Die Australian Punk Explosion nimmt ihren Lauf. Quasi im Minutentakt stranden aufregende Punkbands aus Down Under in Europa. Die jüngste Welle fing an mit Bands wie AMYL AND THE SNIFFERS oder CLOWNS. Dann kamen GRINDHOUSE, PRIVATE FUNCTION oder PRESS CLUB. Die meisten von ihnen stammen aus Melbourne. Mit C.O.F.F.I.N steht jetzt auch ein High-Voltage-Quartett aus Sydney auf der Rampe. Mit einem Sound zwischen AC/DC, RADIO BIRDMAN und MOTÖRHEAD. Sehr groovig, voller Energie. Vergangenes Jahr hat die Band ihr aktuelles Album „Australia Stops“ bei Bad Vibrations in Europa veröffentlicht. Aufgenommen von Jason Whalley (FRENZAL RHOMB). Wir haben C.O.F.F.I.N vor ihrem Konzert im Club Stereo auf ein Augustiner Helles in Nürnberg getroffen und erfahren, woher der merkwürdige Bandname kommt.
C.O.F.F.I.N ist eine Abkürzung und steht für „Children Of Finland Fighting In Norway“. Woher kommt dieser seltsame Name?
Ben: Der ist entstanden, als wir etwa elf Jahre alt waren. Wir waren damals bei einer Show für Minderjährige in unserer Gegend. Zu dieser Zeit haben Abijah, unser ehemaliger Gitarrist Arthur und ich in unseren Kinderzimmern gejammt. Damals haben wir alle paar Wochen unseren Bandnamen gewechselt. An diesem Abend ist Arthur zum Veranstalter gegangen und hat ihn gefragt, ob wir auch mal spielen dürfen. Der Typ fragte ihn, wie unsere Band heißt, und Arthur sagte spontan: Children Of Finland. Ich schätze mal, weil wir damals viel Metal aus Skandinavien wie DIMMU BORGIR oder CHILDREN OF BODOM gehört haben. Der Typ sagte: Heute sind wir voll, aber beim nächsten Mal seid ihr dabei. Arthur kam zu uns und sagte, er hätte uns als Children Of Finland angekündigt. Was für ein furchtbarer Name. Also beschlossen wir so zu tun, als ob es eine Abkürzung wäre. Wir verlängerten den Namen zu Children Of Finland Fighting In Norway und verwendeten nur noch die Abkürzung C.O.F.F.I.N Es hat keine Bedeutung und stammt aus den Hirnen von Elfjährigen. Der Name ist also pubertärer Scheiß, haha.
Ihr kommt nicht wie viele andere australische Punkbands wie CLOWNS, AMYL AND THE SNIFFERS oder PRIVATE FUNCTION aus Melbourne, sondern aus Sydney wie AC/DC. Was ist der Unterschied zwischen Sydney und Melbourne?
Ben: Melbourne ist natürlich großartig. So viele geniale Bands kommen von dort. Sydney versprüht andere Vibes. Als Band dort zu überleben, ist viel härter, weil es viel weniger Venues gibt. Viel weniger Gelegenheiten, live zu spielen. In Melbourne kannst du jeden Tag in der Woche zwischen mehreren tollen Shows auswählen. Da gibt es einfach eine lebendige, florierende Musikszene. Unser neuer Bassist Costy kommt aus Melbourne. Sydney ist bekannt für seine Natur und ist als Stadt viel schöner, finde ich. Melbourne ist ein dreckiges Scheißloch, hat aber eine großartige Szene für Musik, Theater und Kunst, haha. Bands aus Melbourne pflegen eine gewisse Rivalität mit Sydney, aber Leute aus Sydney interessiert das überhaupt nicht. Unsere größte Fanbase ist in Melbourne, wir spielen gerne dort und haben jede Menge Freunde dort. Die Leute fragen uns immer, warum wir nicht umziehen, aber wir denken, in Melbourne würden wir irgendwann durchdrehen. Wir bleiben lieber an der sonnigen Küste von Sydney.
Gibt es einen typischen Sydney-Sound?
Ben: Keine Ahnung. Für mich steht Melbourne mehr für Kunst und Sydney für straighten Rock’n’Roll. Aus Melbourne kommen Typen wie Nick Cave und aus Sydney kommen Bands wie RADIO BIRDMAN. Brisbane ist in meinen Augen übrigens die goldene Mitte der beiden Städte. THE SAINTS kommen von dort. Die haben diesen komischen Kunststyle mit straightem Rock’n’Roll verknüpft. Aus Brisbane kommt heute noch jede Menge cooles Zeug. Zum Beispiel THE CHATS, die sind von der Sunshine Coast in Queensland, ein paar Kilometer nördlich von Brisbane.
Sydney hat jede Menge Rock’n’Roll-Geschichte geschrieben. Habt ihr Verbindung zu anderen Punkbands wie FRENZAL RHOMB, HARD-ONS oder RADIO BIRDMAN?
