Land auf, Land ab bekommt man es mit, zuletzt machte das Hamburger Hafenklang diesbezüglich Schlagzeilen: Nach der überstanden Corona-Flaute kamen die Inflation und der Frust. Geändertes Ausgehverhalten, Kostensteigerung, Personal ... Krise? Oder doch nicht? Wir befragten Menschen aus fünf Venues in ganz Deutschland zu ihrer Situation und das Fazit lautet: Es ist komplex. Hier sind die Antworten von Nanette vom Berlin-Kreuzberger SO36, von Flo vom JuHa West in Stuttgart, von Chris vom Essener Don’t Panic, von Daniel vom Immerhin in Würzburg und von Plüschi von der Alten Hackerei in Karlsruhe.
Wer bist du, was machst du?
Nanette, SO36: Ich bin Nanette und seit 16 Jahren im SO36 im Orgateam. Aktuell mache ich Öffentlichkeitskram und Buchhaltung, früher hab ich auch Konzerte betreut.
Flo, JuHa West: Ich bin Florian „Flo“ Eymer, und arbeite seit 2005 im JuHa West in Stuttgart, das Teil der Stuttgarter Jugendhaus gGmbH ist. Seit 2006 bin ich verantwortlich für den Kultur- und Konzertbereich sowie die Proberäume. Zusätzlich arbeite ich weiterhin in der offenen Jugendarbeit. Mein Schwerpunkt liegt auf der Organisation und Durchführung von Konzerten und kulturellen Veranstaltungen. Aber ich schätze auch die direkte Arbeit mit jungen Menschen und freue mich, sie in ihrer Freizeit zu begleiten und zu unterstützen.
Chris, Don’t Panic: Mein Name ist Chris und ich leite zusammen mit meiner besseren Hälfte Sunny den Don’t Panic Club und Pub in Essen mit allem, was so dazugehört. Unser Schwerpunkt liegt eindeutig auf Live-Events fernab vom Mainstream. Aber auch im Biergarten, auf Nitern oder einfach nur im Pub dürfte man sich wohlfühlen, wenn man ein Herz für die Subkultur hat. Dafür, dass wir eigentlich ein Musiklabel betreiben – Sunny Bastards – und nie vorhatten, Clubbesitzer zu werden, feiern wir im nächsten Jahr unser zehnjähriges Jubiläum umso doller. Hätte ich nie geglaubt ...
Daniel, Immerhin: Mein Name ist Daniel Peter alias Dope, ich organisiere mit ein paar Freund:innen seit etwa 15 Jahren Shows im Immerhin in Würzburg. Wir sind ein kleiner Laden mit einem Team von zwanzig, dreißig Leuten aus unterschiedlichen Szenen, die allesamt ehrenamtlich arbeiten. Keiner kriegt auch nur einen Heller. Unsere Kapazität ist etwa 100 Leute.
Plüschi, Alte Hackerei: Ich bin Plüschi, eigentlich Christian Bundschuh, seit 35 Jahren Konzertveranstalter im Hardcore/Punk-Bereich, Tontechniker und seit 17 Jahren Inhaber der Alten Hackerei in Karlsruhe.
Aktuell liest man oft, dass kleine Clubs besonders große Schwierigkeiten haben, weil sie weniger Umsatz machen, die Kosten aber im Verhältnis stärker gestiegen sind. Wie ist die Situation bei euch?
Nanette: Wir können das leider bestätigen. Die Kosten sind gestiegen und weil das nicht nur uns, sondern auch eben unsere Gäste betrifft, merken wir das am Umsatz. Unsere „Zielgruppe“ sind halt eher Leute aus Subkulturen, traditionell sind das oft keine reichen Menschen. Die müssen auch schauen, wie sie die Miete gestemmt bekommen, da bleibt für Ausgehen und Trinken nicht mehr so viel übrig
Flo: Glücklicherweise laufen die Konzerte bei uns seit dem Neustart nach Corona wieder sehr gut. Wir haben viele Besucher:innen und es kommen großartige Bands ins JuHa West. Das spiegelt sich auch in der Atmosphäre wider – die Menschen haben offenbar wieder richtig Lust auf Live-Musik. Dennoch merken wir, dass die Kosten kräftig gestiegen sind. Die höheren Preise für Getränke, Catering und Hotelübernachtungen sind deutlich zu spüren, vor allem beim Einkauf oder bei der Buchung von Dienstleistungen. Aber da wir im Jugendhaus West die Möglichkeit haben, Bands im Haus unterzubringen – wir haben einen Raum mit mehreren Betten und zwei Duschen – können wir einige Kosten auffangen. Eines unserer größten Vorteile hier ist es, nicht gewinnorientiert arbeiten zu müssen, das erleichtert mir vieles.
Chris: Clubs haben generell das Problem, dass es jahreszeitlich bedingte Schwankungen gibt, und natürlich ist es für kleinere Venues schwieriger, diese aufzufangen respektive wirtschaftlich vorzusorgen. Wenn von Frühjahr bis Spätsommer die Festivalsaison läuft, Baggersee oder Grillabend mit Freunden attraktiver wird, ist das auch völlig normal und absehbar. Schwierig wird’s, wenn andere Faktoren noch dazukommen. Die Fußball-EM, die „Corona-Folgejahre“, die einen immer noch belasten, oder die Kosten, die seit Jahren steigen, ob durch weltweite Krisenherde oder auch Auflagen und Gesetze, beispielsweise Mindestlohn, technische Prüfungen, Klima-Abgaben. Nüchtern betrachtet belastet dies tatsächlich stark und kann nur bedingt ausgeglichen werden, denn dem Konzertbesucher bis hin zur tourenden Band geht es ja nicht anders. Also klares Ja, die Situation ist in den letzten Monaten kritischer geworden. Wenn der Club meine Lebensgrundlage wäre, würde ich unruhiger schlafen ... Es ist ohne jammern zu wollen derzeit nicht einfach und wir freuen uns auf den Herbst.
