Wir hatten im letzten Ox bereits darüber berichtet, inzwischen ist sie da: Weird System Records veröffentlichten dieser Tage mit dem „Wenn kaputt dann wir Spass - Berlin Punk Rock 1977-1989“-Sampler eine wirklich herausragende Compilation zur Punkrock-Geschichte Berlins und zu einer Ära deutscher Underground-Kultur, die an Wichtigkeit kaum zu überschätzen ist.
Bands von SURROGAT bis zu TERRORGRUPPE, von ATARI TEENAGE RIOT bis BEATSTEAKS beziehen sich direkt auf diese Jahre. Dabei ging in Berlin alles eine Runde schneller und härter zur Sache als anderswo. Berlin hatte - diese Meinung kann man vertreten, auch wenn die Düsseldorfer oder Hamburger da sicher anderer Meinung sind - die wahnwitzigsten Gruppen, die genialsten Ideen, die extremsten Texte, die heftigsten Drogen, die meisten Clubs, das beste Publikum und natürlich auch das fertigste Publikum.
Diese Stadt und ihre Szene waren in jedem Fall eine Klasse für sich. Grund genug für das Ox, sich in dieser Ausgabe einmal näher mit dem zu beschäftigen, was viele Leute nicht von ungefähr als die grösste und beste Unterground-Kultur bezeichnen, die es in den 80ern in ganz Europa gegeben hat.
Winter 1976/77, Berlin-West. In einem Biotop aus Langeweile, Kommunistenfeindlichkeit, Stagnation, schlechter Laune einerseits und Kreativität und überschüssiger Energie andererseits, von den BRD-Steuerzahlern an jedem Tag neu mit mehreren Millionen D-Mark großzügig alimentiert, existiert im U.S.-Britisch-Französischen Sektor der Mauerstadt eine riesige Szene von Kunst- und Musikenthusiasten.
Wie überall in dieser Zeit hat sich ein muffiger Überzug aus Späthippiedasein, Glam-Rock-Ausläufern und Genesis-Epigonentum zur Leitkultur entwickelt. Doch in der kulturell seit dem Kriegsende am konsequentesten nach USA und England ausgerichtetsten Stadthälfte Deutschlands gibt es längst eine stetig zunehmende Abweichler-Fraktion.
In örtlichen Vinyl-Tempeln wie den Plattenläden Zip oder Sun werden frühe Import-Copies von RAMONES „Leave Home“, der BLONDIE-Debüt-LP oder von Patti Smith „Horses“ zum Renner. Nachrichten aus London über die ersten Früh-Punk-Erdbeben machen die Runde. Und während Restdeutschland zu BONEY M., zu MUD oder RAINBOW groovet, hat sich um den Jahreswechsel ‘76/‘77 eine kleine, aber fanatische Gemeinde gebildet, die nur darauf lauert, auch in Berlin eine neue Ära zu starten.
Der Schlüssel-Termin heisst 25. Februar 1977 - das erste Punk-Konzert in Berlin!
Die VIBRATORS spielen im Kant-Kino. Seitdem macht eigentlich jede englische oder amerikanische Punk-Band in den Folgejahren auch in Berlin Station, viele kommen sogar nur wegen einem Berlin-Gig auf den Kontinent. Das VIBRATORS-Konzert jedenfalls wird zur Initialzündung für eine eigene, Berliner Punk-Szene.
Die Legende will es, dass sich bei diesem Gig die Mitglieder von Berlins unbestritten erster Punk-Band erstmals über den Weg liefen. So oder so - bereits im Frühjahr ‘77 füllen sich die Häuserwände in West-Berliner Stadtteilen wie Charlottenburg, Schöneberg und Wilmersdorf zunehmend mit dem Edding-Logo der neuen Formation. Ihr Name: PVC. Der Sommer ‘77 wird heiss in Berlin.
Die Ereignisse in England rund um SILVER JUBILEE, SEX PISTOLS, CLASH & Co.verfolgen alle Eingeweihten mit Hochspannung. Jeder spürt auch in Berlin die Art von Vibration, wie sie grundlegenden Umwälzungen vorauszugehen pflegt. Nach einigen Privat-Parties in ihrem Übungsraum rocken die inzwischen mit den VIBRATORS gut befreudeten PVC im September erstmals als Live-Act die Bretter und fungierten nun ihrerseits als Kickstarter für eine ganze Welle von frühen Berlin-Punk-Bands.
