Es ist tragisch. Als die Ox-Schreiber:innen für das letzte Ox aufgerufen waren, im Rahmen ihrer Playlist die „Wunsch-Reunion einer Band“ zu benennen, musste ich nicht lange überlegen. RUDOLF’S RACHE war meine erste Wahl. Dann der Schock, als Ox Nr. 175 im Briefkasten lag und auf den ersten Seiten der Tod von Jens „Trümmer“ Pruditsch vermeldet wurde. Im selben Heft, in dem ich mir die Rückkehr des Ostfriesen-Quartetts gewünscht habe.
Gelegentlich meldete ich mich in der Vergangenheit bei Jens und vor allem beim Bassisten, Iko Schütte Jr., um mich danach zu erkundigen, wann die Band denn mal wieder live zu sehen sein würde. Sie waren nicht abgeneigt, doch es scheiterte wohl an Schlagzeuger Harri Haudrauf, für den das Kapitel RUDOLF’S RACHE abgeschlossen war. Ein Ersatz am Schlagzeug wäre sogar mit Robin, dem Sohn von Jens, verfügbar gewesen, aber die restliche Band war sich einig: Wenn es eine Reunion geben soll, dann nur in Originalbesetzung.
Durch den viel zu frühen Tod von Jens am 03.07.2024 wird es diese Reunion nun nicht mehr geben. Was bleibt, sind Erinnerungen an großartige Konzerte einer Band, die vor allem durch ihren Humor, ihre Kreativität und ihren Einfallsreichtum begeistert hat. Ich erinnere mich besonders an die schrägen Bühnenoutfits der im Jahr 1981 im ostfriesischen Varel gegründeten Combo, von denen DIE TOTEN HOSEN in ihren frühen Jahren nur träumen konnten. Ich erinnere mich an grandiose Songansagen, insbesondere vom Bassisten Iko. Mein persönliches Highlight war, als die Band in einem besetzten Haus in Gießen spielte, im Publikum Co von den BOXHAMSTERS erspähte und den Auftritt mit den Worten „Schönen guten Abend hier in Coburg“ begann. Damit hatten sie die Lacher des ganzen Saals auf ihrer Seite. Großartig auch, wenn sie bei ihrem Hit „Rock’n’roll will never die“ auf der Bühne die Mikros in Galgenform in die Höhe schraubten und die Anti-Rockstars gaben.
Unvergessen ebenfalls, wenn Sänger Lutz, der Bruder von Jens, bei Konzerten bis zu 15 T-Shirts übereinander trug und sich nach jedem Song eines Shirts entledigte, was jede Menge abstruse Motive zum Vorschein brachte. Der typische Bandhumor zeigte sich in vielen Situationen auf der Bühne, etwa dann, wenn die Band weiße Servietten im Publikum als Textblätter verteilte, wenn mal wieder ein Instrumentalstück auf der Setlist stand. Über allem standen aber die unbeschreiblichen Verrenkungen und die Gesichtsakrobatik, insbesondere von Sänger Lutz und Schlagzeuger Harri. Überhaupt, auch bei der Auswahl von Coverversionen zeigte die Band ausgeprägten musikalischen Sachverstand, stilsicheren Geschmack und unbändigen Mut. Ich kenne keine andere Band, die es sich in den 1980er Jahren getraut hätte, „Candida“ von Bata Illic, „Balla balla“ von den RAINBOWS, „Bock auf Rock“ von FRANZ K., „Wo ist zu Hause, Mama?“ von Johnny Cash, „Prinz Kajuka“ von UFO und „Silver machine“ von HAWKWIND zu covern.
Aber nicht nur die Erinnerungen an großartige Konzerte bleiben. Da sind vor allem mit „Kings Of Balla Balla“ (1988) und „Unplaqued“ (1993) zwei großartige Alben mit einer enormen Bandbreite an unterschiedlichen Musikstilen. Zwei zeitlose Klassiker aus den 1980er und frühen 1990er Jahren, die man auch heute immer noch mit Begeisterung goutieren kann. Welche Punkband hätte es sich wohl in den 1980er Jahren getraut, einen eigenen Song in einer Rap-Version zu covern? Country, Hardrock, Schlager, Schweinerock oder Psychedelic Noise, nichts war der Band fremd. Eine Band, die auch unter dem Siegel Fun-Punk firmierte und damit den Ruf dieser durch einige peinliche „Sauf-aus-Bands“ in Verruf geratenen Musikrichtung rettete. Unvergessen auch der von Jens und Iko erstellte Tape-Sampler „Die Reise nach Jerusalem“ mit einer grandiosen Ansammlung an unpeinlichen deutschen Fun-Punk-Bands wie WALTER ELF, FROHLIX oder DIE GESICHTER. Und wenn die Band mal wieder ordentlich das Gaspedal durchgetreten hat, gab es sogar einige Musikkritiker, die die Band als die deutschen NOFX betitelten. Neben den beiden LPs gab es noch einige Tapes und 7“s, die zum Teil auf dem eigenen Label namens Major Label erschienen sind, getreu dem Motto „Fuck CDs, bring back Schellack“. Schön dabei auch, dass sich die Bandmitglieder bei allen Veröffentlichungen andere Namen gaben. So firmierten die vier auf der ersten LP unter Winnetou I, Winnetou II, Winnetou III und Old Shatterhand. Auf der legendären „Bata Bata Hey“-Tribute-EP nannten sie sich Fred Schüttelmann, Gus Kaktus, Howard Carpentrümmer und Pater Illic Jr.
Überhaupt waren die Mitglieder auch neben der Band rund um die Uhr für die Musik aktiv. Jens mit dem Tapelabel Trümmer, Iko mit seinem Tapelabel Pissende Kuh Kassetten (PKK). Vertrieben wurden die Produkte über einen eigenen Mailorder. In den 1980er Jahren gab es wohl gefühlt kein Fanzine und keinen Tape-Sampler, in denen die Band nicht mit vertreten war. Auch eigene Fanzines wurden an den Start gebracht und zwar mit den schönen Namen „Knilch“ und „Starparade der singenden Gipfelstürmer“. Im Umfeld von Filmemacher Wenzel Storch war die Band ebenfalls aktiv, was zu mehreren spektakulären Filmauftritten führte. Selbst ins Fernsehen schafften es die Burschen, bei der Spielshow „Bingo“ ließen sie den Moderator ganz alt aussehen. Ein absoluter Höhepunkt deutscher Fernsehkultur.
Die deutsche Punk-Szene hat mit Jens einen liebenswerten Menschen und großartigen Künstler verloren. Bis zuletzt setzte er sich mit seinem kleinen Unternehmen Trümmer Booking mit viel Herzblut ein für „seine“ Künstler und Bands wie BIG JOHN BATES, THE DAD HORSE EXPERIENCE, Bernadette La Hengst oder Knarf Rellöm, um nur einige zu nennen. Die Nachrufe seiner Künstler belegen, dass sie nicht nur einen großartigen Unterstützer, sondern vor allem einen verlässlichen Freund verloren haben. Die Welt und insbesondere die deutsche Punk-Szene ist durch den Tod von Jens viel ärmer geworden. Mit RUDOLF’S RACHE geht eine Band, die irgendwie ihrer Zeit immer weit voraus war. Wir haben ihm viel zu verdanken. Ich bin sehr traurig.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #176 Oktober/November 2024 und Axel M. Gundlach