Gibt es eine Geschichte, die die Kultur einer gesamten (vergangenen) Nation beschreibt? Wenn ja, wäre es die Nibelungensage für das Heilige Reich, die „Avengers“ oder „X-Men“ für die Pulp-Fiction of the US of A und Odysseus für das alte Griechenland. „47 Ronin“ wäre das Pendant für Japan, eine Geschichte um Integrität, Ehre, Rache und das Verharren in überholten Traditionen, in denen der ehrenvolle Selbstmord ein Fanal für die richtige Sache ist, während das Überleben oder der Freispruch eine undenkbare Angelegenheit wäre, weil Tradition alles ist. Kleine Story, große Sache: Der Fürstennachwuchs verweigert eine Bestechung, verliert nach Beleidigung des Ausbilders die Contenance gegenüber dem korrupten Ausbilder, letzter Ausweg Harakiri. Sein Clan sinnt auf Genugtuung, tötet den feigen Ausbilder, letzter Ausweg der Ronin Harakiri. End of Story. In Szene gesetzt von Stan Sakai. Sakai, der über Jahrzehnte die Comicserie „Usagi Yojimbo“ für Dark Horse gezeichnet und, für mich von größerer Bedeutung, die Geschichten von Sergio Aragonés („Groo“) meisterhaft koloriert hat, liefert hier sein Meisterstück ab. Die japanische Nationalgeschichte, die auf Integrität, Ehre, Treue und absoluter Hingabe für eine gemeinsame Sache basiert. Ein tiefer Blick in eine längst vergangene japanische Seele, die so nicht mehr existiert, aber in den Köpfen einiger weniger Menschen überdauert haben dürfte, wie der Walfang, die Ehre, für den Tenno zu sterben oder sein Flugzeug samt Solobesatzung in ein Schiff rammen zu dürfen. Kulturgut, ebenso wie der 3. Oktober, der 5. März oder der 4. Juli eines sind. Dichte Umsetzung im gewohnten Stil von Stan Sakai, Hardcover mit edlem Druck und schöner Aufmachung.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #154 Februar/März 2021 und Kalle Stille