FFURS, EVIL KIDS, THE WALL, TEMPO, DIRTY NEEDS sind neben PVC die Namen der Stunde und bilden das, was man bald die „Schöneberger Punk-Szene“ nennt. Die Inspirationen aller Berliner Punk-Bands der ersten Generation sind ziemlich identisch: IGGY & THE STOOGES, MC5, RAMONES, 60er Garage und Rock’n’Roll, ausserdem natürlich die britischen ‘77er-Kapellen. Gruppen wie insbesondere PVC, aber auch die zeitweilig hochgehandelten FFURS stellen gute Live-Shows auf die Beine und haben bald ausreichend selbstgeschriebene Songs.
Mehrere Clubs öffnen, die sich ausschliesslich dem Punk- und New Wave-Sound verschrieben haben. Am großbürgerlichen Kurfürstendamm entsteht das kurzlebige Punkhouse, in dem der Kommerz-Disco-Papst Ralf Eden einige Monate lang versucht, sich ein Stück vom Punk-Trend-Kuchen abzuschneiden, das aber trotzdem im Herbst ‘77 einige Male zum Schauplatz heftiger Club-Nächte und energiegeladener Live-Konzerte wird.
Im Sommer 1978 eröffnet dann in Kreuzberg mit dem SO 36 ein Laden, der für die nächsten Jahre (mit Unterbrechungen) zu einem Rückgrat der Untergrund-Kultur in Deutschland schlechthin werden soll.
Doch in der Rückschau muss man sagen: der Niedergang der ersten Berlin-Punk-Welle war schon zu diesem Zeitpunkt eine ausgemachte Sache. Die Bands als Kern der Szene kommen über ein reines Kopieren der USA- und UK-Idole im wesentlichen nicht hinaus. Und es gibt andere Probleme: textlich kleben die Berliner Gruppen strikt an angloamerikanischen Rock’n’Roll-Klischees und etablierten Sex & Rock’n’Roll-Images fest. Kontroverse Themen meidet man konsequent, ebenso den Einsatz deutscher Texte. So bleibt die Frage: warum Berlin-Punk hören oder kaufen, wenn man doch die Originale kriegen kann?
PVC, unbestritten die Chefs dieser Ära in Berlin, verspielen ihre Chance, als sie 1977/78 gleich mehrere Plattenverträge ablehnen - aus Image-Gründen halten sie es für cool, zunächst nicht darauf einzugehen. Später ist der Zug abgefahren und es dauert Jahre, bis die Band doch noch den Weg auf Vinyl findet. Ein anderes Problem wird die Szene-Inzucht: im wesentlichen kommen die Berliner Gruppen der ersten Welle nie über die Stadtgrenzen hinaus. Als endlich dann TEMPO, in mehrfacher Hinsicht vielleicht die innovativste der frühen Berlin-Punk-Bands, im Frühjahr 1979 die erste Berliner Indie-Platte und gleichzeitig die erste Berliner Punk-Platte überhaupt releast, mit der im Herbst ‘79 folgenden EP auch erstmals mit deutschen Texten experimentiert, ist das Spiel im Grunde längst gelaufen. Die erste Generation der Berliner Punk-Formationen ist im Herbst 1979 bereits weitgehend am Ende.
Bis auf wenige, fest Entschlossene lösen sich die alten Gruppen auf. Für viele war es nichts als ein Mode-Gag für ein oder zwei Sommer. Am Horizont ziehen die Nachfolger herauf: NDW einerseits, Hardcore-Punk andererseits.
Nur wenige Kilometer entfernt von der fashion-lastigen Szene des Westberliner Zentrums gehen die Uhren derweil komplett anders. Wir befinden uns im tiefsten Kreuzberg, im unmittelbaren Schatten der Mauer. K-36 Ende der 70er, das ist ein heruntergekommener, zerfallender, von Senat und Medien vergessener Teil der Riesenstadt.
Zusammen mit einer großen türkischen Gemeinde hat sich seit Ende der 60er eine riesige Hippie-Untergrund-Szene etabliert. Direkt hier hinein, in der Oranienstrasse im tiefsten K-36, eröffnet am Jahrestag des Mauerbaus, am 12./13.August 1978, der oben schon erwähnte SO 36-Club mit einem Festival, das u.a.den Kern der Schöneberger Szene von PVC über STUKA PILOTS bis FFURS mitten nach Kreuzberg bringt. Das SO holt in den nächsten Monaten auch zunehmend mehr internationale Punk- und Wave-Acts, z.B. WIRE oder 999 in die Stadt.
