„Macht kaputt, was euch kaputt macht“; oder die In-die-Realität-Transformation der „Propaganda der Tat“ - der sozialrevolutionär ausgerichtete Anarchismus hat in seinen bisweilen ins Diffuse hineinkragenden Facetten„reichtum“ immer schon Aspekte von Militanz oder gewaltförmiger Überwindung der jeweils herrschenden Verhältnisse eingebaut und sie mal mehr mal weniger „kultiviert“. Um den von jenen Aspekten angezogenen, gar überzeugten Anarchist:innen Gebrauchsanleitungen an die zur Aktion bereite Hand zu geben, denen zufolge sie schlagkräftiger, „wirkungsvoller“ gegen die politischen Feinde losziehen könnten, werden seit dem 19. Jhd. Texte verfasst, die seit Johann Mosts 1885 ediertem „Handbüchlein“ euphemistisch als „revolutionäre Kriegswissenschaft“ rubriziert werden können. In der BRD hat dieser „Gebrauchsanleitungsfetisch“ in der RADIKAL, der in den 1980er und 1990er Jahren einflussreichsten Zeitschrift der autonomen Bewegung, seinen bekanntesten Ausdruck gefunden. In den USA kommt diese Rolle seit mehr als 50 Jahren dem ANARCHIST COOKBOOK zu; es befindet sich sogar unter „Rage Against The Machine's Radical Reading List“! Das vom damals 19-jährigen William Powell verfasste und 1971 vom Verlag LYLE STUART INC. veröffentlichte, schnell Kultstatus erlangende Buch enthält v.a. Anleitungen für die Herstellung von Sprengstoffen und Drogen. Nun ist beim programmatisch auf „Sex, Satan und Crime“ [sic] spezialisierten Index Verlag die hardcoververedelte deutsche Version davon erschienen; mit der „einleitenden Bemerkung zu Anarchismus heute“ von P.M. Bergman. Und genau hierin liegt das Problem: Auch wenn der Autor immer wieder auf die „wahren Bürger Amerikas“, die „schweigende Mehrheit“ der USA rekurriert, so war offensichtlich, dass hier im skandalträchtigsten, kontroversesten, reißerischsten Style an eine irgendwie umherschweifende „Bewegung“ und deren potenzielle Träger:innen appelliert werden sollte, die das im Vietnamkrieg wütende System in die Luft sprengen sollten – ohne selbst aktiver Teil irgendeines emanzipatorischen Zusammenschlusses zu sein. Deshalb kam das anarchistische Kollektiv CRIMETHiNC. zum Fazit, dass dieses „Kochbuch“ weder von Anarchist:innen arrangiert noch veröffentlicht wurde, dass es sich nicht „von anarchistischer Praxis ableitet“, und nicht beabsichtigt, „Freiheit und Autonomie zu fördern und unterdrückende Macht in Frage zu stellen“. Trotzdem ist es selbstverständlich ein bedeutendes, breit rezipiertes Werk aus der Sozialgeschichte des Widerstands, das, stark reflektierend und mit äußerster Vorsicht genossen, interessante Einblicke bietet in jene Zeit, in welcher Nixon und seine erzkonservative Administration die Welt an den Abgrund getrieben haben. Ob es - wie angekündigt - als „Überlebensratgeber“ taugt, muss jede:r für sich selbst „erlesen“.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #171 Dezember 2023/Januar 2024 2023 und Michael Dandl