Ben: Zu FRENZAL RHOMB haben wir eine starke Verbindung. Deren Sänger Jay hat unsere letzten drei Alben aufgenommen, weil er ein Studio in Sydney hat. Mit ihm und seiner Band sind wir sehr gut befreundet. RADIO BIRDMAN habe ich zum ersten Mal nach einem Konzert in München getroffen, da waren sie nicht besonders freundlich zu mir. Nach der Show bin ich auf sie zugegangen und habe von ihnen und ihrem Konzert geschwärmt. Deniz Tek und Rob Younger saßen ziemlich grumpy im Backstage und haben fast nichts geantwortet. Die waren voll sauer, weil gleichzeitig die Fußballweltmeisterschaft lief und die Show nicht ausverkauft war. Natürlich sind RADIO BIRDMAN ein massiver Einfluss für uns und wir haben sie erst kürzlich bei ihrer Show zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum in Sydney gesehen. Das war eines der besten Konzerte, die ich je gesehen habe. Absolute Legenden und eine der besten australischen Bands aller Zeiten.
Und die Jungs von AC/DC? Trifft man Angus Young vielleicht in Sydney im Supermarkt?
Ben: Nicht wirklich. Aber in der Generation meiner Eltern hat jeder in Australien eine persönliche AC/DC-Story auf Lager. Diese Jungs sind hier natürlich kulturelle Ikonen und deshalb spielen wir auch immer wieder Songs von AC/DC in unserem Set.
Aaron: Mein Vater hat früher in Adelaide gelebt und war dort Nachbar von Bon Scott. Der hat gleich gegenüber gewohnt. Das war allerdings vor seiner Zeit bei AC/DC. Meine Mutter hat mal meine Oma in einen abgewrackten Pub nach Bondi mitgenommen, um die Band zu sehen. Danach sagte sie: Ich habe es gehasst, es war so furchtbar laut. Aber dieser Bon Scott hat mir sehr gut gefallen, haha.
Abijah: Ron Carpenter war mein Musiklehrer an der Highschool. Er war der Drummer von AC/DC, kurz bevor sie berühmt wurden. Der war immer ein bisschen merkwürdig, weil er irgendwann realisiert hat, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er bei AC/DC geblieben wäre. Er hatte damals entschieden, die Band zu verlassen, weil sie nur Coversongs gespielt haben und es nach seiner Meinung nie schaffen würden, irgendwas zu erreichen. Ein paar Jahre später waren sie eine der größten Bands der Welt, haha.
Vor zwei Jahren wart ihr mit AMYL AND THE SNIFFERS in Europa unterwegs. Was sagt ihr zum großen Erfolg der Band? Welche Bedeutung haben sie für die australische Punk-Szene?
Abijah: Jede Band, die in Europa bekannt wird, ist eine große Hilfe für andere australische Bands. Gerade die Tour mit AMYL AND THE SNIFFERS hat uns wirklich weitergebracht, selbst einen Fuß in die Tür zu bekommen. Das war natürlich großartig.
Ben: AMYL AND THE SNIFFERS sind sehr gute Freunde von uns. Sie sind unglaubliche Pioniere und Unterstützer der australischen Musikszene. Dabei musste vor allem Amy als Frau jahrelang harte Kritik einstecken. Von dummen weißen Typen, die Angst vor Frauen in der Szene haben. Deshalb ist ihr Support gerade für Bands mit Musikerinnen nicht hoch genug einzuschätzen. Sie haben den Weg für unzählige Bands geebnet und das nicht nur in Australien. Schau dir mal Bilder von ihren Konzerten an. Vor fünf Jahren wären da nur Männer gewesen, jetzt besteht fast die Hälfte des Publikum aus Besucherinnen. Sie haben durchgesetzt, dass Rock’n’Roll für jeden da ist. AMYL AND THE SNIFFERS verdienen all die Sympathien, die ihnen inzwischen entgegen fliegen, weil sie dafür sehr hart gearbeitet und ganz schön gelitten haben.
Euer aktuelles Album heißt „Australia Stops“. Was bedeutet das?
Ben: Dieser Ausdruck stammt von den Schmutzfängern von Trucks, die bei uns unterwegs sind. Der vollständige Satz lautet: „Without Trucks, Australia Stops“. Also: „Ohne LKW geht in Australien gar nichts.“ Ein Spruch von australischen Rednecks, die wir eigentlich nicht mögen. Aber dieser Spruch steht für diese Working-Class-Attitüde, die wir schätzen. Als Albumtitel verwenden wir diesen Ausdruck aber anders. Australien hat jede Menge tolle Musik, Natur und Menschen zu bieten. Aber wir tun uns unheimlich schwer damit, die Bremse reinzuhauen und Dinge zum Positiven zu wenden. Auf politischer oder sozialer Ebene, aber auch was den Umweltschutz betrifft. Der Rest der Welt ist uns immer einen Schritt voraus. Zum Beispiel bei der Ehe von Gleichgeschlechtlichen oder der Wertschätzung von Ureinwohnern. Wir nehmen uns selbst aber nicht zu ernst. Für uns ist Rock’n’Roll eine Kombination aus Ernsthaftigkeit und Spaß. Wir bewegen uns also in einer Welt zwischen Truckern und tiefergehenden Gedanken.
