Mikael Ross ist wirklich das Chamäleon des deutschen Comics, es ist nie vorhersehbar, in welche Richtung er als Nächstes steuert. War „Der Umfall“ noch eine aus der Sicht eines jungen Mannes mit geistiger Beeinträchtigung geschriebene Alltagsgeschichte, widmete er sich in „Goldjunge“ Beethovens Jugendjahren und taucht nun in „Der verkehrte Himmel“ in eine schräge Mischung aus Kiezstudie, Coming-of-Age-Geschichte und Krimi in die Welt zweier vietnamesisch-stämmiger Berlin-Lichtenberger Geschwister ab. Dabei treffen einige auf den ersten Blick ziemlich unvereinbare Gestalten wie eine kampfsporterpobte junge Frau, ein viet-deutscher jugendlicher Metalhead, eine alkoholabhängige, in einer Gartenlaube gestrandete alte Schauspielerin, eine wilde Grundschul-Rollerblademädelscrew oder eine unter falschen Versprechungen nach Europa gelockte Vietnamesin auf einen Außenseiter mit Agentenambitionen und eine brutale Verbrecherbande. Klar ist das manchmal zwar leicht over the top und sicherlich nicht immer ganz klischeefrei, aber das tut dem enormen Schwung der Geschichte keinen Abbruch. Ross’ in Halbtonrastereffekt und ganz selten auch ein bisschen Farbe getauchte Schwarzweiß-Zeichnungen erinnern dabei stark an leicht europäisierte Mangas. Dass er im Vorwort der japanischen Zeichnerin Maki Shimizu (Wahlheimat: Berlin) dankt, hat sicherlich seine Gründe. Das Ende (Spoileralarm) lässt Ross offen, allerdings nicht unbedingt mit einem klassischen Cliffhanger, vermutlich bleibt es also bei diesem einen Band. So oder so liest sich „Der verkehrte Himmel“ flott runter und bleibt bis zum Schluss eine mit einigen unerwarteten Wendungen gespickte, spannende Angelegenheit.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #176 Oktober/November 2024 und Anke Kalau