EINE ZENSUR FINDET NICHT STATT

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Punkrock auf dem Index

Das Thema Zensur spielte rund um den Punk schon immer eine Rolle. Denn Punk ist im besten Falle ungemütlich und kritisch. Schließlich tut Punk das, was Künstler anderer Genres vergleichsweise selten tun: Er stellt den gesellschaftlichen und politischen Status quo im Lande in Frage und versucht, Missstände und besorgniserregende Tendenzen aufzuzeigen. Vom staatlichen Sanktionsapparat über kapitalistische Auswüchse bis hin zu rechtem Gedankengut nimmt der Punk alles, was der Menschlichkeit zuwiderläuft, aufs Korn. Und er nimmt dabei mitunter kein Blatt vor den Mund. Das ist gut so. Das ist seine ureigene Idee und der Boden, auf dem dieses Genre von Anfang an gedeihen konnte. Aber das ist auch der Grund, warum den vermeintlich guten Geschmack im Lande kontrollierende Behörden wie die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften oder der Verfassungsschutz immer wieder auf den Plan treten, um den Punk und dessen Bands auszubremsen. Das war schon so in den Achtziger Jahren bei SLIME. Und das ist heutzutage bei Bands wie FEINE SAHNE FISCHFILET noch immer nicht anders. Der Gedanke, dass dieser Zusammenhang zwischen „Punk und Zensur“ in einem Land, in dem es eine Zensur offiziell gar nicht gibt, doch existiert, liegt also nahe. Im Folgenden der Versuch einer Spurensuche.

Die Szenerie ist surreal. Ein Dutzend Frauen und Männer sitzen an einem großen Tisch. Sie tragen Hemd und Jackett, Strickpulli oder Bluse. Plastikschildchen an jedem Platz weisen sie aus als Vertreter von Buchhandlungen, Kirchengemeinden, Schulen und Jugendeinrichtungen. Und während sie Orangensaft oder heißen Kaffee trinken, machen sie sich Notizen und hören Musik: „Ob Hitler oder Sarrazin: Nazis aufs Maul! Ob Wismar oder Berlin: Nazis aufs Maul! Ob Stuttgart oder Schwerin: Nazis aufs Maul!“ Schnell, laut und hart dröhnt es aus dem Lautsprecher. Schrammelpunk und Keksfrühstück. Verzerrte Gitarren und klickende Kugelschreiber. Geschrei und dezentes Ins-Taschentuch-Schnäuzen – das Gremium der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien tagt.

An diesem frühen Dezembermorgen indes präsentieren sich die Vertreter der oftmals als Zensurbehörde beschimpften Bundesprüfstelle eher als zahnlose Hündchen deutscher Bürokratie denn als die Freiheit des Künstlers fressende Sanktionsmonster: Das Album „Schnauze voll!“ der Punkband AUF BEWÄHRUNG, das da gerade läuft, wird letztlich nicht indiziert. Eine Erklärung im Detail werde es zwar erst in ein paar Wochen geben, sagt Petra Meier, die im Hause die Stellvertreterin der ewigen Chefin und Jugendschutz-Ikone Elke Monssen-Engberding ist und an diesem Tag dem Gremium vorsitzt. Schließlich müsse die Begründung für die Nicht-Indizierung erst noch geschrieben, kopiert und an alle Verfahrensbeteiligten geschickt werden. Und dafür sei an einem Tag wie diesem keine Zeit mehr: Die Runde wird sich noch einen Horrorfilm anschauen und danach ein Computer-Ballerspiel von einem Experten vorspielen lassen, um es auf eine Jugendgefährdung hin zu überprüfen. Sicher sei aber schon mal, im Falle von „Schnauze voll!“ liege keine solche Gefährdung für die Jugend vor. Auch das Lied „Nazis aufs Maul“, das im Zentrum der gestrengen Beobachtung steht, sei diesbezüglich als harmlos einzustufen.

