Das erste Mal bin ich durch die neue KMPFSPRT-Platte „Euphorie und Panik“ auf Jan Gruben aufmerksam geworden, der durch sein dynamisches und extrem variables Drumming viel zum Sound der Band beigetragen hat. Ob schnell oder langsam, Jan ist in jedem Tempo zu Hause und jederzeit in der Lage, dem jeweiligen Song seine persönliche Note zu verleihen. Dann entdeckte ich, dass Jan mit einer Band offensichtlich nicht ausgelastet zu sein scheint, und spätestens jetzt war es an der Zeit, ihn für ein Interview in dieser Serie zu gewinnen.
Jan, gibt es in deiner Familie alte Geschichten, dass du deinen Eltern schon als kleiner Junge durch Herumtrommeln auf irgendwelchen Gegenständen aufgefallen bist?
Ja, die gibt es wirklich. Das ist wahrscheinlich auch der erste Moment in meinen Leben, an den ich mich wirklich aktiv erinnern kann. Ich weiß nämlich noch, dass ich bei uns im Flur gesessen und auf Töpfen herumgetrommelt habe. Meine beiden Schwestern sind etwas älter als ich und gingen damals schon zur Schule, und nun brauchte meine Mutter die Töpfe, um für die Kinder zu kochen, damit sie nach der Schule etwas zu essen bekommen. Ich kann mich gut an die Wut erinnern, die in mir hochstieg, als sie mir die Töpfe wegnahm, weil ich nicht einsehen wollte, dass ich mit dem Trommeln aufhören sollte. Das hat mich wirklich zornig gemacht und war das erste Mal in meinem Leben, wo ich wirklich wütend war. Es hat aber noch drei oder vier Jahre gedauert, bis ich mit sechs Jahren meine erste Snaredrum geschenkt bekam und dann für zwei Jahre richtig klassischen Schlagzeugunterricht hatte. Mein Vater kannte so einen Tanzmucker, der kam einmal in der Woche bei uns vorbei und versuchte, mir die Grundlagen des Trommelns beizubringen. Nach zwei Jahren hat er allerdings völlig entnervt aufgegeben, weil ich einfach nicht verstanden habe, was der Typ eigentlich von mir wollte. Mit „Paradiddles“ und „Double Stroke Rolls“ konnte ich als Siebenjähriger halt nichts anfangen.
Kommst du aus einer musikalischen Familie?
Also meine Mutter hat vor drei Jahrzehnten den Chorgesang für sich entdeckt, aber ein Instrument spielt sie nicht, und mein Vater wollte wohl als Kind auch Trommler werden, aber meine Oma hat es ihm damals, also in den Fünfziger Jahren, verboten. Bei uns zu Hause lief aber immer viel Musik, denn meine Mutter hörte gern THE POLICE und Chris Rea, während mein Vater seinen Kölner Wurzeln treu blieb und so Sachen wie BLÄCK FÖÖSS und vor allem BAP mochte, oder auch Klassiker wie Bob Dylan und die ROLLING STONES.
Wann hast du deine Liebe zum Schlagzeugspielen wieder entdeckt?
Bis ich elf Jahre alt war, habe ich mich in der Schule auf die Blockflöte konzentriert und meine Snare lag nur bei uns zu Hause in der Ecke herum. Es muss so 1993 gewesen sein, als ich Thorsten Bertram, den Schlagzeuger einer lokalen Grunge-Band, kennen lernte und meine Mutter ihn direkt fragte, ob er mir nicht Unterricht geben wollte. Mir war das total unangenehm, weil ich eigentlich nicht mehr Schlagzeug spielen wollte, aber meine Mutter hat mir diesen Typen einfach vor die Nase gesetzt und er kam dann zu uns nach Hause und hat mir ein paar CDs in die Hand gedrückt, zu denen ich üben sollte. Das haben wir dann auch durchgezogen und mir hat das außerordentlich viel Spaß gemacht. In den Jahren danach habe ich viel Grunge, Heavy Metal und vor allem GUNS N’ ROSES gehört und dazu getrommelt. Nach der Schule habe ich mir immer die Kopfhörer aufgesetzt und dann bei uns im Keller täglich sieben Stunden zu „Use Your Illusion 1+2“ getrommelt. Das ging zum Leidwesen meiner Mutter bestimmt über vier Monate und du kannst mich noch heute irgendwann nachts aufwecken und ich könnte sofort jede Minute und jedes Break und Fill-In auf dieser Platte spielen.