Daniel: Während der Pandemie und kurz danach war die Luft zum Zerreißen dünn. Wir hatten ein paar Jahre mit laufenden Kosten, aber quasi ohne Einnahmen. Und als es langsam wieder losging, war das Echo auch echt verhalten. Wir hatten eine Show mit GIUDA, die hatte ich 2019 in Blackpool gesehen, vor ein paar tausend Leuten. Wir hatten 40 Zahlende. Das war echt eine Katastrophe. Die Band hat trotzdem gespielt, als wären 500 da. Dann ging es aber zum Glück schnell aufwärts. Inzwischen stehen wir in jeder Hinsicht besser da als vorher. Sogar die Shows unter der Woche sind voll.
Plüschi: Ja, die Situation ist bei uns sehr ähnlich und auch prekär. Wie ja bekannt ist, sind alle Kosten rund um ein Konzert gestiegen. Vom Catering bis zum Hotel. Die Bandwohnungen fielen zumindest in unserem Fall der Pandemie zum Opfer und eine Wohnung für einen solchen Zweck in der Stadt anzumieten, ist fast aussichtslos und sowieso nicht bezahlbar. Gagenforderungen der Bands sind gestiegen etc. ...
Was konkret ist seit Corona für euch teurer geworden, in welchem Maße? Getränke, Personal, Strom, Hotelübernachtungen ...?
Nanette: Eigentlich alles. Hotels, Getränke-Einkauf, Strom, Heizung, Miete, Künstler:innen-Gagen, Reisekosten. Bei „Personal“ liegt es ja an uns selbst, ob wir möglichst faire Löhne zahlen oder uns in fröhlicher Selbstausbeutung ergehen ... Aber auch die Mieten der SO36-Mitarbeitenden sinken leider irgendwie so gar nicht ...
Flo:Vor allem die Preise für Getränke und Catering sind nach Corona deutlich gestiegen, was ich besonders beim Einkauf merke. Auch die Hotelzimmer sind teurer geworden, was bei tourenden Bands immer mehr ein Faktor ist. Wie bereits erwähnt, haben wir das Glück, dass Bands bei uns im Haus untergebracht werden können, was mir in dieser Hinsicht hilft, die Kosten in Grenzen zu halten. Da ich die Konzerte mit meinem fantastischen Ehrenamtsteam stemme, habe ich da auch keine sehr großen Veränderungen gespürt.
Chris: Außer Personal: alles! Wir haben schon immer etwas über Mindestlohn bezahlt, weshalb mich die sicherlich richtige Tendenz, gesetzlich nachzubessern, nicht berührt. Aber die in hohem Maße gestiegenen Energiekosten und teurere Waren und Getränke. Und in überschaubarem Maße die Gagen, da wir schon immer ein Freund von Guarantees mit Door-Deal-Beteiligungen waren. Bei der Miete habe ich Glück. Unser Vermieter ist vernünftig und weiß, dass es heutzutage nur wenige Wahnsinnige gibt, die auf „Liebesspieler“, äh auf das Pferd „Club“ setzen würden. Bei den Nebenkosten gab es dafür wieder eine kräftige Erhöhung und der liebe Staat muss sein Säckel auch immer praller füllen, um Städtepleiten zu verhindern.
Daniel: Der Einkauf ist teurer geworden, klar, zum Beispiel das Bier. Wir haben dann irgendwann moderat den Preis erhöht, von 2 Euro auf 2,50 für die Halbe. Immer noch ein Kampfpreis. Aber auch die Übernachtungen haben angezogen, Strom, Miete. Das komplette Paket.
Plüschi: In unserem Fall sind die Personalkosten in den letzten zwei Jahren um 30% gestiegen, Cateringkosten um ca. 25%, Hotelkosten, Strom, Miete 19%, Wareneinkauf, Versicherungen ...
In welchem Maße und an welcher Stelle gebt ihr die Preissteigerungen an die Kundschaft weiter?
Nanette: Wir haben seit Corona die Getränkepreise moderat erhöht und die Konzerte werden auch viel knapper kalkuliert. Am Ende darf halt kein Minus stehen, sonst gibt es den Laden bald nicht mehr. Konzerte einer internationalen Band für unter 20 Euro rechnen sich meistens nicht mehr, und alles mit den Tresenumsätzen aufzufangen, funktioniert auch nicht mehr, weil der Umsatz da eben auch gesunken ist.
Flo: Bisher habe ich hauptsächlich beim Eintrittspreis Anpassungen vornehmen müssen, um die gestiegenen Kosten teilweise auszugleichen. Es ist mir wichtig, die Preiserhöhungen so moderat wie möglich zu halten, um weiterhin ein breites Publikum anzusprechen und niemanden auszuschließen. Bei den Getränken wurde der Preis nur minimal angepasst, obwohl die Einkaufskosten deutlich gestiegen sind. Ich versuche, die Balance zu finden zwischen den finanziellen Herausforderungen und dem Anspruch, kulturelle Veranstaltungen für alle zugänglich zu halten.