Ändern wird diese Entscheidung zugunsten einer Punkband und ihres Tonträgers wohl nichts daran, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Punkrock-Kreisen eher verteufelt denn willkommen geheißen wird. Aber ist sie wirklich so schlimm? Mehr noch, gibt es dieses gerne beschworene Konstrukt namens „Punk und Zensur“ hierzulande tatsächlich? Ist der Punk in Gefahr? In Ländern, in denen Staat und Religion eng miteinander verknüpft sind oder in denen totalitäre Regimes mit allen Mitteln versuchen, Macht und Einfluss zu sichern, wird natürlich nach wie vor rigoros zensiert– das bedeutet von bürokratisch bis physisch und psychisch gewalttätig.

Das Beispiel Russland ist noch allen gegenwärtig: Die Punk-Mädels PUSSY RIOT stellen sich in eine Moskauer Kirche, motzen gegen den Despoten Putin und wandern dafür gleich ins sibirische Arbeitslager. Und auch wenn sie mittlerweile dank einer generalstabsmäßig geplanten PR-Aktion endlich wieder auf freiem Fuß sind, gilt das Motto: Macht ihr die Schnauze auf, stopfen wir euch das Maul und knallen hinter euch die Türen zu. Aber in Deutschland ...?

Ein derart perfides System existiert hierzulande nicht. Zensur an sich gibt es offiziell nicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Lehren gezogen aus dem in allen Lebensbereichen intervenierenden nationalsozialistischen System. Trotzdem gibt es immer wieder Punkte, an denen die staatlichen Institutionen im Land hinterfragt werden müssen. Diesen Institutionen voran steht nun einmal – abgesehen von der Staatsanwaltschaft – die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien als jene Einrichtung, die den Vertrieb von Tonträgern und anderen Medien einschränken oder unterbinden und damit in die Freiheit des Künstlers eingreifen kann. Und aller Kaffee- und Morgenrunden-Idylle zum Trotz gibt es seit jeher durchaus absurde Entscheidungen und seltsame bis gefährliche Schieflagen in der Beurteilung dessen, was wirklich staatsfeindlich, jugendgefährdend oder die Gesellschaft zersetzend sei.

Die Zahl an Bands aus dem Genre Punk, deren Tonträger bislang indiziert wurden, ist ansehnlich. Populärstes Beispiel sind sicherlich DIE ÄRZTE. Bei ihnen waren es keine volksverhetzenden Aussagen mit politischem Einschlag, die die Berliner auf die schwarze Liste der Bundesprüfstelle brachten. Es waren ihre jugendlich-naiven Sex-Textchen über Beischlaf mit der Schwester, Sado-Maso-Exzesse mit Gwendoline oder die Annahme, Helmut Kohl schlage im stillen Kämmerlein seine Frau.

Der Stein des Anstoßes im Falle der ANGEFAHRENEN SCHULKINDER wiederum war erstens eine recht obszöne Liebeserklärung an die Grande Dame des deutschen Tennis Steffi Graf, in der obendrein auch noch Sex zwischen der Sportlerin und ihrem Vater angedeutet wurde („I wanna make love to Steffi Graf“), sowie zweitens der Wunsch, den Orangensaftkönig Dittmeyer umzubringen („Tötet Onkel Dittmeyer“). Die STRASSENJUNGS-Platte „Dauerlutscher“ wurde wegen der anstößigen Texte indiziert. Und DIE TOTEN HOSEN – damals noch auf Krawall anstatt Stadionrock gebürstet – mussten das Cover ihres 1984er-Albums „Unter falscher Flagge“ nach einer rechtlichen Auseinandersetzung ändern, da sie auf dem ursprünglichen Motiv als Piraten unter der zerfledderten Flagge der Plattenfirma EMI segelten – von der hatte sich die Band zuvor im Streit getrennt. Ein Sticker mit der Aufschrift „Zensiert“ verdeckte bei Neuauflagen das Logo – Zensur war freilich nicht der Grund, es ging schlicht um Markenrechte.

