MOSCOW DEATH BRIGADE

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Freundschaft, Unity, Respekt

Es ist selten, aber manchmal zieht es einem unverhofft die Schuhe aus, wenn man eine Platte das erste Mal laufen lässt. Genau das hat die russische Band MOSCOW DEATH BRIGADE bei mir mit ihrer jüngsten EP „Hoods Up“ geschafft: Auf den Punkt gebrachte Streetfighter-Lyrics, gebettet in brutale Rapcore-Klänge, einzuordnen irgendwo zwischen BODY COUNT und BEHIND ENEMY LINES. Sie sind nicht nur in Sachen Glaubwürdigkeit die Band der Stunde. Vladimir war so freundlich, sich Zeit für meine Fragen zu nehmen.

Vladimir, es gibt sicher einige Leser, die noch nichts von MOSCOW DEATH BRIGADE gehört haben. Kannst du uns einen kleinen Überblick über die Bandgeschichte geben?


MOSCOW DEATH BRIGADE sind eine antifaschistische „Circle-Pit-HipHop-Band“ aus Russland. Wir haben ungefähr 2007 angefangen. Am Beginn stand die Idee, einen aggressiven Mix aus Punk/Hardcore und Rap-Musik zu machen und dies mit politischen Texten zu kombinieren. Im Grunde also HipHop mit Punkrock-Message, zu der du moshen kannst. Zu dieser Zeit gab es wirklich bedenkliche Probleme mit Neonazis in Russland. Die haben damals fast jede Subkultur dominiert, von Metal über Fußball bis zu Graffiti. Sogar Rap war in Hand der Nazis. Nur die Punk/Hardcore-Szene war so etwas wie eine kleine Festung gegen die feindlichen Legionen. Antifa-Aktivisten waren in der absoluten Unterzahl und die Konfrontationen waren sehr brutal und blutig, während die Massenmedien sich für gewöhnlich auf die Seite unserer Gegner stellten. Daher ist es natürlich nicht verwunderlich, dass unsere Opposition gegen die Boneheads und die Right-Wing-Propaganda eines der zentralen Themen unserer Band wurde. Es stellte sich rasch heraus, dass wir nicht die Einzigen waren, die zu unserer Musik moshen wollten. So kamen wir vom Recorden unserer Songs – in unserem Wohnzimmer mit einem schlechten Mikrofon – dahin, Shows zu spielen und auf Tour zu gehen. Damit einhergehend wurden wir in Kämpfe mit Nazis verwickelt, mussten uns mit Cops auseinandersetzen, die unsere Gigs stürmten, erhielten Bombendrohungen und erlebten noch so einige andere Abenteuer. Parallel fingen wir an, unsere steigende Bekanntheit für gute Zwecke zu nutzen. Alle Gewinne führten wir denjenigen zu, die in Not waren: Obdachlosen Kindern, Opfern von Nazi-Terror und unseren inhaftierten Freunden.

Zwischenzeitlich war die Band aufgelöst, las ich.

Ab 2010 machten wir Pause, aber seit 2014 sind wir wieder da, kehrten auch auf die Bühne zurück und spielten einen Gig in Moskau. Darauf folgten zwei große Touren durch Europa mit unseren Freunden von WHAT WE FEEL, zahlreiche Festivals und weitere Konzerte in Europa. Im gleichen Jahr haben wir dann unsere EP „Hoods Up“ aufgenommen, die von Fire And Flames und Tape Or Die herausgebracht wurde. Wir waren wirklich erstaunt und stolz, als wir erfuhren, dass unsere bescheidene Platte wochenlang an der Spitze in den Core-Tex-Top-20 war, vor Bands wie MADBALL, SHEER TERROR, RANCID, SICK OF IT ALL, TERROR und so vielen anderen legendären Bands, vor denen wir großen Respekt haben.

Wie kam es zu der Idee, gerade Rap und Punk zu kombinieren?