Sehr bald kommt es über Eintritts- und Getränke-Tarife zu drastischen Konflikten mit der lokalen Kreuzberger Szene. Zum Beispiel zwischen Bierpreis-Vorstellungen von 3,- DM (SO 36) einerseits und 1,- DM (sonst üblich damals in Kreuzberg) liegt seinerzeit eine ganze Welt. Die Auseinandersetzungen eskalieren bald zu üblen Schlägereien zwischen Sturmtrupps und Rocker-Ordnern. Beim WIRE-Gig räumt ein maskiertes „Kommando gegen Konsumterror“ die Abendkasse mit mehreren 1.000 Mark ab. Schon nach wenigen Monaten ist das Spiel erst einmal vorbei: das SO macht zunächst dicht, Kreuzberg ist wieder unter sich.
Seit 1977 bereits ist aus der lokalen Kreuzberger Hippie-Community eine eigene Punk-Szene hervorgegangen. In den Häusern von Kreuzberg-Nord, rund um die Bands KATAPULT, ÄTZTUSSIS und AUSWURF, entsteht eine links-anarchistische Punk-Ästhetik, die mit dem USA/England-orientierten Rock’n’Roll-Musik- und Lifestyle der „Schöneberger Punks“ nichts gemein hat. Die frühe Kreuzberger Szene der Zeit von Ende der Siebziger bis in die Früh-80er ist konsequent bis zur Rigidität: Anti-Kommerzialität, D.I.Y.-Spirit, strikt antifaschistisch-antikapitalistische Grundhaltung, scharfe Abgrenzung von allen als „Kunstkacke“ empfundenen Tendenzen lauten die Gebote. Oder wie jemand später so treffend sagt: „Punk als Fortsetzung von politischem Kampf mit anderen Mitteln“.
Im Herbst 1979 ensteht hier für kurze Zeit eine explosiv-kreative Mischung: Musiker aus den schon erwähnten Bands KATAPULT, ÄTZTUSSIS etc. schließen für kurze Zeit ihren Pakt mit Aktivisten aus der zur selben Zeit boomenden Hausbesetzer-Szene. Hinzu kommt ein Haufen im Schnitt 17jähriger Kids aus der Südberliner Trabantensiedlung Gropiusstadt, im wesentlichen die Bands BETON COMBO und STROMSPERRE plus deren Umfeld. In Kreuzberg hält diese Koalition immerhin lange genug, um im September 1979 das „Antifaschistische Festival“ auf die Beine zu stellen - ein riesiger 3-Tage-Event aus Konzerten mit nahezu allen Berliner und westdeutschen Punk-Bands dieser Zeit sowie diversen Polit-Aktivitäten und einer abschließenden Knast-Demo zum Frauengefängnis. Doch was sich hier als dauerhafter Schulterschluss zwischen linker Strassenpolitik und Punkrock abzuzeichnen beginnt, bricht schon bald danach in der Diskussion über den Stellenwert politischer Aktivitäten auseinander. Übrig bleiben im wesentlichen die erwähnten Kids rund um die Gropiusstädter Bands und ein ehemaliger Polit-Aktivist - Karl Walterbach, später Macher des deutschen Punkrock-Labels No.1, Aggressive Rock Produktionen. Zusammen schafft man in einer Ex-Fabriketage in der Waldemarstrasse das KZ (= Kommunikationszentrum) 36 als antikommerziell orientierten Konzertort. Bei niedrigsten Eintrittspreisen (oft nur DM 3,-), kompensiert durch den Einsatz der Macher, wird das KZ vom Frühjahr 1980 bis Herbst ‘81 zum Zentrum der deutschen Hardcore-Punk-Live-Szene. Gesungen wird in dieser Ära fast aussschließlich auf deutsch, die Texte sind durchweg stark polit-lastig. In dieser Zeit entstehen u.a. die beiden klassischen Compilations „KZ 36“ Vol.1 und 2. Zermürbt vom ständigen Geldmangel und internen Streitereien um Prinzipien, Arbeitsaufteilung und Verwendung von Geldern geht das KZ bald danach kaputt.