Chris: Wir hatten acht Jahre lang die Getränkepreise nicht erhöht und waren eigentlich viel zu günstig, obwohl das ja jeder von sich behauptet. Deshalb erlaube ich mir einen Preis als Beispiel zu nennen: Bis kurz vor der Pandemie kostete bei uns beispielsweise eine Flasche Bier nur 2,50 Euro, Fassbier 0,5 l für 3,80 und das findest du selbst in Kneipen hier nur noch selten, aber nicht in Konzerthallen und Clubs! Nach Corona ging’s nicht mehr. Wir mussten erhöhen und zugleich bis heute fünf (!) Preissteigerungen bei den Brauereien mitmachen. Deshalb werden wir hier noch mal rangehen müssen moderat, obwohl ich mich mit Händen und Füßen dagegen wehre. Konzerttickets sind auch etwas teurer geworden. Hier muss man aber ganz klar zwischen Fremdveranstaltungen und unseren eigenen unterscheiden. Unser VVK-Preis ist im Schnitt um 2 Euro teurer geworden. Bei der Abendkasse haben wir etwas mehr erhöht, vielleicht bringt das den einen oder anderen dazu, sich vorher die Tickets zu besorgen. Darauf ist man angewiesen als Club. Wenn ein Fremdveranstalter, Booker oder die Band selber jedoch unseren Club mietet und da viel höhere Preise ansetzt, liegt das in deren Verantwortung. Das sage ich ganz ohne Wertung.
Daniel: Wie gesagt, wir haben an den Getränkepreisen geschraubt, aber wirklich marginal. Bei den Eintrittspreisen sind wir ein bisschen teurer geworden. Die gehen aber zu 100% an die Bands. Aber wir haben auch viele internationale Acts aus Australien oder USA. Die willst du nicht mit paar Euro abspeisen. Ist ja absurd genug, dass die Bierzeltkapelle auf der Kirchweih mit ein paar tausend Euro heimgeht und die Punkband aus Australien mit der Gage gerade mal ihre Unkosten decken kann.
Plüschi: Wir versuchen die gestiegenen Kosten moderat an die Kundschaft weiter zu geben. Klar erhöhen wir hier und da quer durch die Getränkekarte um 30 Cent und insgesamt sind die Eintrittspreise gestiegen. Durch unseren eigenen Ticketshop können wir schon besser die Preise regulieren und haben keine Abgaben an einen Anbieter. Aber wir sehen ja auch, dass die Leute, die zu uns kommen, nicht mehr Geld als vorher auf der Tasche haben. Ein Konzertbesuch verschlingt da schon Geld, wenn man sich noch etwas gönnt und im besten Fall, auch für uns, in unserem Biergarten isst und ein paar Getränke konsumiert. Dann sind schnell mal 50 Euro weg. Das musst du dir leisten können und das machst du dann auch nicht so oft im Monat.
Hat sich durch die veränderten Bedingungen euer Programm verändert? Macht ihr beispielsweise mehr Veranstaltungen, bei denen ihr absehbar besser verdient?
Nanette: Umgekehrt; wir müssen leider weniger Veranstaltungen machen, bei denen wir drauflegen. Wir sind kein Kommerzladen, das SO36 wird von einem gemeinnützigen Kulturverein betrieben. Unser Anspruch zielt auch auf Nachwuchsförderung und wir wollen auch Solikonzerten einen Raum geben. Das können wir aber nur in dem Rahmen, dass es den Verein an sich nicht gefährdet. Also müssen wir manchmal den Laden eher geschlossen lassen, statt eine inhaltlich unterstützenswerte Veranstaltung zu machen, die aber große Verluste einfährt.
Flo: Mein Fokus liegt weiterhin auf Konzerten im Bereich Hardcore, Punkrock und Metal – das ist seit Beginn mein Motto, und daran halte ich auch weiterhin fest. Ich möchte ein breites Angebot schaffen, das sowohl Newcomer-Bands als auch bekanntere Acts aus der Szene zu uns bringt. Obwohl die Bedingungen härter geworden sind, ist es mir wichtig, die Vielfalt unseres Programms zu bewahren. Natürlich achte ich darauf, dass Veranstaltungen gut besucht sind, aber der finanzielle Aspekt bestimmt nicht allein meine Entscheidungen. Es geht mir auch darum, der Subkultur und jungen, aufstrebenden Bands eine Bühne zu bieten. So bleibt das Programm vielfältig und spannend, mit einem Mix aus bekannteren Bands und neuen Talenten.
Chris: Nein! Ich glaube, dass dies auch der absolut falsche Weg wäre! Unsere Ausrichtung ist dieselbe, sowohl musikalisch auch als vom Umfang und der Größe der Veranstaltung her, beispielsweise Support-Acts oder drei Bands am Abend, statt hier zu sparen! Und ich habe ganz klar auch auf gewisse Klientel und Musikrichtungen keinen Bock, selbst wenn es die Hütte voll machen würde. Wir machen auch nach wie vor nicht nur „todsichere Dinger“, wenn es so was heutzutage noch gibt, sondern auch kleinere Bands und Aufbauarbeit und haben ab und zu auch Gigs, wo nur zwanzig, dreißig Leute auftauchen im kleineren Backyard Club. Rechtfertigt zwar den ganzen Aufwand, die Kosten eigentlich nicht, aber wer weitsichtig denkt und die Szene am Leben halten will, hat die ehemals kleine Band Jahrzehnte später trotzdem noch aus Verbundenheit in seinem kleinen Club. Wir bewegen lieber andere Hebel, um die Kosten aufzufangen. Viel DIY; viel ohne Außenwirkung optimiert. Beispielsweise ist unser Gecko nicht nur eine nette Security, sondern kann auch super kochen. Oder wir haben ein neu renoviertes Bandhostel respektive Backstagewohnung und sparen damit Hotelkosten, ohne sie an irgendwen weitergeben zu müssen. Oder wir scheißen auch nach wie vor auf Eventim und Co.! Wir machen den Ticket-VVK selber, versenden grundsätzlich keine Tickets und arbeiten mit „Gästelisten“. Du kommst also an die Abendkasse, sagst deinen Namen mit dem erworbenen Ticket und hast auch noch eine persönliche „Willkommensnote“. Und es spart trotz Mehraufwand locker fünf, sechs Euro Gebühren und der Gesamtticketpreis bleibt weiterhin günstig.