In euren Texten geht es neben pubertärem Quatsch auch um ernste Themen wie Aborigines oder Klimawandel. Auf dem Textblatt von „Australia Stops“ habt ihr euren Respekt vor den Ureinwohnern ausgedrückt. Warum ist euch das wichtig?
Ben: Uns war es wichtig zu erwähnen, dass dieses Album auf dem Land des sogenannten Gadigal Clans aufgenommen wurde. Das ist eine Großfamilie im Aborigines-Stamm der Eora. Dieser Clan lebte in New South Wales und starb durch die Pockenepidemie im 18. Jahrhundert fast aus. Dieses Gebiet heißt jetzt Sydney. In unseren Augen läuft die Erziehung, was unsere Geschichte betrifft, völlig falsch. Wir betrachten es als Verrat, im sonnigen Australien aufzuwachsen und zu behaupten, alles wäre prima gelaufen. So sind wir in der Schule erzogen worden. Es gibt aber eine langjährige rassistische Geschichte Australiens, für die wir uns schämen müssen. Da wurde eine wunderschöne Kultur einfach vernichtet, von der wir heute genauso gut profitieren könnten. Deshalb halten wir es für wichtig, darauf hinzuweisen und die Kultur der Aborigines zu feiern, soweit das heute noch möglich ist. Für uns als „neue Australier“ ist das sehr wichtig. Deshalb hören wir viel zu, lernen jeden Tag und beteiligen uns an Demonstration für die Rechte von Aborigines. Das kann zur Heilung beitragen und helfen, die Barrieren zwischen dem alten und dem neuen Australien einzureißen.
Auf dem Artwork von „Australia Stops“ ist ein lustiges Foto, das zeigt, wie ihr von einem Schiff namens „Freshwater“ ins Wasser springt. Welche Geschichte steckt dahinter?
Ben: Das Bild ist im Hafen von Sydney entstanden. Dort legen Fähren an, die wie Busse oder Straßenbahnen auf dem Wasser funktionieren. Die populärste Verbindung besteht zwischen Manly Wharf und Circular Quay. Also eine Verbindung zwischen den Küsten mit den Stränden im Norden der Stadt, wo wir aufgewachsen sind, und der Stadtmitte. Die Fahrt dauert ungefähr eine halbe Stunde. Diese Fährverbindung war schon immer sehr wichtig für uns. Es war unser erster Weg aus den verschlafenen Vororten unserer Kindheit in die aufregende Großstadt, in der wir Musik und Skateboarding für uns entdeckt haben. Diese Fähre hat uns zu dem Leben gebracht, das wir immer gesucht haben. Schon als Teenies haben wir immer Witze gemacht, wie großartig es wäre, von dieser Fähre aus ins Wasser zu springen. Und irgendwann haben wir es eben gemacht. Wir haben unseren Freund Dougal Clearwater gebeten, sich mit seiner Kamera ans gegenüberliegende Ufer zu setzen, und sind dann auf Kommando reingesprungen. Dann sind wir einfach ans Ufer geschwommen, in ein bereitstehendes Auto gesprungen und abgehauen, haha. Das war gefährlich, weil dort jede Menge Fähren mit riesigen Schiffsschrauben unterwegs sind.
Euch unterscheidet von anderen australischen Bands, dass du gleichzeitig singst und Schlagzeug spielst. Wie kam das?
Ben: Ursprünglich waren wir ein Trio. Arthur, Abijah und ich. Arthur konnte nicht gleichzeitig Gitarre spielen und singen. Deshalb haben Abijah und ich uns den Gesang geteilt. Ich hatte Bock drauf und konnte das auch, also habe ich irgendwann die Lead Vocals komplett übernommen. So ist es bis heute geblieben. Dadurch hatten wir lange so einen Exotenstatus, weil man bei uns den Sänger nie so richtig sehen kann. Bei uns ging es aber immer um Freundschaft, deshalb haben wir nie darüber nachgedacht, einen Sänger von außen dazuzuholen. Inzwischen sind wir bekannt dafür, das ist unser Markenzeichen. Das macht unsere Live-Performances einzigartig. Bei uns liegt der Fokus nicht auf einem Frontmann, wir sind eher eine Einheit aus Lärm und Sound. Ich finde, das motiviert das Publikum ganz anders als eine Person mit Mikro in der Hand. Bei unseren Shows verschmilzt die Band irgendwann mit dem Publikum. Alle sind gleich wichtig.
Wie sehen eure aktuellen Pläne aus? „Australia Stops“ ist schon wieder ein Jahr alt.
Aaron: Wenn wir von unserer Europatour zurück sind, konzentrieren wir uns wieder auf neue Songs. Wenn alles gut läuft, gehen wir im Januar ins Studio. Nächsten Sommer, wenn wir wieder nach Europa kommen, haben wir ein neues Album dabei. So lautet zumindest der Plan.
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