Sternzeit: 1982. Die alten Bands sind weitgehend aufgelöst, die Medien haben jedes Interesse verloren. Punk in Berlin scheint toter als tot. Nach dem Gesetz der Anti-Zyklik ein perfekter Zeitpunkt für einen Neustart. Denn außer den Ruinen der alten Szene ist da doch noch etwas: die Kids. Und die wollen, was sie immer wollen werden: harte Bands, laute Platten, Punkrock. Kombiniert mit den zeitgleich vermehrt wieder an Bedeutung gewinnenden Einflüssen aus England und insbesondere aus USA ist eigentlich klar, was kommen muss: die Berlin Hardcore-Jahre! Die Hardcore-Ära umfasst ab 1982 im Prinzip den ganzen Rest der 80er und ist in vieler Hinsicht bis heute die offenste und lockerste Phase in der gesamten Berlin-Punk-History.
Kamen nämlich die Aktivisten der frühen Jahre zum ganz überwiegenden Teil aus wenigen, klar abgegrenzten Vierteln und Gruppierungen, so zeigt Punkrock in Berlin an sich erst ab 1982, wie riesig groß er geworden ist. In der Folge spielen fast alle Stadtteile und Leute aus den unterschiedlichsten Szenen ihre Rolle in den Hardcore-Jahren. Das Zentrum der Aktivitäten liegt dabei selbstverständlich auch weiterhin in den traditionellen Subkultur-Zentren der inneren Bezirke, also vor allem in Kreuzberg, wo quer durch die Achtziger eine Unzahl von Hangouts und Konzertorten kommt und geht. Unter den vielen Bands dieser Jahre sind eine Reihe von Namen, die bis heute in der Szene Legenden-Status haben. An erster Stelle ist auf jeden Fall die mächtige VORKRIEGSJUGEND (VKJ) zu nennen. Dieser weitgehend aus zugezogenenen Bayern zusammengesetzte Fünfer beherrscht Mitte der 80er mit seinem morbiden, dabei immer von einprägsamen Riffs und einmaligem Gesang zusammengehaltenen Endzeit-Hardcore unbestritten die Berlin-Scene. Die bekanntesten anderen Gruppen der Ära kommen aus dem Umkreis zweier Berliner Punk-Indie-Labels: Destiny Records aus Kreuzberg ist der Stützpunkt einer Anzahl von musikalisch ziemlich tighten, durchweg stark amilastigen HC-Bands wie NO ALLEGIANCE, SQUANDERED MESSAGE, COMBAT NOT CONFORM. Auf Vinyl Boogie, dem Label des gleichnamigen Schöneberger Plattenladens, veröffentlichen neben der grandiosen VKJ-Debüt-7“ die besten der Vorort-Bands, wie z.B. MALINHEADS aus Spandau und die Skate-Punks von DISASTER AREA aus dem Märkischen Viertel. Überhaupt belegt Punkrock in allen Schattierungen während der 80er weite Teile von ganz Berlin mit Beschlag. Bands und Läden gibt es von Frohnau bis Lichterfelde, von Alt-Mariendorf bis Neukölln, wobei sich in einigen Ecken, insbesondere in Spandau, sehr eigenständige, lokale Szenen bilden.
Eine wesentliche Tendenz der 80er ist die Internationalisierung und Überregionalisierung der Szene. Zahllose, ausländische Gruppen bespielen Berlin und umgekehrt touren Berliner Bands, insbesondere aus dem Destiny-Camp, bis nach England und USA. Bemerkenswert dabei, dass während dieser ganzen Zeit alle Aktivitäten ausschliesslich von Indie-Labels und -Agenturen und ohne jede Beteiligung von großen Firmen und Geldgebern ausgehen. Die üblichen Szene-Ausdifferenzierungen in Nietenpunks, S.E.-Punks, Skater, Veganer, usw. prägen natürlich auch die Berliner Szene. Doch Grabenkämpfe wie in anderen Städten sucht man hier weitgehend vergeblich - oder wie ein Aktivist erinnert: „Wer Saft oder Malzbier trinken wollte, tat das, hielt das Maul, und alle konnten trotzdem Freunde bleiben.“
Die Hardcore-Szene bricht 1988/89 dann aber ziemlich schnell und überraschend auseinander. Andere, musikalische Einflüsse beginnen, an Einfluss zu gewinen, insbesondere Hip Hop. Viele der Punk- und HC-Musiker bekommen Lust auf langsamere Klänge und möchten richtig rocken, an vorderster Stelle zweifellos JINGO DE LUNCH, eine neue Band mit einigen der besten Musikern der alteingessenen Kreuzberger HC-Gruppen. Sie überrascåhen ab 1987 mit einem neuen, deutlich langsameren Sound und schlagen deutschlandweit bombenartig ein. Viele andere Berlin-Bands versuchen, nachzuziehen.