So richtig ernst gegenüber derlei Harmlosigkeiten wurde es da im Falle von Bands wie SLIME, KLARTEXT PUNKROCK oder ATARI TEENAGE RIOT. Diesen Combos ging es schließlich nicht darum, mit kleinen Pennäler-Witzchen oder mit im Überschwang der Jugend initiierten Blödeleien aufzufallen und zu „schockieren“. Ihnen ging es um klare politische Aussagen. Um die Positionierung an einer bestimmten Stelle des politisch-gesellschaftlichen Spektrums. Um das Anprangern von Dingen, die sie als Missstände erkannt hatten. ATARI TEENAGE RIOT bekamen Ärger, als die Bundesprüfstelle im Jahre 2002 auf Antrag des bayrischen Landesjugendamts das Album „The Future Of War“ indizierte. In der offiziellen Begründung hieß es, Textzeilen wie „Deutschland has gotta die – Let’s burn Deutschland“ wirkten auf Jugendliche verrohend. Da nutzte auch der energische Widerspruch von Frontmann Alec Empire nichts. Für ihn war das Album ein Statement gegen die wieder aufkeimenden, rechtsradikalen Tendenzen im Land ebenso wie eine Kritik am Hightech-Wahn der Gegenwart.

SLIME und KLARTEXT PUNKROCK wiederum beweisen, dass die Bundesprüfstelle vor allem eines nicht leiden kann: Kritik an der und den Aufruf zur Gewalt gegen die Staatsmacht, die Polizei. Die Platte „Der Staat ist tot“ von KLARTEXT PUNKROCK landete erst jüngst, im Jahr 2012, auf dem Index, weil in ihren Songs wie „Im Zeichen der Gewalt“ oder „Ende“ nicht nur Prügel für Nazis als legitim und wünschenswert besungen werden. Zitat aus „Im Zeichen der Gewalt“: „Ich bin der Typ, der Nazis haut, ich hau sie einfach weg. (...) Schlagt sie einfach nieder. Macht sie einfach kalt. Lasst sie einfach liegen. Nur ein Zeichen der Gewalt“. Und in dem Song „Ende“ heißt es: „Sie müssen nur den Knüppel aus der Tasche zieh’n, dann mit Schmackes über seinen Schädel ziehen. Dann müssen Sie noch kurz warten und dann kommt da schon Blut. Lassen Sie den Nazi liegen, und dann ist gut.“ Sie landete auch und vor allem auf dem Index, weil es im Stück „Grüne Schatten“ heißt: „Sie rennen durch die Straßen. Sie tragen alle grün. Sie schlagen mit dem Knüppel gern. Ich hab’s schon live gesehen. Brutale Polizisten beschützen diesen Staat. Steine fliegen durch die Luft. Die Schwerkraft hat versagt. Brennende Straßen, ein leuchtendes Rot. Der Kampf gegen den Abschaum Bullenaufgebot.“

Die Songs „Bullenschweine“ und „Polizei SA/SS“ von SLIME hingegen sind schon seit Beginn der Achtziger Jahre Klassiker des Genres und sattsam bekannt. Umso beachtlicher – und vielleicht ein Indiz für den Wind, der derzeit in Sachen Punk verschärft durch die Bundesprüfstelle weht – ist es da schon, dass „Bullenschweine“ erst knapp dreißig Jahre nach Erscheinen auf dem Index landete: 2011 nämlich, als es per Reissue noch einmal neu veröffentlicht wurde. Ebenfalls erst in den vergangenen paar Monaten wurden der SLIME-Tribute-Sampler „Alle gegen Alle – A TributeTo Slime“ und der Filmsoundtrack „Chaostage – We’re Punks“ auf die Liste des Bösen gesetzt.

