Christine Franz arbeitet in Berlin als Musikredakteurin und Autorin für das Popkulturmagazin „Tracks“ auf Arte.
Geboren 1978 in der niedersächsischen Kleinstadt Hameln, wurde sie musiksozialisiert durch den britischen Radiosender BFBS und ehrenamtliche Mitarbeit auf dem Glastonbury Festival. Sie studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Für ihren ersten Dokumentarfilm „Bunch of Kunst“ hat sie die SLEAFORD MODS zwei Jahre lang begleitet.
Christine, was machst du, und wie kamst du zum Filmemachen?
Geboren und aufgewachsen bin ich in Hameln. Da dort bis in die Nullerjahre die britische Armee stationiert war, bin ich früh mit britischer Popkultur sozialisiert worden. Es gab zum Beispiel den englischen Radiosender BFBS, die Indie-Sendung „A Passion For Plastic“ war sonntags Pflicht. Genau wie den NME zu kaufen am Bahnhofskiosk. Konzerte fühlten sich auch eher an wie in Manchester oder Liverpool als in Niedersachsen. Irgendwann habe ich mir dann in den Kopf gesetzt, einmal beim Glastonbury Festival dabei zu sein – daraus wurden dann zehn Jahre in Folge, in denen ich dort als Volunteer mitgearbeitet habe. Studiert habe ich Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Uni Hildesheim und der Aston University in Birmingham. Während der Uni-Zeit kam ich auch zum Musikjournalismus. Mit einem Freund habe ich einige Jahre eine eigene Musiksendung beim Uni-Radio moderiert. Nach dem Studium landete ich über Praktika in der Berliner Redaktion des Popkulturmagazins „Tracks“ auf Arte, für die ich jetzt seit einigen Jahren als Autorin und Musikredakteurin arbeite. Und so kam ich auch dazu einen Film, über die SLEAFORD MODS zu machen.
Wann hast du die erstmals getroffen?
Im Sommer 2014 traf ich SLEAFORD MODS in Berlin für einen „Tracks“-Beitrag und für ihr allererstes TV-Interview, es folgte ein Dreh in Nottingham, bei dem uns Jason und Andrew ihre Stadt zeigten – inklusive Altkleidercontainer vom „Austerity Dogs“-Album – und der nach Feierabend in einem ziemlichen Besäufnis und einem Auflegebattle zwischen Andrew und meinem Kameramann endete. Aus dieser Dosenbierlaune heraus entstand die Idee, „was Längeres“ über die Band zu machen. Ich hatte mir bis dahin nie wirklich Gedanken darüber gemacht, mal einen Film zu machen. Als die Idee auch nach dem Kater noch irgendwie ganz gut klang, buchten mein Kameramann und ich unseren ersten Flug nach Nottingham und legten einfach los. Und das war genau das Spannende daran: einfach zu machen!
„Bunch of Kunst“ ist laut IMDB dein erster Film, du wirst als „director, writer, producer“ gelistet. Alles D.I.Y., alles im Alleingang gemacht, oder mit Crowd und FreundInnen?
Genau, der Film ist so was wie ein D.I.Y.-Herzensprojekt. Und zwar so sehr, dass mich die meisten meiner TV-Kollegen anfangs immer mit einem sehr verständnislosen bis mitleidigen Blick angeschaut haben, wenn wir über den Film gesprochen haben. Ich habe den Film komplett selbst finanziert, weil ich unabhängig bleiben wollte und ich auch fand, dass das irgendwie mehr dem Geist der Band entspricht, die ja auch von Anfang an alles selbstgemacht hat. Alle Beteiligten – Kameraleute, Tonleute, Cutter, Grafiker – haben genau wie ich als Überzeugungstäter und Fans in ihrer Freizeit mitgemacht. Ich bin jetzt zwar komplett pleite und meine Eltern halten mich inzwischen für völlig wahnsinnig, aber ich würde es aber jederzeit wieder genauso machen.
Über welchen Zeitraum erstreckte sich die Arbeit, wie viele Stunden hast du investiert?