Daniel: Auf keinen Fall. Wir machen das alles aus Spaß und einer engen Verbundenheit zu verschiedenen Szenen. Wir machen die Bands, die wir gut und wichtig finden. Vielleicht lehnen wir uns aber bei Festzusagen ein bisschen weniger weit aus dem Fenster.
Plüschi: Bis jetzt hat sich unser Programm nicht verändert. Das, was sich verändert hat seit der Pandemie, ist, dass man ganz schwer voraussehen kann, ob eine Veranstaltung läuft oder nicht. Das war vorher viel besser einzuschätzen. Und eins ist auch klar, unbekannte Bands haben es viel schwerer. Du hast die gleichen Produktionskosten wie bei einer bekannten Band, deshalb auch fast ähnliche Eintrittspreise. Da probiert kaum noch jemand spontan aus, ob die Band was kann. Das ist echt übel für die Aufbauarbeit, die wir als Club sehr gerne gemacht haben und die unseren Job so bereichert und belebt hat.
Tauscht ihr euch mit anderen Clubs aus, wie die damit umgehen?
Nanette: Ja, es gibt in Berlin viele persönliche Kontakte und Freundschaften unter den Club-Betreibenden und auch noch die Clubcommission, die die Vernetzung als Institution betreibt.
Flo: Ja, der Austausch mit anderen Clubs und Veranstalter:innen ist für mich sehr wichtig. Ich tausche mich regelmäßig mit Kolleg:innen aus dem clubCANN und dem Club Zentral aus, gemeinsam haben wir die „Listen Loud Group“ gegründet. In dieser Gruppe treffen wir uns regelmäßig, um Ideen auszutauschen, Probleme zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu finden. Darüber hinaus stehe ich auch in Kontakt mit den Betreiber:innen des Goldmark’s und dem Geschäftsführer großer Konzertveranstalter in Stuttgart. Diese Netzwerke sind äußerst wertvoll, da wir uns gegenseitig unterstützen und immer ein offenes Ohr füreinander haben. Solche Kooperationen stärken nicht nur unsere einzelnen Locations, sondern fördern auch das gesamte kulturelle Leben in unserer Region.
Chris: Wir kriegen natürlich auch eine Menge mit, wie beispielsweise die Pleiten, das Clubsterben aktuell rund um Düsseldorf, und dass viele Locations insbesondere bei Nachwuchs- oder „kleineren“ Bands und Touren aus Risikogründen eher verhalten bleiben. Austausch mit einigen befreundeten Locations findet auch statt. Man klagt, kämpft oder hilft sich auch mal gegenseitig. Plant etwa Auftritte in zwei Städten zusammen, wenn mit einer Show alleine die Reisekosten einer Band nicht finanzierbar sind. Aber oftmals kriegt man von den Bands oder den Bookern selber da viel mehr Input, wie sie behandelt wurden oder ob es regionale Unterschiede gibt bei Zuschauerzahlen etc. Es gibt zum Glück echt viele gute Clubs mit tollen Menschen dahinter in Deutschland. Ich weiß auch von vielen, die Bands nicht nur nach potenzieller „voller Hütte“ oder Erfolg aussuchen, sondern weil ihnen etwas daran liegt. Das macht in meinen Augen auch einen guten Club aus im Unterschied zu einer reinen Kommerz-Spielstätte.
Daniel: Klar, aber irgendwie ist es auch überall anders. Das kann man echt schlecht vergleichen. Es ist ja schon in Würzburg jeder Laden strukturell verschieden.
Plüschi: Ja, wir haben ein gutes Netzwerk und tauschen uns aus. Das ist wichtig, aber irgendwie erscheint einem die Situation im Moment als etwas aussichtslos.
Es gibt ja ganz verschiedene Arten von Venues: kommerzielle, also rein privatwirtschaftlich organisierte Clubs, soziokulturelle Zentren, von Freiwilligen und Mitgliedern geführte Räume ... Wo steht ihr da, und woraus ergibt sich hier eine unterschiedliche Betroffenheit? Mit Freiwilligen etwa ist eine Veranstaltung günstiger zu produzieren. Führt das zu einer früher nicht existierenden Konkurrenz?
Nanette: Irgendwas dazwischen. Wir haben allerdings nur noch in ganz seltenen Ausnahmefällen Freiwilligenarbeit. Mittlerweile sind alle, die hier arbeiten, auch angestellt, das heißt auch, dass wir als Team auch eine große Verantwortung haben. Insofern sind wir schon sehr betroffen. Für viele Kollegys bildet der Job im SO36 die Lebensgrundlage. Unser Verein bekommt keine institutionelle Förderung und wir streben das auch nicht an, weil wir unabhängig bleiben wollen. Ab und an gibt es aber Projektförderungen, das hilft schon sehr. Konkurrenz ist für uns nicht das AZ oder das Juzi, sondern große Konzerne, die immer mehr auch kleine Venues aufkaufen, Bands wegkaufen, das volle Programm von Verlag bis örtlichen Veranstaltern bei sich konzentrieren und die wenigen verbliebenen kleinen und freien Veranstalter:innen und Clubs plattmachen. Mit einem multinationalen Quasi-Monopolisten können wir nicht konkurrieren. Die haben sich früher nicht für Konzerte unter ein paar tausend Besucher:innen interessiert, mittlerweile nehmen die alles mit, was geht. Hier können wir nur hoffen, dass es genug Bands und Künstler:innen gibt, die sich nicht vom schnellen Geld kaufen lassen, sondern dem DIY-Gedanken verbunden bleiben.
