außerdem hatte Jodorowsky zu „El Topo“, „The Holy Mountain“ und „Fando y Lis“ Audiokommentare eingesprochen. Die Veröffentlichung von Bildstörung entspricht im Prinzip den bisherigen im Ausland, mit dem Unterschied, dass „El Topo“ und „The Holy Mountain“ jetzt auch mit deutscher Tonspur erhältlich sind.
Außerdem sind beide Filme ebenfalls auf Blu-ray erschienen und sehen wirklich fantastisch aus – „Fando y Lis“ gibt es weiterhin nur auf DVD. Während „The Holy Mountain“ hierzulande nur kurz im Kino lief, gab es von „El Topo“ sogar eine Videoveröffentlichung, die allerdings um knapp vier Minuten gekürzt war.
Dennoch war der Film bis 2012 indiziert, mit der idiotischen Begründung, dass er nur aus einer Aneinanderreihung von Brutalitäten grausamster Art bestehen würde. Aber vielleicht lag es auch daran, dass der damalige Verleih VCL versucht hatte, den Film als Italowestern zu vermarkten, denn zum Beispiel wird Hauptdarsteller Jodorowsky von Klaus Kindler gesprochen, der Stimme von Franco Nero und Clint Eastwood.
Bevor „El Topo“ allerdings überhaupt hierzulande wahrgenommen wurde, war er der erste einer Reihe von Filmen – darunter Waters’ „Pink Flamingos“, „The Rocky Horror Picture Show“ oder Lynchs „Eraserhead“ –, die in den Siebzigern in den Staaten bei Kino-Spätvorstellungen gezeigt wurden und dadurch ihren Kultstatus bekamen, ein wichtiger Faktor für Jodorowskys späteren Bekanntheitsgrad.
Von Jodorowskys Filmen macht man sich am besten selbst ein Bild, denn dessen Frühwerke sind provokante, subversive und surreale Selbstfindungstrips mit starker spiritueller Note, möglicherweise als Folge halluzinogener Substanzen, die weit über die sonstigen Konventionen kommerziellen Kinos hinausgehen.
Und deren extreme visuelle Reizüberflutung sie zu einer einzigartigen, nicht immer leicht verdaulichen Erfahrung macht.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #113 April/Mai 2014 und Thomas Kerpen