Wir kommen ursprünglich aus der Hardcore-Szene. Einige Bands, in denen wir spielten beziehungsweise immer noch parallel spielen, sind beispielweise RAZOR BOIS, die Streetpunk machen, GEORGE HARRISON, sie spielen Thrashcore und SIBERIAN MEAT GRINDER, die machen Crossover Thrash. Gleichzeitig sind wir aber auch seit langem Fans der Hip Hop-Kultur, besonders Graffiti und Rap. Daher haben wir irgendwann versucht, Rap und schnelle Heavy-Instrumentals zu mixen, um unseren ganz eigenen Stil zu entwickeln, den wir mittlerweile „Circle-Pit-HipHop“ nennen. Dieses Mixen von Stilen haben wir immer schon gemocht und wurden daher auch stark beeinflusst von Bands, die Ähnliches probiert haben: BODY COUNT, CYPRESS HILL, BEASTIE BOYS, THE TRANSPLANTS, LORDS OF BROOKLYN etc. Aber natürlich suchten und suchen wir immer noch nach unserem ganz eigenen Weg, Musik zu machen. Wir hören sehr viel verschiedene Musik, von Psychobilly bis Jazz und Drum’n’Bass, und implementieren immer wieder verschiedene Elemente aus anderen Genres in unsere Songs. Man hört es vielleicht nicht immer heraus, weil sich die Frequenzen und Sounds überlagern, aber wir verstecken hin und wieder kleine Insider-Jokes und Zitate in den Instrumentalparts, genauso in den Texten.

Auf „Hood Up“ sind sowohl klassische HipHop-Beats als auch sägende Gitarren zu hören. Wie macht ihr das live?

Das Schlüsselkonzept bei uns ist die Mobilität. Nimm dir ein paar Mics und ein Abspielgerät und dann tritt auf – wo auch immer, wann auch immer. Am Anfang hat das perfekt funktioniert, als wir D.I.Y.-Konzerte an ungewöhnlichen Plätzen organisierten, zum Beispiel in Kellern, Turnhallen, Garagen oder sogar im Wald. Jeder Gig konnte in einer Schlägerei mit Nazis oder den Bullen enden. Wir spielten auch auf Demos und sogar in einem fahrenden Regionalzug. Ein Zug voll mit Punks und Skinheads! Das war eine der verrücktesten Shows aller Zeiten – hoffentlich kannst du es selbst bald in unserem nächsten Musikvideo sehen! Mit einer ganzen Band zu touren, ist ein viel größerer Aufwand, besonders in Russland, wo nur wenige Bands sich eine eigene Backline leisten können. Und wenn du außerhalb von Russland spielst, brauchst du für jedes Bandmitglied ein gültiges Visum, was immer eine Herausforderung ist. Das Format einer Rap-Band ist perfekt, um Leute zum Feiern zu bringen und gleichzeitig zum Zuhören. Das ist eine der Säulen, auf denen Hip Hop aufgebaut ist. Daher bleiben wir bei den Wurzeln und treten in der Regel mit Turntables oder eben nur einem Laptop auf. Wir sind aber auch schon mit Band aufgetreten, was auch der Hammer war. Hoffentlich machen wir das in Zukunft noch öfter. Die meisten unserer Punk- und Metal-Instrumentals schreiben wir nach den Regeln eines Hip Hop-Tracks: Wir nehmen ein Riff auf und loopen es, darauf wird dann gerappt. Somit glaube ich, dass wir schon in den Grenzen des Hip Hops bleiben, aber es auch schaffen, etwas Neues auf den Tisch zu bringen.

Wie sieht die heutige Situation in Russland bezüglich der Probleme mit Neonazis aus?

