Wenn man sich die handwerkliche Qualität von in den Staaten und auch England produzierten TV-Serien der letzten Jahre ansieht, fragt man sich schon, warum man überhaupt noch ins Kino gehen sollte, wo sich überwiegend hohle Blockbuster tummeln, deren abartige Millionen-Budgets ausschließlich für miese Computereffekte verpulvert wurden.
Auch wenn ich nie ein großer Fan von Endlos-Serien war – TWIN PEAKS mal ausgenommen –, musste ich spätestens bei DEXTER dann doch mal umdenken, denn das Ganze funktionierte schon eher wie ein überlanger Spielfilm und hatte ganz andere Möglichkeiten als ein Kinofilm, um seine Charaktere und die Handlung zu entwickeln.
Ein ähnlicher Fall ist auch BREAKING BAD, 2008 gestartet und erst auf neun Episoden angelegt, von denen zwei dem damaligen Streik der Writers Guild of America ein Jahr zuvor zum Opfer fielen.
Die Staffeln 2 und 3 bestanden dann aus 13 Episoden. Schöpfer von BREAKING BAD ist Vince Gilligan, der bereits für AKTE X gearbeitet hatte, aber mich ansonsten bisher nicht weiter beeindrucken konnte.
Wollte man überkritisch sein, würde man behaupten, Gilligan hätte sich eines Tages hingesetzt, um sich etwas zu überlegen, das DEXTER noch übertreffen könnte, denn die Parallelen zwischen beiden Serien sind kaum zu übersehen.
Da wäre natürlich vor allem das Motiv der heimlichen Doppelexistenz, der damit einhergehende starke Widerspruch zwischen moralischem und amoralischem Handeln der Hauptfigur, mit der sich der Zuschauer aber immer noch identifizieren soll, die starke Verbindung zur Polizei in beiden Fällen, ebenso wie die familiären Konflikte, die sich durch deren Tun ergeben.
Man kann sich dann überlegen, was man für plausibler hält, einen Serienkiller, der bei der Polizei arbeitetet oder einen Chemielehrer mit Lungenkrebs, der anfängt, Crystal Meth zu produzieren, um seine Krankenhausrechnungen zu bezahlen und seine schwangere Frau und seinen körperlich behinderten Sohn weiter versorgen zu können, was er mit seinem Nebenjob in einer Autowaschanlage sicher nicht bewerkstelligen könnte.
Dass BREAKING BAD als Serie so gut funktioniert, ist zum großen Teil Bryan Cranston zu verdanken, der den Chemielehrer Walter White aus New Mexico spielt und den ausgerechnet sein bei der Drogenfahndung arbeitender Schwager Hank auf die Idee mit den Drogen bringt, als er diesen zu einem DEA-Einsatz begleitet und dabei seinen ehemaligen Schüler und späteren Partner Jesse Pinkman unter den Drogendealern erkennt, der sich gerade noch aus dem Staub machen kann.
Cranston, den wohl viele noch als schrägen Vater aus der Serie MALCOLM IN THE MIDDLE kennen, hat BREAKING BAD sicher die bahnbrechendste Rolle seiner bisherigen Karriere zu verdanken und spielt den Chemielehrer mit einer beeindruckenden Ambivalenz – ein an sich liebenswürdiger, sehr sympathischer Charakter, der immer kurz davor steht, endgültig durchzudrehen.
Aber auch die Nebendarsteller sind durchweg erstklassig, allen voran Aaron Paul als Jesse Pinkman, mit dem Mr White einige teils lebensbedrohliche Höhen und Tiefen durchmachen muss. Hat man erst mal die ungewöhnliche Grundidee von BREAKING BAD akzeptiert, entwickelt die Serie eine erstaunliche Sogwirkung, zumal sie sich bisher von Staffel zu Staffel stetig steigern konnte und den Zuschauer auch nach dem Ende der aktuellen dritten Staffel mit einem heftigen Cliffhanger ins Bett schickt.
Selbst wenn Gilligan tatsächlich anfangs versucht haben sollte, DEXTER zu kopieren – und WEEDS gibt es da ja auch noch –, hat BREAKING BAD spätestens in Staffel 3 eine Dichte und Eigenständigkeit entwickelt, die gekonnt die Waage zwischen familiärem Drama und bizarrer Crime-Story hält und neben äußerst drastischen wie düsteren Szenen auch genug Momente befreienden Lachens zu bieten hat.
BREAKING BAD – übrigens ein Slang-Begriff, der „auf die schiefe Bahn geraten“ bedeutet, womit die thematische Ausrichtung der Story natürlich perfekt umschrieben wäre – ist eine fantastische Serie, die man unbedingt im Original anschauen sollte.
Im Juli geht es dann mit Staffel 4 in den USA weiter.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #96 Juni/Juli 2011 und Thomas Kerpen