Petra Meier von der Bundesprüfstelle, angesprochen auf diese Fälle, betont: „Der Anteil von Tonträgern aus dem Bereich Punk an den indizierten Tonträgern ist klein.“ Geschätzt bestehe die Liste derzeit aus 80% rechter Musik, die wegen der Verherrlichung des Nationalsozialismus und der Anstiftung zum Rassenhass indiziert wurde. Und ein Blick ins Archiv der Behörde offenbart tatsächlich zig Regale, in denen Rechtsrock-CD an Rechtsrock-CD steht. Hinzu kommen Tonträger mit Porno- und Gangsta-Rap sowie vereinzelte Platten aus den Genres Death Metal und Black Metal. Der Punk spielt hier tatsächlich eine eher untergeordnete Rolle. Und seine Erzeugnisse seien, so sagt Petra Meier, in den vergangenen Jahren ganz sicher nicht – wie oftmals vermutet – wegen der unabdingbaren linken Gesinnung auf dem Index gelandet, sondern „weil da das Thema ,Gewalt gegen Polizei‘ angesprochen wurde“.

Petra Meier gibt zu: „Da ist das Gremium schon recht streng.“ Und sobald es sich um eine „erkennbare Handlungsanweisung an Jugendliche“ handele, werde da auch kein Unterschied zur Musik aus dem rechten Spektrum gemacht, deren Bands oftmals die gleiche Schiene führen: „Da wird ja auch mitunter gesagt: ,Die Bullen müssen auf die Fresse kriegen!‘ Das ist ein Thema, das von beiden Seiten angesprochen wird.“ Wer es anspricht, der bekommt genreübergreifend Schwierigkeiten. Kein Problem mit dem Punk also?

Eine recht frische , eindeutige Erfahrung mit dem Thema „Punk und Zensur“ hat die Schweriner Band FEINE SAHNE FISCHFILET gemacht. Bei ihnen rappelte es sogar noch mehr im Karton als bei den meisten ihrer Kollegen, die zuvor ins Visier der Hüter des vermeintlich guten Geschmacks gerieten: FSFF landeten wegen ihrer Songs und diverser Aussagen von Sänger Monchi auf der schwarzen Liste – und zwar auf der des Verfassungsschutzes. Dessen Vertreter werden nicht etwa bei einer potenziellen Gefährdung der Jugend und ihrer jungen Seelen aktiv, sondern wenn das große Ganze, wenn Wohl und Wehe der Demokratie auf dem Spiel stehen.

Und die Verfassungsschützer wurden recht flott aktiv: „Ich habe irgendwann einmal gesagt, dass ich nicht heule, wenn ein Nazi auf die Fresse kriegt“, erinnert sich Monchi. „Dann kamen noch ein paar Songtexte hinzu.“ Und schon sei es passiert: Das Auge des Gesetzes öffnete sich. Und seitdem starrt es unablässig auf die Musiker. Für Monchi bis heute unerträglich und nicht nachvollziehbar: „Es passiert so viel Scheiße auf der Welt. Da werde ich doch bestimmt nicht anfangen zu weinen, wenn jemand, der so eine die Menschen verachtende Einstellung an den Tag legt, ein paar nonverbale Denkanstöße bekommt“, sagt er. Und überhaupt: „Plötzlich merkst du, dass die beim Verfassungsschutz mehr über dich schreiben und berichten als über alle Nazibands aus Mecklenburg-Vorpommern zusammen.“ Das sei für ihn auch eine klare Zustandsbeschreibung einer solchen Behörde. „Ich halte ja nicht viel von Verschwörungstheorien. Das finde ich eher peinlich. Aber in diesem Falle weiß ich, warum ich diese Behörde scheiße finde: Bei denen steht der Feind anscheinend ganz klar links. Die haben im ersten Verfassungsschutzbericht, in dem wir damals auftauchten, sogar mehr über uns berichtet als über den NSU. Und die haben Menschen abgeknallt. So etwas finde ich gefährlich.“

Mittlerweile würden zudem viele antifaschistische Initiativen – die meisten von ihnen klar in der Punk-Szene verwurzelt – „kriminalisiert“. Und hinzu komme ein weiteres Problem, das vielleicht sogar wesentlich schwerwiegender sei als der Akt des Eingreifens staatlicher Organe in die künstlerische Freiheit: das Geld. „Wir haben jetzt schon mehrere tausend Euro an Kosten für Anwälte gehabt“, sagt Monchi. „Dabei ist diese Sache ja noch nicht zu Ende. Und es ist ja nun nicht so, dass irgendwer von uns einen super bezahlten Job hat.“ Glücklicherweise bekämen FEINE SAHNE FISCHFILET mittlerweile ob ihrer gewachsenen Bekanntheit etwas höhere Gagen. „Und die gehen quasi direkt an den Anwalt.“