Flo: Das Jugendhaus West ist ein Teil der Stuttgarter Jugendhaus gGmbH. Unser Ansatz unterscheidet sich von kommerziellen Clubs, da wir nicht primär gewinnorientiert arbeiten, sondern einen kulturellen und sozialen Auftrag erfüllen. Die Finanzierung erfolgt auch über öffentliche Mittel, was uns gewisse Freiräume verschafft. Wir versuchen jedoch, den Konzertbereich weitgehend eigenständig zu finanzieren. Das bedeutet, dass die Einnahmen von Veranstaltungen dazu verwendet werden, zukünftige Konzerte zu finanzieren. Neben den öffentlichen Mitteln ist es also ein Ziel, dass sich der Bereich über die Einnahmen selbst trägt. Ein wesentlicher Bestandteil unseres Erfolgs ist unser fantastisches ehrenamtliches Team. Sie unterstützen mich bei allen Konzerten, ohne ihren unermüdlichen Einsatz wären viele unserer Veranstaltungen nicht möglich, und das für eine geringe Aufwandsentschädigung. Ich bin unglaublich dankbar für jede:n Einzelne:n von ihnen – sie sind eine unschätzbare Unterstützung und tragen maßgeblich zum Gelingen unserer Konzerte bei. In Bezug auf die Konkurrenz sehe ich eher eine Ergänzung als einen Wettbewerb. Wir profitieren von den unterschiedlichen Ansätzen und arbeiten zusammen, um die lokale Kulturszene zu stärken. Der Fokus liegt auf der Vielfalt und der Förderung kultureller Angebote, ohne ausschließlich kommerzielle Interessen in den Vordergrund zu stellen.
Chris: Wir sind nach deiner Definition „kommerziell“ und müssen zumindest ohne Verlust, besser gewinnorientiert arbeiten. Das heißt wir kriegen keine Förderungsgelder, oder haben eine Stadt, die unser Objekt trägt. Stattdessen Personal, für das wir eine Verantwortung haben, Miete und – was immer gern vergessen wird – auch andere Pflichten und Prüfungen auf eigene Kosten zu erfüllen. Wer sich einmal mit der Versammlungsstättenverordnung, mit Brandschutz, Lüftung, Technik bis zu entsprechenden baulichen Maßnahmen befasst hat, kann sich vorstellen, wie teuer und aufwändig diese wiederkehrenden Sonderkosten mittlerweile sind. Die Prüfer und Firmen langen da richtig zu und vieles ist schlicht Bürokratie und typisch Deutsch. Auf den zweiten Blick hinter die Kulissen geschaut, habe ich auch nach zehn Jahren kein Gehalt oder Einkommen als Geschäftsführer. Geht einfach nicht! Man könnte mich also als Freiwilligen bezeichnen. Bei Sunny haben wir irgendwann gesagt: Jetzt reicht’s, das muss sich schon fair die Waage halten. Also du hast recht, natürlich kann ein AJZ vieles günstiger bewerkstelligen, anders rangehen. Ich finde dennoch nicht, dass es zu „Konkurrenz“ führen muss ... weder früher noch heute. Ich ziehe meinen Hut vor diesen Freiwilligen, die wesentlich dafür verantwortlich sind, Subkultur mit aufzubauen und ein vielfältiges Kulturangebot mit Nischen bereichern. Seien wir doch ehrlich: Es gibt jede Menge Spielstätten und Konzerthallen und Veranstalter, die erst aufspringen, wenn es finanziell lukrativ ist oder „etabliert dem Underground entwachsen“. Also zusammengefasst Koexistenz statt Konkurrenz. Manchmal nervt es nur, wenn der eine oder andere AJZ-Gast rumtrollt, weil die Getränkepreise eines Clubs logischerweise anders sind als in einem AJZ. Ich kann keine Kiste Astra beim Discounter-Getränkemarkt kaufen und 1:1 weitergeben. Ich muss meine ganzen laufenden Kosten da eben mit einrechnen.
Daniel: Das ist unser großer Trumpf, wir sind auf jeden Fall auf der soziokulturellen Schiene, DIY or die. Bei uns kriegt keiner Geld, auch keine Ehrenamtspauschalen oder irgendwas. Vom Techniker bis zum Barboy. Wir machen das, weil wir Bock drauf haben. Jede:r ist komplett into it und meistens schon lang in seiner/ihrer Szene unterwegs. Das nimmt finanziell natürlich viel Druck raus.
Plüschi: Das in der Frage stimmt in gewissem Rahmen. Wenn du ein Soziokulturelles Zentrum mit einer anständigen institutionellen Kulturförderung bist und du noch weitere Komplementär-Förderungen beantragen kannst, hast du es wahrscheinlich tendenziell einfacher und kannst auch andere Gagen anbieten. Unterm Strich brauchst du aber fähige Booker, die das dann auch umsetzen können. In der Hackerei sind wir ein Konglomerat aus Verein und Einzelunternehmen. Das hat sich so ergeben, als wir das Ganze eröffneten, und erschien uns als schlüssige Form. Der Verein SAU e.V. macht alle Live-Veranstaltungen ausschließlich in der Hackerei. Er ist gemeinnützig und bekommt eine kleine institutionelle Förderung der Stadt Karlsruhe. Leider reicht die hinten und vorne nicht und jetzt schon gar nicht mehr. Die Hackerei ist aber von den Veranstaltungen des Vereins abhängig, ohne die geht auch das Geschäft nicht. Über die Hackerei wird die Gastro, Angestellte, Löhne, Pacht, Strom, Nebenkosten etc. abgewickelt.
Was hat sich beim Booking von Bands verändert? Gibt es jetzt andere Deals?
Nanette: Wir müssen sehr viel genauer gucken, ob eine Band voraussichtlich auch genug Gäste anlockt, damit wir keinen Verlust machen. Dementsprechend wird auch anders kalkuliert. Dass wir uns als Punkrock-Schuppen so viel mit diesem BWL-Kram befassen müssen, um heutzutage klarzukommen, gefällt uns wirklich gar nicht!