Anfangs wirkte es so, als würde sich die Lage nicht mehr zum Besseren hin wandeln. Die Neo-Nazis hatten das Gefühl, als würde ihnen die Straße gehören. Sie hielten offizielle Paraden in großen Städten auf der Hauptstraße ab und schreckten nicht davor zurück, ihre Opfer am helllichten Tag anzugreifen. Viele ihrer Gangs fingen zum Beispiel an, den sogenannten „Weißen Waggon“ zu praktizieren: Eine Gruppe Boneheads steigt in die U-Bahn ein und schlägt jeden zusammen, der nicht „weiß genug“ aussieht. An der nächsten Station steigen sie dann wieder aus. Die Nazis wurden nur selten verhaftet und selbst wenn, ließ die Polizei sie in der Regel ziemlich schnell wieder laufen. Da die Punk/Hardcore-Community im Grunde die einzige Kraft war, die sich offen gegen den nazistischen Terror stellte, fingen die Boneheads an, uns aus ganzem Herzen zu hassen.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Sie griffen unsere Clubs an, fingen Leute auf dem Weg zu Konzerten ab und lockten Antifaschisten in Hinterhalte. Manche wurden direkt vor ihrer Haustür erstochen oder erschossen. Einige unserer Freunde und Genossen wurden auf diese Weise ermordet. Ivan Khutorskoi und Fyodor Filatov, die informellen Anführer der Moswow Antifascist Skinheads, waren unter ihnen. Trotzdem hielten wir Antifa-Aktivisten durch und wehrten uns, konnten sogar zurückschlagen, indem wir Nazi-Konzerte und -Aufmärsche angriffen. Seit 2011 ist es besser geworden. Es scheint so, als hätten viele Nazi-Führer und ihre Gefolgschaft keine Lust mehr, dauernd verprügelt zu werden und so verließen sie ihre Bewegung. Außerdem scheint die Gesellschaft kapiert zu haben, was für eine Bedrohung die Neonazis darstellen, seit diese nicht mehr davor zurückschreckten, Bundesrichter zu ermorden und die Cops anzugreifen. Viele Nazi-Terroristen wurden verhaftet oder mussten in den Untergrund fliehen. Im Augenblick findet gerade ein Prozess gegen eine der bekanntesten Nazi-Terrororganisationen statt: B.O.R.N., also Battle Organization of Russian Nationalists, die zahlreiche Antifaschisten, Journalisten und Angehörige von Minderheiten ermordet haben. Sie haben beispielsweise einen asiatischen Straßenfeger hingerichtet und seinen abgeschnittenen Kopf vor dem Eingang eines Verwaltungsgebäudes platziert ... Mittlerweile ist der Trend rückläufig, das Maß an Gewalt ist sehr zurückgegangen. Es ist viel sicherer, Konzerte zu organisieren, und es werden viel seltener Leute aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer Kleidung angegriffen. Wir betrachten das als großen Sieg der Antifa-Szene. Aber die Gefahr ist immer noch da und es wäre sehr naiv, das zu verharmlosen oder zu glauben, dass der Feind nicht wieder zurückkommen könnte.

Was können wir in Zukunft von euch erwarten?

Wir haben einiges in Planung dieses Jahr. Es steht eine große Tour mit 17 Konzerten an, viele davon in Deutschland. Außerdem arbeiten wir an einem neuen Album. Die beste Neuigkeit ist aber unser Triple-Split-Release mit unseren Brüdern, der legendären Hardcore-Band WHAT WE FEEL, und unseren guten Freunden aus Rostock, FEINE SAHNE FISCHFILET. Mit ihnen haben wir gerade einige Gigs in Österreich und Deutschland abgerissen. Es war unglaublich! Vielen Dank an dieser Stelle an Monchi und FEINE SAHNE FISCHFILET, uns mit auf Tour zu nehmen, und für ihren Support. Danke an alle, die uns und unsere Benefiz-Projekte unterstützen und unterstützt haben und uns helfen, Gigs und Touren zu realisieren oder unseren Merch kaufen. Bleibt euch treu, sagt nein zu Diskriminierung jeder Art. Unity, Freundschaft und gegenseitiger Respekt sind die einzigen Wege, um eine stärkere Szene aufzubauen und um bessere Individuen zu werden.

 


„Unpolitische“ Antifa?