Hattest du als Jugendlicher irgendwelche Vorbilder, denen du nacheifern wolltest?
Ja, das waren so die klassischen Grunge-Schlagzeuger. Insbesondere Dave Abbruzzese von PEARL JAM war mein ultimativer Vollhero, bis ich 18 war. Matt Cameron von SOUNDGARDEN und Sean Kinney von ALICE IN CHAINS fand ich auch großartig. Das waren so die großen drei, zu denen ich wirklich ganz schlimm aufgeschaut habe.
Gibt es bestimmte Gründe, warum Dave Grohl von NIRVANA in dieser Auflistung fehlt?
Tatsächlich habe ich erst viel später entdeckt, was für ein cooler Typ Dave Grohl eigentlich ist, aber als Jugendlicher habe ich nie viel NIRVANA gehört. Da lag daran, dass die Bands, die ich sonst hörte, alle irgendwie technisch perfekt klangen. Und NIRVANA waren irgendwie eine punkige Rotz-Band, die ich damals nicht wertschätzen konnte. Mir waren die zu wild und ich fand PEARL JAM einfach geiler.
Wann hast du deine erste eigene Band gegründet?
Ich musste mit 13 die Schule wechseln, weil ich zu der Zeit so ein überragender Schüler war, und auf der Realschule habe ich dann Freunde gefunden, die schon Gitarre und Bass spielten. Die hatten zwar bereits eine Band, fanden den Schlagzeuger aber irgendwie uncool und so haben sie mich gefragt, ob ich nicht bei ihnen einsteigen wollte. Wir haben uns im Frühjahr 1995 formiert und hatten unseren ersten Übungsraum unter einem Kindergarten, was uns aber nichts als Ärger einbrachte, so dass wir nach einem halben Jahr wieder ausziehen mussten. Im August 1995 haben wir schließlich unser erstes Konzert gespielt. Wir waren alle total nervös, weil wir im Vorprogramm einer – damals schon bekannteren – lokalen Grunge-Band spielen sollten, aber als die hinterher zu uns kamen und meinten, wir hätten das ganz gut gemacht, haben wir uns schon ziemlich cool gefühlt. Der Auftritt selbst war wohl eher mittelmäßig, aber wir hatten immerhin zwei BAD RELIGION-Cover am Start, mit denen wir punkten konnten.
Wie bist du vom Grunge zum Hardcore gekommen?
Mitte der Neunziger konnte ich das alles noch nicht so auseinanderhalten. Da gab es für mich nur Gitarrenmusik und Eurodance. Ich war sehr empfänglich für alles, was mit Gitarren zu tun hatte. Neben PEARL JAM habe ich auch SLAYER, VENOM und METALLICA gehört. Irgendwann habe ich mir dann die erste BIOHAZARD-Platte gekauft und war für lange Zeit riesengroßer BIOHAZARD-Fan. Von da an hat mich Hardcore richtig gereizt.
Mit welcher deiner Bands warst du das erste Mal im Studio, um eine Platte aufzunehmen?
Da war ich schon so 21 oder 22 Jahre alt und habe in einer DIY-Hardcore-Band namens COLINA gespielt. Ein Freund von uns hatte sich gerade ein Studio eingerichtet und da haben wir ein paar Songs aufgenommen, die hinterher als selbstgebrannte CD mit dem Titel „Missed Liberty“ sowie auf einer Split-7“ von COLINA und B.S. SYSTEM veröffentlicht wurden. Die Aufnahmen haben wir alle live im Studio eingespielt und hatten uns vorher schon darauf geeinigt, dass wir ohne Klick im Ohr aufnehmen wollten. Das Ergebnis ist seinerzeit eine sehr coole Sache geworden, hinter der ich auch heute noch stehe. Der erste wirkliche Studioaufenthalt war ein paar Jahre später mit MNMNTS, als wir bei Martin Buchwalter im Gernhart Studio waren. Damals bin ich mit einem gesunden Selbstvertrauen an die Aufnahmen herangegangen und bin schließlich von mir selbst brutal enttäuscht worden, weil irgendwie alles nicht so gut war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich hatte wohl gute Ideen, aber leider konnte ich sie nicht so gut umsetzen. Irgendwann war der Tontechniker so genervt, dass er meinte, wir nehmen die Songs jetzt ohne den Klick auf und suchen uns hinterher das beste Ergebnis raus. Das Resultat war ein komisches 3-Song-Demo, das aber am Ende doch irgendwie gut geklungen hat.