Flo: Seit der Pandemie hat sich das Booking von Bands verändert. Bands fragen jetzt oft viel langfristiger an, als es vor der Pandemie der Fall war. Aktuell habe ich bereits Anfragen für Februar 2026, was für eine kleinere Location wie unsere ungewöhnlich ist. Diese frühzeitige Planung ist eine Reaktion auf die Unsicherheiten der letzten Jahre und ermöglicht es den Bands, ihre Touren besser zu organisieren. Ein weiterer Trend ist der Anstieg der Gagen. Auch die Eintrittspreise werden zunehmend von den Agenturen vorgegeben, was in der Regel kein großes Problem für mich darstellt, aber die finanziellen Rahmenbedingungen beeinflusst. Die gestiegenen Kosten sind allgemein spürbar, und ich erlebe immer häufiger, dass Bands anstelle unseres Bandapartments im Haus ein Hotel benötigen, was zusätzliche Ausgaben verursacht. Beim Booking arbeite ich sowohl direkt mit den Bands als auch mit Booking-Agenturen zusammen. Diese doppelte Herangehensweise hilft mir, ein abwechslungsreiches Programm zu gestalten und gleichzeitig die logistischen und finanziellen Aspekte zu koordinieren. Trotz der Herausforderungen versuche ich, faire und transparente Bedingungen zu schaffen, um eine gute Zusammenarbeit mit den Bands und Agenturen aufrechtzuerhalten. Es ist mir wichtig, eine Balance zwischen den finanziellen Anforderungen und den Möglichkeiten unseres Hauses zu finden.
Chris: Wir praktizieren zum Großteil schon immer die Mischung aus fairen Guarantees versus Prozente ab der ersten Eintrittskarte. Und so manche Bands haben dadurch Auszahlungen erhalten, die sie bei ihren üblichen Festgagen nie erreicht hätten. Allerdings sind wir etwas vorsichtiger an Wochentagen geworden. Da gibt’s teilweise echte Überraschungen, je nachdem welche Subkultur oder welches Szenepublikum die Zielgruppe ist. Mal hast du plötzlich ein gut gefülltes Venue, manchmal gibt’s gähnende Leere. Da spielen so viele Faktoren mit rein ... die kannst du alle gar nicht berücksichtigen bei der Planung. Woran wir uns klar nicht beteiligen, sind manche Praktiken anderer Locations, die vorab hohe Festgagen versprechen und andere überbieten und danach absagen, wenn der VVK nicht läuft. Da gibt es im Ruhrpott tatsächlich ein oder zwei Clubs, die das so praktizierten. Und darüber bin ich immer noch mächtig angepisst! Es ist unfair gegenüber allen Beteiligten, aber das kriegen die Booker und Bands auch mit und suchen sich nächstes Mal wieder „solidere Partner“, nachdem sie eine Woche vor der Show plötzlich einen Offday hatten, dank Absage.
Daniel: Wir sind definitiv vorsichtiger bei Festzusagen. Sonst ist alles wie gehabt.
Plüschi: Ja, das ist teilweise ein riesiges Problem. Plötzlich verlangen die Bands 50 bis 75% mehr Gage als im Vorjahr. Und das, obwohl ja nicht tendenziell mehr Leute auf Konzerte gehen. Im Grunde müssten wir, anstatt einen 60/40-Deal anzubieten, einen 50/50 anbieten, aber irgendwie werden wir immer wieder mit 70/30-Deals konfrontiert. Die Minimumgarantien sind alle in die Höhe geschossen. Die Booker sind weniger verhandlungsbereit und verstehen manchmal nicht, dass es ohne kleine Clubs keine kreative Szene mehr gibt. Auf der einen Seite ist es auch komisch, dass die Bands, die bei uns touren und vollen Service bekommen mit Arrival-Snack, Getränke nach Rider, Hotel mit Einzelzimmer, eine Woche später durch England touren ohne Pennplätze oder Hotel, Catering, Freigetränke und kaum Gage. Aber das möchten wir ja so überhaupt nicht anbieten. Die Festivals versauen meiner Meinung nach die Gagen-Forderungen zusätzlich und sind die Achillesferse für den Clubbetrieb.
Angeblich gehen Menschen heute spontaner zu Konzerten – oder tauchen trotz Ticket nicht auf. Beobachtet ihr das auch? Wie geht ihr damit um?
Nanette: Dass nicht wenige Leute trotz Ticket nicht auftauchen, können wir bestätigen, vielleicht war das aber auch schon immer so und es fällt jetzt wegen der ganzen Scanner-Tickets und der dazugehörigen Technik einfach mehr auf. Gerade für internationale Acts ist es schwierig, wenn die Vorverkäufe schlecht sind. Das Risiko mit den Kosten für Flüge, Tourbus und so weiter ist dann hoch. Seit Corona hat das zu einigen Tour-Absagen geführt. Was sollen wir tun? Wir appellieren an die Leute, den VVK zu nutzen ... und im Zweifelsfall sagen auch wir manchmal was ab.
Flo: Früher kam es häufiger vor, dass Besucher:innen spontan zu Konzerten kamen, oft ohne die Band zu kennen. Diese Art von Konzertbesucher:innen hat stark abgenommen. Zwar erleben wir gelegentlich noch spontane Besuche, aber der Trend zeigt eine stärkere Nutzung des Vorverkaufs. Besonders dieses Jahr habe ich festgestellt, dass viele Konzerte im Voraus ausverkauft waren – sowohl bei bekannteren Bands als auch bei neuen Stuttgarter Acts. Die No-Show-Quote ist bei uns in der Regel sehr niedrig. Wenn jemand kurzfristig verhindert ist, wird das Ticket oft weitergegeben. Wenn es die Kapazität zulässt, bieten wir auch eine Abendkasse an, damit man auch spontan ein Konzert besuchen kann. Um den Besucher:innen entgegenzukommen und die Situation transparent zu halten, informiere ich regelmäßig über den aktuellen Ticketstand und weise auf knapp werdende Kontingente hin. So bleiben unsere Gäste informiert.