Gedreht haben wir über zwei Jahre zwischen Sommer 2014 und Sommer 2016 und hatten insgesamt, glaube ich, über 100 Stunden Material. Ein Freund von mir meinte mal: Der Film wird noch so was wie dein „Chinese Democracy“ – das GUNS N’ ROSES-Album, das zehn Jahre in der Mache war –, und zu dem Zeitpunkt hatten wir gerade mal drei Monate gedreht. Ich glaube, zwei Jahre sind ein ganz guter Zeitraum, in dem sich auch etwas entwickeln kann. Und toll war, dass die Band von Anfang an gesagt hat: Dreh, was du willst und so lange du willst, du wirst spüren, wenn du alles hast. Der entscheidende Moment kam dann am Neujahrstag 2016, als ich eine SMS bekam, in der stand: „We are gonna meet Geoff Travis tomorrow“. Das ist der Gründer von Rough Trade. Für mich war klar, jetzt geht ein Kapitel zu Ende und ein Neues beginnt. Das war schon alles irgendwie ziemlich emotional. Für die Band, aber auch für uns, wenn man so lange dabei und viele Sachen mitbekommt, die die Band in dem Moment vielleicht selbst gar nicht richtig realisiert hat.
Hast du Vorbilder in Sachen Dokumentar- und Musikfilm?
An Musikdokus bin ich großer Fan der Filme „The Story of Anvil“, „Finisterre“ – eigentlich keine richtige Musikdoku, sondern ein Kunstfilm der Band SAINT ETIENNE –, „Mistaken for Strangers“ – top Unterhaltungskino über die Band THE NATIONAL – „Separado!“ von und mit Gruff Rhys von der walisischen Proto-Indieband SUPER FURRY ANIMALS, in der er sich als Superheld verkleidet in Argentinien auf die Spur eines verschollenen Onkels macht und dort auf eine walisische Parallelwelt stößt. Einer meiner absoluten Helden – und der meines Cutters – ist Shane Meadows, Regisseur des Films beziehungsweise der Serie „This is England“. Unser Running-Gag während des Schnitts war Shane Meadows Musik-Mockumentary „Le Donk & Scor-zay-zee“. Es geht um einen Musikmanager aus den Midlands und sein aberwitziges Vorhaben, den Schrägo-Rapper Scor-zay-zee ins Stadion-Vorprogramm der ARCTIC MONKEYS zu bringen. Spitzenfilm. Gewisse Parallelen zu „Bunch of Kunst“ sind reiner Zufall.
Wie und wann und wo hast du die SLEAFORD MODS entdeckt?
Anfang 2014 kam ein Freund mit dem Album „Austerity Dogs“ an und meinte: „Ich habe hier deine neue Lieblingsband.“ Er hatte die Platte gerade im großartigen Berliner Bis aufs Messer-Plattenladen gekauft. Dort gab es wochenlang nur ein Thema: jenes legendäre Konzert im West-Germany, bei dem sich ein Typ in dickstem East-Midlands-Akzent die Seele aus dem Leib rantete, während der andere in Jogginghose und biertrinkend daneben stand und auf seinem Laptop auf Play drückte. Da war also dieses Albumcover: Wer würde denn bitte neben einem Altkleidercontainer posieren und dabei so aussehen, als hätte ihn sein Bandkollege gerade dabei überrascht, wie er sich selbst mit der Nagelschere die Haare schneidet, und der dreinschaut, als würde er dem Fotografen sofort nach dem Take eins aufs Maul hauen? Und dann kam das erste Hören. Die Texte waren nicht nur dirty und aggro-intensiv, sondern auch unglaublich witzig, gespickt mit Popkultur- und Politics-Anspielungen und voll von East Midlands-Referenzen. Das war alles so extrem lokal, dass es schon wieder universal war, weil sich jeder, der frustriert in einer Kleinstadt festhängt, damit irgendwie identifizieren kann.
Was fasziniert, was faszinierte dich an der Band?
SLEAFORD MODS waren so komplett anders als alles, was man in den letzten Jahren im oft so glattpolierten Musikbusiness zu hören bekam. Entweder man kapiert es sofort oder nie. Andrew hat mal gesagt: It’s a Marmite thing. – Marmite, dieser englische Brotaufstrich auf Hefebasis, der irgendwie nach Maggi schmeckt und den man nur lieben oder hassen kann. Es gibt nichts dazwischen. Ich finde den Vergleich ziemlich treffend.
Als die Band vor zwei, drei Jahren in Deutschland zum Geheimtipp wurde, waren viele unsicher, ob das nun Absicht und Fake oder genialer Trash oder gar ... Kunst ist. Und, was ist nach dem Dreh dein Urteil?
