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DER ELEFANTENMENSCH

Was macht eigentlich David Lynch gerade? Glaubt man dem Dokumentarfilm DAVID WANTS TO FLY von David Sieveking, offenbar nichts Gescheites. Sieveking, der eigentlich nur ein paar Tipps von seinem Idol bekommen wollte, wie man schräge Filme dreht und sich deshalb mit Lynchs Ersatzreligion „Transzendentale Meditation“ und den Lehren eines gewissen Maharishi Mahesh Yogi beschäftigte, wurde in Folge tragischerweise mit einem an fortgeschrittener Gehirnerweichung leidenden Weltverbesserer konfrontiert.

Lynch, der ja schon immer ein bisschen seltsam war, hat inzwischen wohl komplett jegliche Bodenhaftung verloren und konzentriert sich auf den Verkauf von Heils- und Glücksversprechen als Leithammel einer sektenartigen Gruppierung, die auf dem Teufelsberg in Berlin einen „Turm der Unbesiegbarkeit“ errichten will.

Eigentlich zum Lachen das Ganze, wenn es nicht so traurig wäre, denn schließlich hat Lynch in seiner Karriere einige wirklich wegweisende Filme gedreht. Dieser Unfug erklärt vielleicht auch, warum sein letztes Werk INLAND EMPIRE so ein katastrophaler Mist war, insofern stehen die Chancen schlecht, dass der Mann noch mal zu alter Form aufläuft.

Dann kann er ja demnächst zusammen mit Ken Russell in dessen Vorgarten mit Aufblas-Dinosauriern im Zustand vollkommener Glückseligkeit fünfstündige Epen über das „Yogische Fliegen“ drehen.

Muss man sich halt mit seinen bisherigen Werken begnügen, wie etwa dem großartigen THE ELEPHANT MAN. Sein zweiter Film direkt nach dem Underground-Kultstreifen ERASERHEAD, der jetzt noch mal neu auf DVD veröffentlicht wurde – falls ihn jemand noch nicht besitzen sollte.

Für Lynch war THE ELEPHANT MAN damals ein echter Glücksfall. Denn hätte er in einem jungen Produzenten, der für Mel Brooks arbeitete, nicht so einen starken Fürsprecher gehabt, wäre er wohl niemals für ein Studio wie Paramount als Regisseur für einen Film dieser Größe in Frage gekommen, mit renommierten Darstellern wie Anthony Hopkins, John Hurt, Anne Bancroft und John Gielgud.

Und dann auch noch in schwarzweiß gedreht. Brooks wusste ebenfalls zu verhindern, dass die üblichen trotteligen Studiobosse Lynchs Vision irgendwie verwässern konnten, die die wenigen Dinge in THE ELEPHANT MAN eliminieren wollten, die noch an ERASERHEAD erinnerten.

Der wurde dann sogar für acht Oscars nominiert, ging aber leider leer aus. Wenn man Lynch glauben darf, müssen die Dreharbeiten für ihn aber ein fortwährender Albtraum gewesen sein, was man in Chris Rodleys äußerst empfehlenswerten Interview-Buch „Lynch On Lynch“ nachlesen kann – näher kann man diesem ehemals brillanten Regisseur nicht kommen.

Umso bemerkenswerter ist, dass THE ELEPHANT MAN bis zum heutigen Tage nichts von seiner Intensität eingebüsst hat und zu Recht als Meisterwerk gilt. Ein düsteres Abbild des Viktorianischen Zeitalters und der Folgen der Industriellen Revolution, gekoppelt mit einer menschlichen Tragödie.

Was wie ein klassischer Horrorfilm beginnt, entwickelt sich immer mehr zu einem herzzerreißenden Drama über einen fürchterlich entstellten Menschen, der darum kämpft, mehr als nur die Attraktion einer Freakshow zu sein, was ihm durch sein extremes Äußeres aber fast unmöglich gemacht wird („I am not an elephant! I am not an animal! I am a human being! I am a man!“).

John Hurt ist unter der beeindruckenden Maske von John Merrick nicht mehr zu erkennen, und wer diese für übertrieben hält, muss sich nur die Fotografien des echten „Elefantenmenschen“ anschauen, von dessen Körperteilen noch Gipsabdrücke existierten, die als Vorlage dienten.

Faszinierend ist dabei generell, wie sensibel sich Lynch dabei seiner Figur annähert, die erst durch Kleidung komplett verhüllt wird oder im Schatten aus sicherer Entfernung kaum erkennbar ist, beziehungsweise von einer dünnen Trennwand verdeckt wird, so dass man nur seine grotesken Umrisse erkennen kann.

Bis zum schockierenden Moment, als man Merrick völlig unmaskiert sieht, erst nur in der Totalen, um das Publikum langsam an ihn zu gewöhnen, später dann auch in Großaufnahmen, die die Menschwerdung des „Monsters“ abschließen, der am Ende auch noch so etwas wie wahre Zuneigung und Glück erfahren darf.

Ein Film, der sicherlich auch stark durch Tod Brownings FREAKS von 1932 beeinflusst wurde, einer der wenigen Horrorfilme mit humanistischer Botschaft und unangenehm realistischer Dimension.

Denn die Attraktionen der im Mittelpunkt stehenden Freakshow waren tatsächlich entstellte Menschen, was Brownings Film nur am Rande zu einem typischen Horrorfilm machte. So wie auch Lynch in THE ELEPHANT MAN vertraute Elemente des Genres einsetzt, um letztendlich eine wesentlich tiefgründigere Geschichte zu erzählen.

Als Bonus auf der DVD gibt es zwar nur eine kurzes Feature über den echten Elefantenmenschen, das aber wirklich informativ ist, ansonsten steht dieser Film für sich, der auf der Liste meiner Lieblingsfilme ganz weit oben zu finden ist.