Chris: Die „No-Shows“-Hochphase ist vorbei und eigentlich fast auf dem Niveau wie vor Corona. Der Vorverkauf – außer bei schnell zu erwartendem Ausverkauf und Ausnahmebands – ist aber immer noch viel verhaltener. Das ist schon ein Problem, insbesondere wenn man zwei Wochen vor dem Konzert erst eine Handvoll Tickets weg hat und eigentlich die Reißleine ziehen müsste. Die Leute entscheiden sich auf jeden Fall spontaner als früher. Aber auch hier gibt’s Unterschiede. Wenn du zum Beispiel ein Psychobilly-Konzert veranstaltest, ist das ganz normal. Da ist nicht viel mit Vorverkauf. Das hängt sicherlich auch mit dem Alter zusammen und mangelndem Nachwuchs. Wenn du allerdings bei einer Ska-Punk-Band für ein jüngeres Publikum keinen großen Vorverkauf hast, sollten die Alarmglocken schrillen. Wir haben das Glück, noch den kleineren Backyard Club zu haben mit Kapazität für bis zu 120 Gäste. Und dementsprechend organisieren wir uns halt kurz vorher und verlegen nach vorne oder hinten. Ich kann das komplette Venue ja nicht dafür am Wochenende blockieren und versuche es halt dann mit dem „Pub- und Biergarten-Publikum“ aufzufangen, was ich sonst nicht bedienen könnte.
Daniel: Definitiv. Der Vorverkauf ist echt eine Katastrophe. Und das macht die Planung schwierig. Und du zitterst bis kurz vor knapp. Keine Ahnung, ob sich das wieder ändert. Das mit den Tickets stresst mich nicht, habe mir schon überlegt, ob das vielleicht Solibeiträge sind, von Leuten, die den Laden supporten wollen, aber aus irgendwelchen Gründen halt nicht auf die Shows kommen können oder wollen.
Plüschi: Ja, erscheint uns auch so. Vorverkäufe, wenn sie laufen, ziehen erst sehr spät an. Und dann kommen ca. 10% nicht. Da hat man aber im besten Fall schon kommuniziert, dass die Show ausverkauft ist. Dann kommt kaum noch jemand an die Abendkasse. Haben wir so gut wie keinen Vorverkauf für eine Show, kommt sehr sicher auch kaum jemand spontan zu diesem Konzert.
Habt ihr einen Besucherrückgang bei einer bestimmten Zielgruppe beobachtet? Hat sich euer Publikum seit der Pandemie verändert?
Nanette: Unser Eindruck ist, dass diese „Pause“ von drei Jahren auf die frühen Punkrock-Generationen einen großen Einfluss hatte. Menschen um die sechzig waren früher regelmäßig bei Punk/Hardcore-Shows, dann gab’s keine und jetzt ist man aus dem Training, hat sich was anderes gesucht und kommt nicht mehr so richtig in die Gänge wie früher. Ich kann diesen Effekt jedenfalls bei mir selbst und Freund:innen beobachten und wir sehen es auch an unserem Publikum. Gleichzeitig ist die nächste Generation gar nicht so richtig nachgewachsen ... gab ja nix. Auch hat sich das Ausgehverhalten der ganz jungen Leute ziemlich verändert. Wir sind selbst noch nicht ganz klar, wie sich das entwickeln wird, ob es ein „wie früher“ geben wird ...
Flo: Wir haben keinen merklichen Besucher:innenrückgang bei einer bestimmten Zielgruppe festgestellt. Im Gegenteil, schon die ersten Konzerte nach den Pandemie-bedingten Einschränkungen waren sehr gut besucht und oft ausverkauft. Es schien, als seien die Leute besonders „heiß“ darauf, wieder das Live-Konzert-Gefühl zu erleben. Natürlich gab es anfangs mehr Vorsicht, wie etwa Abstand halten, Händedesinfektion und das Begrüßen mit dem Fuß. Diese Maßnahmen haben sich aber weitgehend eingespielt und sind weniger ausgeprägt. Insgesamt haben wir ein sehr positives Feedback erhalten und sehen eine Mischung aus unseren treuen Stammgästen und vielen neuen Besucher:innen, die zu unseren Shows kommen. Das freut uns sehr und zeigt, dass unser Programm und unser Engagement, trotz der Herausforderungen, gut ankommen.
Chris: Allgemein würde ich sagen: Kein Besucherrückgang. Es gibt Bands, die irgendwie alle paar Wochen aufkreuzen, es einfach übertreiben und mit der Zeit eben weniger Leute ziehen. Das Publikum hat sich aber nicht sonderlich verändert. Ich denke, unser Einzugsgebiet ist noch größer geworden und das fängt das auf. Aber das führe ich nicht auf die Pandemie zurück, sondern darauf, dass das Don’t Panic nun mal eine überregional beliebte Anlaufstelle ist. Es gibt tatsächlich viele Leute, die sich auch eine Location aussuchen und selbst wenn die Band in ihrer Nähe auftritt, lieber den weiteren Weg auf sich nehmen. Sei es wegen Laden und Atmosphäre oder weil du halt hier die Bekannten triffst, mit denen du lieber den Abend genießen willst als mit irgendwelchen Hipstern.
Daniel: Also das Punk-Publikum ist wieder da, da gab es auch nicht so viel Fluktuation. Wir sind Unistadt, da kommen immer mal ein paar Junge dazu.
Plüschi: Wir merken, dass Punk alt geworden ist. Es ist sehr schwer, junge Menschen in unsere Location zu locken, sei es wegen des Geldes oder weil es sie nicht interessiert. Wir überlegen sehr viel, wie man es schafft, ohne Techno-Musik junge Leute anzusprechen. Die alten Stammkunden kommen nach wie vor zu den Konzerten. Allerdings hat sich das Ausgehverhalten so verändert, dass es kaum mehr Sinn macht, bis morgens um fünf Uhr aufzulassen. Das war vor der Pandemie anders.