Ich war anfangs ein paar Wochen lang der festen Überzeugung, dass es sich hier nur um eine clever inszenierte Musik-Kunstprojekt im Geiste von Leuten wie THE KLF handeln konnte, zu perfekt durchdacht schien mir das alles. Genau deshalb wollte ich auch das erste Interview mit ihnen machen, um zu sehen, ob das alles „echt“ ist. Aber in dem Moment, als Jason und Andrew völlig tourverkatert die Treppe vom Neuköllner Club Bei Ruth hochgeschlurft kamen, war alles klar: die sind wirklich so. Jason war gerade auf Urlaub von seinem letzten Job in der Wohngeldstelle vom Nottingham City Council, Andrew hat eigentlich nichts gemacht und Steve, SLEAFORD MODS-Manager und Inhaber des Avantgarde-D.I.Y.-Labels Harbinger, war damals noch hauptberuflich Linienbusfahrer für Nottingham City Transport. Da war nichts fake. Am Montag nach der Tour ging’s wieder zur Arbeit.
War es schwer, die beiden von deinem Vorhaben zu überzeugen?
Überhaupt nicht! Nach unserem ersten Besuch in Nottingham im Juli 2014 war die Sache ziemlich schnell geritzt und es war klar: Der Film muss gemacht werden. Was die nächsten zwei Jahre noch alles bei SLEAFORD MODS passieren sollte, konnte damals natürlich noch keiner so richtig ahnen. Ein schöner Moment war, als Andrew irgendwann mal in einem unserer Interviews sagte: Ab wann ist man eigentlich offiziell berühmt? Wenn man bei Jools Holland in seiner TV-Show gespielt hat? Und ein Jahr später passierte dann genau das. Irgendwie meinte es der Musikdoku-Timing-Gott ganz gut mit uns.
„Verfälscht“ man durch seine Gegenwart nicht möglicherweise das Verhalten der Dokumentierten, was ja per se ein Thema ist, wenn eine Kamera dabei ist?
Na klar, sobald eine Kamera im Raum ist, verhalten sich Leute – außer vielleicht Jason – immer erst mal anders. Es gab zwar nie die Ansage „Filmt das jetzt mal nicht!“ – außer bei der Schuh-Szene am Anfang des Films –, aber man muss sich das Vertrauen trotzdem erst mal erarbeiten. Und das funktioniert nur, wenn man viel Zeit miteinander verbringt und die Kamera irgendwann nicht mehr als Fremdkörper wahrgenommen wird. Genau das haben wir auch versucht, von Anfang an mit in den Film einzubauen, um klar zu machen: Wir sind im Raum anwesend und das ist unser Blick, den ihr hier seht. Also wenn Andrew am ersten Studiotag bei den Aufnahmen zu „Key Markets“ verunsichert in die Kamera schaut, dann war das genau einer von diesen frühen „Erst mal miteinander warm werden“-Momenten.
Wir wollen keine schmutzigen Geheimnisse, dennoch: Was hat dich bei den „Mods“ wirklich schockiert oder überrascht?
Meine Kameracrew war am meisten schockiert darüber, dass weder Jason noch Andrew noch Steve sich sonderlich für Fußball interessieren. Die hatten sich alle schon auf Samstage im Stadion bei Nottingham Forrest gefreut. Dafür lernten wir schon bald Jasons Kumpel John Paul kennen, der Star des neuen Videos „BHS“, Guest-Vocalist auf „I’m shit at it“ und Forrest-Fan. Der Stadionbesuch steht leider immer noch aus, aber das Thema ist noch nicht vom Tisch!
Wie siehst du die Entwicklung der Band? Aussagekräftig finde ich die Szene, wo man die drei erst im alten VW Polo sieht – und dann im Nightliner.
Der VW Polo ist übrigens auf dem Weg nach London – ich glaube, es war vor dem Jools Holland-Auftritt – auf der Autobahn liegen geblieben und hatte danach ausgedient, da war der Nightliner aber praktischerweise schon gebucht. Mir ging es natürlich erst mal um die Entwicklung der Band, um so was wie ein Pop-and-Politics-Roadmovie durch Orte, die sonst auf keiner Tourroute vorkommen. Aber eigentlich geht es um drei Typen, die trotz aller Widerstände und gegen alle gängigen Musikbusiness-Regeln einfach ihr Ding machen. Drei Typen, deren Traum plötzlich wahr wird und die erst mal lernen müssen, was das überhaupt bedeutet. Träume hat ja jeder, nur werden die meistens nicht wahr, schon gar nicht, wenn man Mitte vierzig ist, in einem nervigen Job festhängt, eine Familie hat und in einer Kleinstadt wohnt. Normalerweise ist dann kein Nightliner mehr in der Biografie vorgesehen. Der kommt entweder früher oder gar nicht mehr.