Es ist ein Gedanke, den man problemlos weiterspinnen kann – und dann schnell bei Bands landet, die nicht das Glück haben, derlei Gagen zu bekommen. Diese Bands können keine Anwälte bezahlen. Sie müssen sich entscheiden: Nehmen wir uns zurück? Oder lassen wir es drauf ankommen – und riskieren den wirtschaftlichen Ruin und damit womöglich das Ende der Band?

Also herrscht doch der Zensur-Zustand in der Bundesrepublik? Wolfgang „Wölfi“ Wendland, Sänger der KASSIERER und als solcher bereits mehrfach vorstellig geworden beim Gremium der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, sagt überraschend deutlich: „Nein. Es gibt keine Zensur in Deutschland. Eine Zensur wäre es doch, wenn ein staatliches Organ vor der Veröffentlichung etwa eines Tonträgers schauen würde, ob das Produkt genehm ist. Aber du brauchst hierzulande ja keine Zensurfreigabe, wenn du etwas drucken oder pressen willst. Da fragt niemand nach. Eigentlich kannst du alles machen. Im Internet sowieso.“ Das Einzige, was einer zu arg auf die textliche Tube drückenden Band passieren könnte: „Du kannst Ärger mit der Staatsanwaltschaft bekommen, wenn etwas zu böse ist.“ Indizierung bedeute im Falle der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien letztlich ja nichts anderes als keine Abgabe an Personen unter 18 Jahren, keinen Versandhandel, keine Reklame. „Da finde ich es übertrieben, von Zensur zu sprechen.“

Wölfi indes hat aber auch gut reden: Die Platten seiner Band wurden trotz Texten wie „Ich töte meinen Nachbarn und verprügel seine Leiche“ oder „Ich onaniere in den kopflosen Rumpf von Uwe Seeler“ auch noch nie indiziert. Mehr noch, sie gelten dank des Durchwinkens durch das Indizierungsgremium offiziell als Kunst. Das Geheimnis des Wendlandschen Erfolges hört sich simpel an: „Man muss die Mitglieder des Gremiums bei der Bundesprüfstelle eigentlich zum Lachen bringen, dann hat man gewonnen.“ Das habe er selber bei den diversen Besuchen und Sitzungen vor Ort erlebt. Einmal habe sich sogar ein Mitarbeiter der Behörde als jemand entpuppt, der in seiner Freizeit KASSIERER-Platten hört. Und überhaupt hätte die Band in ihrer Karriere nur einmal ein Konzert auf Druck von staatlicher Seite absagen müssen: „Das war in den Neunzigern“, sagt Wölfi. „Da wollten wir gemeinsam mit LOKALMATADORE in Duisburg spielen und haben, nichts Böses denkend, Konzertflyer bei den Chaostagen in Hannover verteilt. Diesen Flyer hat die Polizei irgendwie in die Hände bekommen und dem Besitzer des Ladens soviel Druck gemacht, dass er den Auftritt abgeblasen hat – weil wir die Zettel eben bei den Chaostagen unter die Leute gebracht haben.“ Das Motto: Hier wird es eindeutig zu (links)politisch. Das Kuriose: „Den Auftritt haben wir dann ein halbes Jahr später woanders nachgeholt – mit WIZO, weil die LOKALMATADORE keine Zeit hatten. Und WIZO galten ja schon damals als extrem politisch. Da hatte aber komischerweise keiner ein Problem mit.“