Der Mauerfall von 1989 hat keine direkten, musikalischen Einflüsse auf die Szene. Er bringt aber personell viel Bewegung in die Berliner Verhältnisse und eröffnet neue Möglichkeiten für Kooperationen und Koalitionen. Im Endergebniss fällt der Jahrzehntwechsel zusammen mit einer weitgehend neu entstandenen Szene, so dass die Jahre 1977 und 1989 brauchbare Angelpunkte für die geschlossene Entwicklung des Berliner Punkrock bilden.
Das Funpunk-Movement ist eine Subkultur der Berlin Punk-Szene, die von 1982 bis circa 1985 eine nicht unerhebliche Popularität bei vielen Leuten hat. Entstanden aus dem Wunsch nach Abgrenzung von überstrapazierter Punkrock-Verbiesterung und Standard-Parolen, läuft sich Funpunk als weitgehend wertfreier Trip einer Spaß-Fraktion in Konkurrenz zu den klar profilierten Masstäben der alten Punk- und der neuen HC-Szene aber doch bald tot, die Musiker der Funpunk-Bands driften entweder direkt ins Pop-Lager oder kehren in die Punk-Gemeinde zurück. Bleibendes Großergeigniss dieser Szene sind natürlich DIE ÄRZTE, die es aus der kleinen Westberliner Fun-Szene zum nationalen Rockmonster geschafft haben.
Punk gibt es seit spätestens 1978/79 auch in Berlin-Ost. Die Umstände dort sind mit den Westsektoren überhaupt nicht vergleichbar. Man muß nicht einem Kenner der Ost-Verhältnisse beipflichten, wenn er behauptet: „Punk in West-Berlin war Rock’n’Roll. Punk in Ost-Berlin war Punk“.
Dennoch ist es Fakt, dass die Ostberliner Szene von Seiten des DDR-Staats über die gesamte erste Hälfte der 80er massiven Repressionen und Bespitzelungen bis hin zu drakonischen Haftstrafen ausgesetzt ist. Bis Ende der 80er ist die dortige, frühe Szene weitgehend zerfallen. Die Musiker sind dem Druck des Systems entweder in Richtung Privatleben ausgewichen oder vielfach zu Glatzen geworden.
Punk in Berlin hat es selbstverständlich auch nach 1989 immer gegeben. Wenn man alle Schattierungen und Mutationen von Punk zusammen nimmt, ist dieser Style in Berlin heutzutage wahrscheinlich sogar größer denn je. Dennoch: eine so aktive, geschlossene und einzigartige Szene wie zwischen 1977 und 1989 dürfte in Berlin und anderswo schwer wiederholbar sein.
Verwiesen sei am Ende noch mal auf die „Wenn kaputt dann wir Spass - Berlin Punk Rock 1977-1989“-Compilation, die den perfekten Soundtrack zu diesem Artikel liefert und von der viele der hier enthaltenen Informationen stammen. Wofür ich diese Platte ewig lieben werde: sie ist ein kompromissloser Gegenpol zu einer Art der Musikgeschichtsschreibung, die 25 Jahre nach 1977 Punk und New Wave in Deutschland am liebsten auf die elitären Hinterlassenschaften einiger weniger, kopflastiger, vorwiegend rheinischer Kunststudenten reduzieren möchte - unabhängig davon, wie irrelevant deren Output für einen Großteil der Kids damals tatsächlich gewesen ist. Der Blick auf Berlin-Punk tut gut, denn er rückt ein paar Maßstäbe zurecht und zeigt, wo die wahren Aktivisten standen und einen jahrelangen Hurricane von Fun und Energie entfesselten: auf der Strasse, für die Strasse.
Punkrock rules!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #49 Dezember 2002/Januar/Februar 2003 und Maik Mertens