Wenn einer einer Reise tut, dann kann er was erzählen. Nach diesem Motto funktionierten bereits andere Comic-Bände des Franko-Kanadiers Guy Delisle wie etwa „Pjöngjang“, „Shenzhen“ oder „Aufzeichnungen aus Birma“ (die ebenfalls bei Reprodukt erschienen), der darin seine Erlebnisse in China oder Nordkorea festhielt und damit aus einem sehr persönlichen Blickwinkel kulturelle Unterschiede gekonnt herausarbeitete, und das möglicherweise besser als so manches Sachbuch.
In „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ verschlägt es den Zeichner mit seiner Familie für ein Jahr nach Israel, da seine Frau dort für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen tätig ist. Während sich seine Frau im Gazastreifen um die psychologische und medizinische Betreuung der dort lebenden Palästinenser kümmert, die unter der langjährigen Blockade des Territoriums durch Israel leiden, erkundet Delisle auf eigene Faust Jerusalem und Umgebung.
Die grundsätzlichen Fakten, die Delisle dazu über den Nahost-Konflikt und dieses spezielle Krisengebiet liefert, mögen politisch interessierten Menschen wahrscheinlich bekannt sein, aber der Zeichner kann durch seinen sympathisch humorvollen Blick auf diese ganz und gar nicht lustige und äußerst verfahrene Situation, in Bezug auf die Vermischung unterschiedlicher Religionen und Ethnien, die dort schwelenden Konflikte sehr anschaulich und differenziert darstellen.
Nach dem Lesen von „Aufzeichnungen aus Jerusalem“ hat man zwar nicht unbedingt das Gefühl, der Nahost-Konflikt würde sich in absehbarer Zeit entschärfen, zumindest aber kann einem Delisle durch seine zutiefst humanistischen Betrachtungen ein besseres Verständnis für die dortige schwierige Situation und kulturellen Besonderheiten vermitteln.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #102 Juni/Juli 2012 und Thomas Kerpen