Was wünscht ihr euch seitens der (Kultur-)Politik, im Bund wie lokal?
Nanette: Argh ... da ist so viel, das falsch läuft ... aber da im Moment eher die Arschlöcher am Systemwechsel arbeiten als „die Guten“, hier ein paar konkrete Wünsche: Dieser völlig idiotische, anachronistische Autobahnausbau der A100 hier in Berlin muss unbedingt verhindert werden. Clubs und Konzerträume sollten als Kulturstätten anerkannt und unter Schutz gestellt werden. Eine Gewerbemietrechtsreform mit besonderem Schutz von Kultur- und sozialen Einrichtungen muss her. Hier in Berlin sehe ich zum Beispiel auch ganz viel Potenzial in so Räumen wie Flughafen Tegel oder Tempelhof, da könnten prima Proberäume, Clubs, Konzerträume hin. Weg mit der kapitalistischen Verwertungslogik von Landes- und Bundeseigentum! Die Potse und der Drugstore sollen endlich die lang versprochenen Räume bekommen, statt weiter hingehalten und verarscht zu werden.
Chris: Ach, im Grunde genommen wünsche ich mir nur, weiterhin in Ruhe gelassen zu werden. Es bringt doch eh nichts, sich darüber aufzuregen oder denen einfachste Negativeffekte aufzuzeigen: Schön, wenn es „Umsonst und draußen“-Veranstaltungen gibt und man damit als Politiker vor die Presse und Wähler treten kann, um zu zeigen, was man so alles für die Kultur tut. Blöd nur, wenn man dadurch eine subventionierte Ungleichheit schafft, die für Clubs insbesondere im Sommer eine noch härtere Überlebenszeit bedeuten. Ganz, ganz blöd, wenn man den Bands nach dem „Dabei sein ist alles“-Motto fast keine Gage zahlt, weil ja die Stadt kein Geld hat, und man mit Publikum, Ruhm und Reichweite lockt. Und scheiße unfair, wenn man sich das Geld als Stadt/Land/Bund dann aber über die Clubs mit immer weiter steigenden Steuern und Abgaben zurückholt ...
Daniel: Wir haben ein echt gutes Standing in der Stadtkultur und kriegen viel Wertschätzung und Unterstützung. Letztes Jahr haben wir für unser Programm eine Live-Prämie bekommen. Ich denke, da haben wir in Würzburg einfach Glück.
Plüschi: Wir waren sehr zufrieden mit den Hilfsfonds, die während der Pandemie von der Initiative Musik und vom Bund vergeben wurden. Diese haben uns extrem geholfen. Wir wünschen uns, dass sowohl der Bund wie auch die Städte, unsere kulturelle Arbeit anerkennen und finanziell besser unterstützen. Und ganz ehrlich, wir benötigen vielleicht 40.000 bis 60.000 Euro pro Jahr bei rund 115 Veranstaltungen. Das sind doch lächerliche Beträge verglichen mit anderen Förderprojekten.
Und was rettet ganz aktuell und konkret euren Arsch?
Nanette: If the kids are united ... Wir haben aktuell ein gutes Team mit fitten Leuten, die sich den Arsch aufreißen, um den Laden zu erhalten. Außerdem erfahren wir immer wieder auch aus unerwarteten Richtungen Solidarität und Unterstützung. Das hat uns durch all die Krisen der letzten 34 Jahren getragen.
Flo: Was mir besonders den Rücken stärkt, ist der Umstand, dass wir im Jugendhaus nicht auf Gewinn ausgerichtet arbeiten müssen. Natürlich versuche ich, die Konzerte so zu planen, dass sie sich selbst tragen, aber es ist nicht zwingend erforderlich, dass jede Veranstaltung schwarze Zahlen schreibt. Das nimmt schon mal viel Druck von den Schultern. Ein weiterer wichtiger Faktor ist mein großartiges Ehrenamtsteam. Ohne das Engagement der Ehrenamtlichen wäre vieles einfach nicht machbar. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle an euch alle! Auch unseren (Stamm-)Gästen möchte ich ein herzliches Dankeschön aussprechen. Wir haben wirklich Glück, so tolle und loyale Besucher:innen zu haben. Die vielen positiven Rückmeldungen, die bei mir und meinem Konzertteam ankommen, sind eine riesige Motivation, um genauso weiterzumachen. Nicht zu vergessen ist das stetige Interesse von Bands und Booking-Agenturen, im JuHa West aufzutreten – das ist überwältigend. Es sind all diese verschiedenen Faktoren, die uns aktuell wirklich den Rücken freihalten. Dazu kommen noch die hervorragenden Rahmenbedingungen, die mir ermöglichen, meinen Beitrag zur Subkultur zu leisten. Auch nach all den vielen Jahren bin ich immer noch dankbar und sehr glücklich über meinen Arbeitsplatz.
Chris: Unsere Gäste und die „Panic-Family“, was natürlich auch unser Team einschließt! Kreativität statt Jammerei. Und ein bisschen Nachwuchs wäre nicht schlecht. Das ist ein Riesenproblem und wieder ein ganz anderes Thema, womit du ein Heft füllen könntest...
Daniel: Die Leute, die den Laden für lau schmeißen und die subkulturelle Fahne hochhalten, die sind gesellschaftlich gerade wichtiger denn je. Und natürlich die, die kommen und dem Ganzen Leben einhauchen. Das ist so essentiell. Davon lebt das ganze Szene-Biotop. Geht auf Konzerte, Leute!
Plüschi: Geld.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #176 Oktober/November 2024 und Joachim Hiller