Der Autor, Kunsthistoriker und Soziologe Roland Seim, der unter anderem mit seinem Buch „Nur für Erwachsene – Rock- und Popmusik: zensiert, diskutiert, unterschlagen“ einen wichtigen Beitrag zur Zensurdiskussion national wie international geliefert hat, stimmt sowohl Wolfgang Wendland als auch Petra Meier von der Bundesprüfstelle in gewisser Hinsicht zu, wenn er bezüglich Indizierung oder Zensur sagt: „Auch als Kritiker der Zensur muss man nicht jeden Dreck verteidigen, nur weil er auf Platte gepresst und indiziert wurde.“ Aber er spricht auch davon, dass sich die Fälle, in denen Punk auf dem Index landet, wieder häufen. Er kritisiert sowohl „bizarre“ Fälle wie die erwähnte, verspätete Indizierung des SLIME-Songs „Bullenschweine“ sowie eine andere Seite des staatlichen Eingreifens in die Freiheit des Künstlers:

„Nicht weniger problematisch sind richterliche Beschlagnahmungen und polizeiliche Razzien“, sagt er – und spielt dabei unter anderem auf die Band NORMAHL an, deren Textzeile „Haut die Bullen platt wie Stullen. Haut ihnen ins Gesicht, bis dass der Schädel bricht“ in 2013 – und damit quasi „SLIME-mäßig“ 31 Jahre nach Erscheinen – zu einer Hausdurchsuchung und einer Anklage wegen Gewaltverherrlichung geführt habe. „Wenn der Staatsschutz oder der Verfassungsschutz ermittelt oder wenn es Polizeirazzien gibt, dann taucht das in keiner offiziellen Liste auf“, sagt Roland Seim. Und das bedeute wiederum: Die Angaben, die in den Listen der Bundesprüfstelle stehen, seien nur die Spitze des Eisbergs. „Die haben eher Symbolcharakter und sollen den Leuten zeigen: Haltet euch an die Spielregeln!“ Anders gesagt: Unterhalb der Spitze, im trüben Wasser der nie öffentlich gemachten Aktion und Maßnahmen gegen vermeintlich staatsfeindliche Umtriebe, gehe es unbeobachtet und mutmaßlich hoch her.

Auch einen Fall wie den des NOFX-Albums „Eating Lamb“ sieht der Wissenschaftler problematisch. Dessen Cover wurde 1996 wegen des Bildes eines Mannes, der sich mit einem Schaf gerade in der so genannten „69er-Position“ vergnügt, aus dem Verkehr gezogen und durch eine dezentere „Streichel-Variante“ ersetzt. Der Prozess bis dahin sei kurios wie bedenklich gewesen: Die Platte habe im Schaufenster eines Plattenladens gelegen. Ein Passant sei vorbeiflaniert, habe das Cover gesehen – und entrüstet Anzeige erstattet. Der Fall landete vor Gericht. Und der zuständige Richter habe schließlich gesagt, dass es sich bei diesem Covermotiv um eine tierpornografische Darstellung handele. „Daraufhin wurde die Platte verboten“, sagt Roland Seim. Wohl gemerkt: nicht indiziert, denn das sei sie bis heute nicht. Sondern gänzlich aus dem Verkehr gezogen. „Da definiert ein Richter einfach mal den Kunstbegriff aus der Lameng und sagt: ,Diese Platte verbiete ich jetzt mal.‘ Also wenn das keine Zensur ist, dann möchte ich doch bitte einmal die Definition von Zensur lesen.“ Und betonend schiebt er eine rhetorische Frage hinterher: „Wenn Rubens Zeus als Europa-Vergewaltiger darstellt, dann ist es Kunst. Wenn NOFX es machen – ebenfalls als Gemälde –, dann ist es Pornografie?“

Natürlich: Eine Vorzensur – was ja die eigentliche Form von Zensur ist, weil sie vor Veröffentlichung eines Mediums verhängt wird – gebe es tatsächlich nicht in Deutschland. Indes: „Es gibt sie nicht im juristischen Sinne. Aber im gesellschaftsrelevanten und sozialwissenschaftlichen Sinne gibt es sie schon. Denn es ist eben auch dann Zensur, wenn ein Richter für eine Platte ein Totalverbot ausspricht und sie nicht mehr an Erwachsene verteilt werden darf.“

