In „We Need To Talk About Kevin“ von 2011, dem letzten Film der schottischen Regisseurin Lynne Ramsay, versuchte eine Mutter, in den schrecklichen Taten ihres Sohnes einen Sinn zu entdecken, den es offenbar nicht gab.
Und auch in „You Were Never Really Here“, der in Deutschland eigenartigerweise mit einem anderen englischen Titel versehen wurde und „A Beautiful Day“ heißt, stehen extrem traumatisierte Charaktere im Mittelpunkt, die mit einer ziemlich unmenschlichen, brutalen Umwelt konfrontiert werden.
Einige Kritiker sahen in „You Were Never Really Here“, der auf einem Roman von Jonathan Ames basiert, bereits einen „Taxi Driver“ für das 21. Jahrhundert, aber dafür fehlt es Ramsays Film etwas an erzählerischer Tiefe.
Zumal die Botschaft ihres Films reichlich diffus ausfällt, ebenso bleibt die Motivation ihrer Charaktere oft im Dunklen. Bereits bei „We Need To Talk About Kevin“ hatte Ramsay mit Einflüssen des Genre-Films gearbeitet und so gab es darin Elemente des Horrorkinos.
Bei ihrem kompromisslosen, intelligent-hintergründigen Charakterdrama „You Were Never Really Here“ arbeitet Ramsay mit Motiven des Rache-Thrillers, ohne sich dabei aber auf so banales Terrain wie Eli Roth mit seinem „Death Wish“-Remake zu begeben.
Stattdessen geht es um eine möglichst stilisierte Umsetzung bekannter Genre-Versatzstücke, bei der Ramsay viele Leerstellen lässt, die der Zuschauer selbst füllen muss, was für Menschen, die hier vielleicht leichte Thriller-Kost erwarten, extrem frustrierend sein dürfte.
Das zeigt sich exemplarisch an den Gewaltsszenen des Films, die sich überwiegend im Off abspielen und nur die Verletzungen zeigen, die der von Joaquin Phoenix gespielte Auftragskiller Joe, ein Ex-Soldat, seinen Gegnern auf seiner nihilistischen Rettungsmission im kriminellen Sumpf des Sexhandels zugefügt hat.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #140 Oktober/November 2018 und Thomas Kerpen