Während der Bearbeitung dieses Interviews gab es einigen Wirbel um MOSCOW DEATH BRIGADE: Auf indymedia.org erschien am 15.02.2015 ein Beitrag der anonymen Gruppe „Antifascist Subculture Worldwide“. Diese warfen MDB (und dem direkten Umfeld der Band) vor, Kontakte zur un- bis rechtspolitischen Grauzone Russlands zu pflegen. Des Weiteren wurde die Einschätzung geäußert, es handle sich beim Antifaschismus der Band in vielen Bereichen um marktstrategische Lippenbekenntnisse. MDB würden zwar militant gegen Neonazis vorgehen, andere Bereiche einer emanzipierten Politik würden aber bewusst ausgeklammert. Sexismus, Homophobie und Chauvinismus wären demnach bei MDB gang und gäbe, es zähle einzig das Bekenntnis zu einem vage definierten „Antifaschismus“. Dieser beschränke sich demnach auch darauf, auf im Grunde „unpolitische“ Art und Weise den Straßenkampf mit dem rechtsextremen Feind zu suchen.

MOSCOW DEATH BRIGADE und WHAT WE FEEL, die ebenfalls angegriffen wurden, reagierten am 19.02. mit einem ausführlichen gemeinsamen Statement, das ebenfalls auf indymedia.org veröffentlicht wurde. Die Bands wiesen die Anschuldigungen im Gros zurück und stellten ihre Sicht der Dinge dar: „Das Statement‚ russische Antifaschisten seien in Wahrheit Faschisten, ist nichts Neues für uns.“ Laut WWF und MDB sei es aber existenziell wichtig, anzuerkennen, dass die russische Antifa-Szene sich in einem ganz anderen Entwicklungsstadium befinde als die westeuropäischen Antifa-Zusammenhänge: „Die Methoden einiger junger russischer Antifa-Aktivisten mögen den Angehörigen der modernen Szene Deutschlands fragwürdig vorkommen“, es müsse aber berücksichtigt werden, dass die Lebenswirklichkeit in Russland eine andere sei. Noch in den früheren 2000er Jahren sei der antifaschistische Kampf darauf beschränkt gewesen, einfach nur zu überleben. Aus der entsprechenden Notwendigkeit sei die Szene daher auch von Beginn an körperlich sehr militant in Erscheinung getreten.

Die Beschuldigung, homophobes Gedankengut zu transportieren, wiesen die Bands in aller Deutlichkeit zurück mit Verweis auf die Band RAZOR BOIS, in der auch Mitglieder von MDB aktiv waren. So hatten die RAZOR BOIS beispielsweise einen Song mit dem Titel „Kick homophobia out of our scene“. Als weiteres Entkräftungsindiz legten WWF und MDB ihrem Statement Fotos von sich mit „Love Hardcore – Hate Homophobia“-Transparenten bei, die auf diversen Touren entstanden waren, sowie einen Videoclip von MDB, der die Gruppe vor einem entsprechenden Banner auf der Bühne zeigt. Den Vorwurf, russisch-nationalistische Tendenzen aufzuweisen, beantworteten die Bands mit dem Verweis auf ihre eigenen Mitglieder: So bestehe das Line-up beider Bands aus Ukrainern, Russen und Tataren, mit sowohl jüdischen als auch christlichen oder muslimischen Elternhäusern. Während die russische Neonazi-Szene immer wieder betont hätte, dass die Antifa gegen „das russische Volk“ stünde, hätten MDB und WWF immer wieder bekräftigt, dass sie sich in ihrem Selbstverständnis als Antifaschisten gegen Nationalisten und Rassisten aller Couleur stellten.

Wer sich selbst ein genaues Bild der Auseinandersetzung machen will, liest sich am besten beide Statements im Netz durch und kann für sich selbst entscheiden. MDB und WWF haben deutlich gemacht, dass sie an einem Dialog interessiert sind. Dementsprechend stellten sie sich am 20.02.2015 in Berlin vor ihrem Konzert in der Köpi bereits der Kritik in einer offenen Diskussionsrunde. Es geht eben auch ganz „un-anonym“.