Roland Seim begründet das Vorgehen von Behörden wie der Bundesprüfstelle oder des Verfassungsschutzes neben dem zweifelsohne wichtigen Schutz von Minderjährigen damit, dass „der Staat in Ruhe vor sich hin funktionieren“ wolle. „Alle sollen mitspielen, fleißig und gesetzestreu sein, das kapitalistische System nicht in Frage stellen. Die subversiven Elemente in den Lederjacken – so nannte es mein Lehrer – werden als Sand im Getriebe nicht gerne gesehen, wenn ihre Musik mit aggressiven Texten und Covern zu Gewalt gegen den Staat und dessen Organe aufruft.“ Das sei im Falle rechter Musik so. Und das sei im Falle von Bands wie SLIME so, deren Musik ursprünglich ja auch direkt mit dem zeitgeschichtlichen Geschehen verbunden gewesen sei: mit der autonomen Hausbesetzer-Szene in Hamburg, mit den Startbahn-West-Demos, mit den Anti-Atomkraftwerk-Demos. Roland Seim sagt allerdings auch: „Gleichwohl ist Deutschland trotz fragwürdiger Aktionen wie dem ,Hamburger Kessel‘ oder der unrühmlichen Rolle des Verfassungsschutzes bei den Morden des Nationalsozialistischen Untergrundes kein Polizeistaat. Ohne die Beamten würde das Faustrecht auf den Straßen regieren.“

Überhaupt fordert er, dass sich die Punk-Szene Gedanken machen solle über die wahren Feindbilder: das Großkapital, die Hedgefonds-Manager, die Spekulanten und dubiosen Finanzinvestoren. „Ich finde, die wahren Krisen und Katastrophen sollen wieder zum Thema eines subkulturellen Punkrocks für denkende Menschen werden – nicht das alte Bullen-Bashing.“ Und eben auch nicht die Debatte um eine vermeintliche Zensur.

Auch Wolfgang Wendland – für den es ja, wie erwähnt, ohnehin keine Zensur hierzulande gibt – sieht die Gefahren der (Punk-)Kultur abseits von Zensur oder Indizierung: „Nehmen wir als Beispiel das Konzert von FREI.WILD in der Dortmunder Westfalenhalle“, sagt er. „Da brauchen große Parteien und viele Autonome erst eine Diskussionssendung bei Günther Jauch, um sich über die Gefahr, die von denen ausgeht, Gedanken zu machen, obwohl die ja schon Jahre vorher in der Grugahalle in Essen waren. Und plötzlich sensibilisiert so etwas dann die Kommunalpolitiker, die sich auf einmal bis ins letzte autonome Jugendzentrum Gedanken machen über die Bands, die da auftreten wollen.“

Es folge im nächsten Schritt die konservative Gleichsetzung zwischen links- und rechtsradikal. Und die wiederum führe in Kombination mit musikalischem Unwissen dazu, dass sich diese Politiker plötzlich in die Programmgestaltung der linken Jugendzentren einmischten und Bands, die angeblich gefährlich seien, um ihre Auftrittsmöglichkeiten brächten. „Wenn dieser Verbotswille – und Verbote sind ja derzeit schwer in Mode – auf mangelnde Sachkenntnis trifft, kommt am Ende furchtbarer Unsinn heraus“, sagt Wölfi. Punk werde in Zukunft also „weitaus schlimmere“ Probleme als eine Indizierung bekommen. „Es wird bis dahin gehen, dass es ihn gar nicht mehr gibt. Bis dahin, dass man alles, was nicht kompatibel ist mit dem Massengeschmack und ,Deutschland sucht den Superstar‘, ausmerzen will.“

Letztendlich also bleibt die Sache mit dem Punk und der Zensur eine äußerst zweischneidige, bisweilen diffuse Angelegenheit. Per definitionem existiert Zensur hierzulande nicht – und schon gar nicht in dem Maße, in dem sie in anderen Ländern ausgeübt wird. Dennoch sind die Eingriffe von Behörden wie Verfassungsschutz oder Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ein Eingriff in die künstlerische Freiheit. Ein Eingriff, der häufig erfolgt, weil es in der Musik eben um Dinge geht, die typisch für Punk sind. Maßnahmen treffen somit Genre und Szene unmittelbar – und werden ergriffen von Personen, die sich in der Materie nicht unbedingt auskennen. Beobachtung und Auf-der-Hut-Sein sind nicht passé, sondern nach wie vor angesagt.