Der Status der Band in Deutschland ist ein anderer als in Großbritannien. Hier verstehen die Leute die Texte nicht, jedenfalls nicht immer, und feiern die Mods trotzdem ab, aber „szeniger“. Und in UK sind sie mittlerweile – fast – Stars. Deine Beobachtungen dazu?
Da muss ich kurz widersprechen. Es gab ein mehrmonatiges Zeitfenster, Ende 2013/Anfang 2014, in dem SLEAFORD MODS in Deutschland größer waren als in England. Während SLEAFORD MODS zu Hause noch in Orten wie Blackpool vor vier Leuten und einem Plastikweihnachtsbaum spielten, standen sie in Deutschland schon vor 150 Leuten auf der Bühne. Im Mai 2014 schickte der NME eigens einen Reporter zum Berliner Konzert, um zu sehen, was dran ist an den Gerüchten. An dem Abend standen 200 Leute vorm Venue und kamen nicht mehr rein, drinnen tropfte der Schweiß von der Decke. Das war natürlich alles ganz genau durchgeplant von Sleafords Manager Steve Underwood, der durch sein Harbinger-Label ziemlich gute Kontakte in die deutsche Punk-Szene hatte. Seine Idee war, es so zu machen wie die BEATLES: Erst mal Underground-Credits in Deutschland sammeln, das spricht sich dann auch zu Hause rum. Hat funktioniert. Wir wurden auf den Fame in Germany bei fast jedem englischen Konzert angesprochen. Aber spätestens seit ihrem Glastonbury-Auftritt, der einer der meist geschauten BBC-Beiträge an dem Wochenende war, sind SLEAFORD MODS zu Hause in England Popstars, die auf der Straße erkannt werden und vom Feuilleton zu ihrer politischen Meinung befragt werden. Ich glaube, einer der ersten absurderen Fame-Momente war, als Jason bei der Stadtverwaltung anrief, weil die Mülltonne vor seiner Haustür geklaut worden war, und der Typ am anderen Ende der Leitung fragte, ob er „der“ Jason Williamson sei. Und das Großartige an SLEAFORD MODS ist ja: Die Texte und deren Inhalte transportieren sich auch, wenn man vielleicht nicht jede Referenz oder Vokabel versteht! Man spürt ja, worum es geht. Und darum geht es doch. Wir haben selbst in England Leute getroffen – auch Iggy Pop –, die gesagt haben, dass sie die Texte oft nicht verstehen!
Deine Lieblingsszene im Film?
Definitiv Glastonbury. Aus persönlichen Gründen, weil ich zu Uni-Zeiten so oft auf dem Festival war. Aber vor allem, weil alle an dem Tag gemerkt haben: das hier ist der Turning Point. Meine persönliche Lieblingsszene: Jason backstage nach dem Glastonbury-Auftritt, dem gerade so langsam dämmert, was da gerade mit ihm und der Band passiert. Eine Lieblingsszene, die am Ende leider aus Zeitgründen rausgeflogen ist – Hello, Bonusmaterial – war der Auftritt in Banksy’s Dismaland. Legendäre Location und legendäres Konzert. Passenderweise gab es neben der Bühne ein Bild von David Cameron, das während des Konzertes einige Bierflaschen abbekam.
Und wer kam auf den wundervollen Titel, der ja ein Wortspiel auf Kunst und Cunts ist?
Die Credits für den Titel gehen an Steve! Das war eines dieser spontanen Dinger, die er eben mal so raushaut. Basiert natürlich auf dem SLEAFORD MODS-Songtitel „Bunch of cunts“ und der Deutschland-Referenz. Lustigerweise muss man den Titel immer nur in Deutschland erklären, in England wissen alle sofort, was gemeint ist. Hat auch den Vorteil, dass dieser Titel dort ohne Probleme von der Swearword-Polizei durchgewinkt wird.
Welche „Auswertung“ des Films ist geplant, wann kann man den wo und wie sehen?
Der Film hatte Mitte März Filmfestivalpremiere beim Dokumentarfilmfestival CPH:DOX in Kopenhagen und UK-Premiere in Nottingham. Im April kommt der Film in Großbritannien ins Kino, an Kinoterminen für Deutschland basteln wir gerade. Infos dazu gibt’s auf unserer Facebook-Seite, sobald die Termine stehen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #131 April/Mai 2017 und Joachim Hiller