Wer in den Neunzigern in den USA war, kam dort als Musikfan nicht an Tower Records vorbei. Ob in Los Angeles, San Francisco oder New York, aber auch in den anderen Großstädten und sogar in der Provinz, Tower war überall allgegenwärtig.
Die Filialen in den genannten Städten waren riesig, Tempel des Musikbusiness, in deren Schatten die kleinen Plattenläden standen. Im Gegensatz zu einer sterilen deutschen Kette wie WOM allerdings wirkten die Tower-Läden immer szenig und cool, hatten – zu teils heftigen Preisen – auch sehr szenige Labels und Bands im Programm, Musikbücher, Fanzines.
1999 noch setzte Tower eine Milliarde Dollar um, hatte Ableger in Japan, Mexiko und anderswo – und dann 2006 die Pleite.
Russell Solomon, der Tower Records 1960 zunächst als Teil des Drugstores seines Vaters in Sacramento, Kalifonien gegründet hatte (lebt noch, ist 91), sowie seine ehemaligen Angestellten, können die Gründe klar benennen: Napster, Downloads, die Verwerfungen des Musikgeschäfts nach der Jahrtausendwende sowie auch Managementfehler – massive Expansion mit geliehenem Geld – machten einem unglaublichen Biotop der Musikkultur den Garaus.
Der Film erzählt mittels Interviews von einstigen Führungskräften und Angestellten nicht nur die Geschichte einer revolutionären Geschäftsidee nach, sondern dokumentiert auch konkret Kulturgeschichte, gewürzt mit verblüffenden Einsichten in Unternehmens- und Mitarbeiterführun.
Hier wurde gekokst und gesoffen, was das Zeug hielt, und all die schrägen Musikertypen, die bei Tower à la „High Fidelity“ Unterschlupf fanden, wussten um die eine Regel: Du kannst dir alles erlauben, solange du morgens pünktlich den Laden aufschließt.
Ein Blick zurück in eine verlorene Welt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #129 Dezember16/Januar17 2016 und Joachim Hiller