Hat sich im Laufe der Jahre dein Verhältnis zur Arbeit im Studio verbessert?
Zwischen dieser ersten 3-Track-12“ und der MNMNTS-LP habe ich schließlich gelernt, mit dem Klick zurechtzukommen, und bis ich irgendwann bei MY RUIN gespielt habe, hatte ich gelernt, den Klick zu lieben. In dieser Phase habe ich mir wirklich noch mal für zwei, drei Jahre die Zeit genommen und konsequent täglich zwei bis drei Stunden die Rudiments geübt.
Warst du damals Autodidakt oder hattest du regelmäßig Unterricht?
Nein, ein richtiger Autodidakt war ich eigentlich nie. Ich hatte in meinem Bekanntenkreis immer super Schlagzeuger, von denen ich viel gelernt habe. Im Umfeld der Familie gab es damals einen Profischlagzeuger, der zum Beispiel bei Heino oder Dieter Thomas Kuhn getrommelt hat, mit dem ich stundenlang im Keller gesessen und von ihm gute Tipps bekommen habe. Für eine gewisse Zeit hatte ich noch Dirk Oechsle – von der bekannten RAMMSTEIN-Coverband VÖLKERBALL – als Lehrer, und als ich 24 Jahre alt war, hatte ich genug Übungen an der Hand, an denen ich mich abarbeiten konnte. Wenn ich heute mit KMPFSPRT ins Studio gehe, nehme ich einen Song in ungefähr einer Stunde auf und spiele in dieser Stunde fünf Takes von dem jeweiligen Track ein. Dabei ist der Groove immer derselbe, aber die Fill-Ins sind jeweils unterschiedlich, so dass man hinterher auswählen kann, welche Version der Band und dem Produzenten am besten gefällt.
Hast du schon immer ein kleines Set mit nur einem Tom gespielt oder warst du irgendwann mit einem großen Schlagzeug am Start?
Also ein Set mit zwei Bassdrums habe ich nie gespielt, aber ein Doublebass-Pedal habe ich schon benutzt. Bei KMPFSPRT wollte ich gern ein Set mit zwei Bassdrums etablieren, einfach weil das cool aussieht, aber die anderen in der Band haben sich dagegen ausgesprochen, weil sie gegenteiliger Ansicht waren. Ich hätte das wirklich gern gemacht, aber die anderen fanden die Idee wohl nicht so Punk-tauglich. Ich habe gerne noch ein zweites Floortom am Start, aber das kommt hauptsächlich im Studio zum Einsatz, weil die Schlepperei bei Live-Auftritten doch sehr anstrengend ist. Es gab auch eine Zeit, in meiner Jazz-Fusion-Phase, da fand ich es cool, mit fünf Hängetoms zu spielen. Da habe ich bei mir im Keller so einige Sachen ausprobiert, aber live habe ich immer auf das bewährte, kleine Set zurückgegriffen. Selbst wenn ich mein Set nicht mehr selbst schleppen müsste, würde ich wahrscheinlich kein größeres Set wollen, sondern nur noch schwerere Trommeln benutzen.
Hattest du jemals den Gedanken, als Profischlagzeuger deinen Lebensunterhalt zu verdienen?
Ja, diesen Gedanken gab es, denn ich hatte den Wunsch, Musik zu studieren, aber schlussendlich habe ich mir diese Idee ausreden lassen. Der besagte Bekannte, der mir lange Schlagzeugunterricht gegeben hatte, meinte zu mir: „Am Ende unterrichtest du Schüler, die gar nicht Schlagzeug lernen wollen, und spielst in Coverbands Top-40-Songs, die du nicht hören willst, nur um über die Runden zu kommen.“ Ich bin diesem Rat gefolgt und habe immer nur die Musik gespielt, auf die ich wirklich Bock hatte, aber selbst heute hadere ich manchmal noch damit, diese Entscheidung getroffen zu haben. Stattdessen bin ich Realschullehrer geworden.
Wie bekommst du die Arbeit als Lehrer und deine Bandaktivitäten unter einen Hut?
