Am 8. Dezember 1980 erschoss ein gewisser Marc David Chapman John Lennon vor dem Dakota Building in New York, in dem das ehemalige Mitglied der Beatles zu dieser Zeit mit Yoko Ono und Sohn Sean wohnte.
Diese Nachricht wirkte damals umso schockierender, da Lennon ja ein vehementer Verfechter von „Love, peace and understanding“ war, ein musikalisches Genie, das eigentlich nur der ganzen Menschheit Frieden schenken wollte, zumindest durch seine Musik.
Warum sollte man also gerade so jemand umbringen wollen? Eine eindeutige Antwort gibt es darauf nicht, denn Chapman war letztendlich ein Mensch mit schweren psychischen Problemen, und wurde deswegen auch in einer Nervenheilanstalt behandelt, hinzu kamen Drogenabhängigkeit und eine verquere Hinwendung zum christlichen Glauben.
Kurz gesagt war Chapman ein übergewichtiger Spinner mit Minderwertigkeitskomplexen, der sich aus einer früheren noch ehrlichen Begeisterung für die Beatles heraus Lennon als Opfer auserkoren hatte, um sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen. Wie der 55-Jährige, der nach der Ablehnung diverser Gnadengesuche immer noch im Knast sitzt, erst kürzlich noch betont hatte, fiel die Wahl sogar recht willkürlich auf Lennon, denn Chapman hatte eine ganze Liste von potenziellen Mordopfern aufgestellt.
Letztendlich ging es nur um Chapman selbst, der durch diese Tat sein Selbstwertgefühl stärken und sich vom Stigma des Niemands befreien wollte. Wie es zu der Tat selbst kam, ist erstaunlich detailreich dokumentiert, etwa dass Chapman vorher noch Lennons LP „Double Fantasy“ kaufte und eine Ausgabe des Romans „Der Fänger im Roggen“ von J.D.
Salinger, der für ihn eine ganz besondere Bedeutung hatte, da er für ihn die Aufforderung darstellte, eine Berühmtheit töten zu müssen. Wie gesagt, Chapman war und ist ein schizophrener Spinner, der über die Jahre immer neue Versionen seiner Geschichte präsentierte.
Jarrett Schaeffer, bisher ein unbeschriebenes Blatt als Regisseur, machte aus diesen an sich recht unspektakulären Ereignissen bereits im Jahr 2007 einen Film, in dem es weniger um eine umfassende Aufarbeitung von Chapmans Biographie geht, als um eine akribische Dokumentation der letzten Stunden vor der eigentlichen Tat, ohne irgendwelche analytischen Tendenzen.
Für viele amerikanische Kritiker ein recht witzloses Unterfangen, wenn ihnen dabei eine echte Message fehlt. Aber gerade das macht die Qualität von CHAPTER 27 aus, der in fast dokumentarischer Manier Chapman (gespielt von Jared Leto) begleitet und dabei auch sehr beeindruckend dessen Widersprüchlichkeit zeigt und sein Ringen mit sich selbst („I knew I was gonna do something big, I just didn’t know if it was good or bad.“), denn dass Lennon an diesem Abend starb, war eher ein unschöner Zug des Schicksals und schlechtes Timing.
Und so steht hier im Mittelpunkt Jared Letos fantastische Performance, die eine dermaßen absorbierende Faszination besitzt, die man nur selten in einem Film geboten bekommt. Leto wird tatsächlich zu Chapman und legte für die Rolle in bester „Method Acting“-Manier mal eben über 30 Kilo zu. Man würde denken, dass jeder fähige Maskenbildner das vielleicht auch hätte erledigen können.
Egal, denn über seine rein physische Präsenz hinaus gelingt es Leto auch, Chapman in seiner ganzen Widersprüchlichkeit zu verkörpern, und allein das macht CHAPTER 27 absolut sehenswert. Sehr schön ist in diesem Zusammenhang auch die Sequenz, als Chapman beim Warten auf Lennon vor dem Dakota Building von einem Fotografen darauf aufmerksam gemacht wird, dass in dem Gebäude Polanski ja seinen Film „Rosemary’s Baby“ gedreht hätte (was nicht stimmt, denn dort wurden nur Außenaufnahmen gefilmt), dessen Frau bekanntlich ein Jahr später von den Anhängern von Charles Manson umgebracht wurde, die dafür als eine Art Motto einen Songtitel der Beatles wählten, „Helter Skelter“, was perfekt zu den ansonsten wirren Gedankengängen und Wahnvorstellungen Chapmans passt.
Eine gewisse Ironie steckt sicherlich auch darin, dass der Darsteller, der Lennon „spielt“ (eigentlich sieht man ihn kaum), Mark Lindsay Chapman heißt und wegen seines Namens Mitte der Achtziger bei der TV-Produktion JOHN AND YOKO: A LOVE STORY für genau diese Rolle abgelehnt wurde.
Die eher banale Anwesenheit von Lindsay „Ich krieg das mit den Drogen einfach nicht auf die Reihe“ Lohan in einer Nebenrolle als weiterer Lennon-Fan ist wohl dem Umstand geschuldet, dass Schaeffer für seinen kleinen Indiefilm noch ein Zugpferd mit vermeintlich großem Namen brauchte, wie das halt immer so ist.
Als Bonus gibt es hier neben diversen Trailern nur ein zehnminütiges Making Of, das aber ein paar durchaus interessante Hintergrundinformationen liefert.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #93 Dezember 2010/Januar 2011 und Thomas Kerpen