Das ist tatsächlich nicht immer ganz leicht, weil ich natürlich nur während der Oster-, Sommer- oder Herbstferien auf Tour sein kann, und es ist auch ganz schön anstrengend, am Sonntag von einem Konzertwochenende zurückzukommen und am Montag wieder vor der Klasse stehen zu müssen. Bei den Aufnahmen zur EXAKT NEUTRAL-Platte im Herbst 2021 war es tatsächlich relativ schwierig, weil da die Schule während der Aufnahmephase schon wieder angefangen hatte, so dass ich manchmal nach der Schule direkt ins Studio gefahren bin, dort übernachtet habe und es morgens vom Studio gleich wieder in die Schule ging. Zum Glück lief das nur ein paar Tage so. Meine drei Bands muss ich natürlich auch bei den Proben unter der Woche gut koordinieren, und ich fordere von den anderen auch ein, dass wir nicht erst während der Probe anfangen, die Songs oder einzelne Riffs zu üben, sondern dass wir sehr konzentriert proben. Ich habe weder Zeit noch Lust, erst Ewigkeiten an einzelnen Riffs zu basteln. Aber zum Glück sehen die anderen das genauso, und wenn wir uns zum Proben treffen, können alle die Songs spielen und wir arbeiten sehr effektiv. Bei KMPFSPRT läuft alles ganz zyklisch. Wenn da die Aufnahmen zu einer neuen Platte anstehen, trifft die Band sich in den Monaten vorher regelmäßig ein- oder zweimal in der Woche, um Songs zu schreiben und die zu proben. Bei FLITTERN ist es ganz anders, weil da Sebastian eigentlich alle Songs schreibt und ich nur Rückmeldung geben muss, was mir gefällt und was ich ändern würde. Zum Glück müssen wir heute nicht mehr so viel über neue Sachen streiten, wie das früher einmal der Fall gewesen ist, weil mir heute eigentlich alle Sachen gefallen, die Sebastian mitbringt. Und EXAKT NEUTRAL sind im Prinzip eine reine Studioband. Wir haben vor vier oder fünf Jahren angefangen zu jammen und sind nicht so richtig zu Rande gekommen. Irgendwann hatten wir aber zehn oder zwölf Songs zusammen, die zumindest schon mal ein Grundgerüst hatten, und dann haben die anderen beschlossen, dass sie die Songs jetzt im Studio aufnehmen wollten. Mich haben sie gefragt, ob ich mitkommen wollte, und ich habe die Songs mehr oder weniger wie ein Studioschlagzeuger eingespielt, wobei alle meine Parts direkt im Studio entstanden sind.
Hat der Schlagzeuger in dir manchmal den Gedanken, vielleicht in einer anderen Band zu singen oder Gitarre zu spielen?
Nein, wirklich nicht. Wenn ich vor zwanzig Jahren beim Singen am Ball geblieben wäre, hätte das vielleicht etwas werden können, denn damals habe ich mich für die Aufnahmeprüfungen zum Musikstudium vorbereitet und auch im Chor mitgesungen. Gitarrenunterricht hatte ich als Jugendlicher auch für drei Jahre, aber obwohl mein Lehrer wirklich cool war, hatte ich keinen Bock zu lernen und kann heute nicht mehr als ein paar Akkorde schrammeln. Ich wollte immer nur Schlagzeug spielen, doch immerhin habe ich eine Ahnung von den Regeln, nach denen Musik funktioniert.
Du hast im September mit FLITTERN und EXAKT NEUTRAL an einem Abend zwei Gigs direkt hintereinander gespielt. Wie hältst du das konditionell durch?
Das funktionierte tatsächlich ziemlich gut, weil man zunächst einmal das Schlagzeug nach der Vorband ja nicht umbauen muss. Die beiden Bands sind auch von der Energie her sehr unterschiedlich. FLITTERN sind für mich von der körperlichen Herausforderung her viel anstrengender, während ich bei EXAKT NEUTRAL sehr kontrolliert spiele. Da muss ich nicht so sehr reinballern, weil es nicht um diese wilde Energie geht, sondern in erster Linie um einen guten Sound. Ich hätte hinterher am liebsten noch einen dritten Gig drangehängt, wobei eine KMPFSPRT-Show allerdings doch zu heftig gewesen wäre.