Aber darüber hinaus ist es vielleicht tatsächlich sinnvoll, der Aufforderung Roland Seims nachzukommen und sich als Punk-affiner Mensch nicht nur mit Zensur und Indizierung und Polizeigewalt – die ja oftmals erst jene Reaktionen und Produkte bedingt, die sanktioniert, zensiert oder indiziert werden – zu beschäftigen, sondern verstärkt auch die anderen, dringenderen Feindbilder und unliebsamen Tendenzen zu erkennen. Einen guten Ansatz dafür liefert einer wie Berthold Seliger in seinem Buch „Das Geschäft mit der Musik“. Seliger ist Inhaber einer Konzertagentur und spricht in seinem „Insiderbericht“ offen von der „Manipulation der Menschen durch seichte Massenkultur“. Seichte Musikmasse ohne Botschaft und Aussage hält den Hörer fern von Gedanken der Aufmüpfigkeit und Revolution und schützt somit den Staat und Großverdiener. Weil diese seichte Sauce eben massenhaft produziert und konsumiert wird, bringt sie Geld in die Kassen aller beteiligten Konzerne. Und zu diesen Konzernen gehören eben auch Musik-Majorlabels, Konzertagenturen, Konzerthallen oder Ticketanbieter, die nicht auf Außergewöhnliches, sondern auf Stromlinienförmiges Wert legen. Denn das ist es, was Geld bringt. Und weil sich das Musikgeschäft global auf immer weniger „Big-Player“ konzentriert, die zigfach teure Dienstleistungen an sich reißen und anbieten – in Deutschland ist das zum Beispiel die Firma CTS Eventim –, wird eben auch das kulturelle Programm immer mehr „zensiert“: Gebucht werden „Künstler“, die Profit garantieren und nichts zu sagen haben. Der Rest muss ums Überleben kämpfen und hat vergleichsweise beschämend geringe Möglichkeiten, möglichst viele Menschen zu erreichen und vielleicht wachzurütteln. Auch das ist Zensur. Es ist die Zensur des Kapitalismus. Und die ist keine gemütliche, morgendliche Kaffeetafel mit Keksen und Musikhören. Die ist auch kein diffuses, theoretisches Konstrukt. Die existiert wirklich.

 


Zensur ist laut Duden „ein restriktives Verfahren von in der Regel staatlichen Stellen, um durch Massenmedien oder im persönlichen Informationsverkehr vermittelte Inhalte zu kontrollieren, unerwünschte beziehungsweise Gesetzen zuwiderlaufende Inhalte zu unterdrücken und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass nur erwünschte Inhalte veröffentlicht oder ausgetauscht werden. Abgeleitet ist der Begriff vom lateinischen Wort „censura“, das eine strenge Prüfung beziehungsweise Beurteilung bezeichnet sowie gleichzeitig auch das Amt eines Sittenrichters (Censor) im römischen Staat bezeichnete. Zensur gab es in der Geschichte der Menschheit schon immer – und es gibt sie bis heute. Besonders häufig wurde und wird sie angewendet von totalitäten Regimes wie etwa den Nationalsozialisten in Deutschland oder den Regierungen der heutigen Volksrepublik China oder Nordkoreas.

 


Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ist eine Bundesoberbehörde. Das bedeutet, sie ist direkt einem Bundesministerium als höchster Verwaltungseinheit des Landes unterstellt – in diesem Falle dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Bonn. Gegründet wurde sie 1954 als Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften.

Die Aufgabe des Bundesprüfstelle ist die Gewährleistung des Jugendschutzes durch die Prüfung von Medien aller Art auf eine eventuelle Jugendgefährdung. Wird ein Medium – dazu gehören Ton- und Bildträger aller Art, Computerspiele sowie Bücher und sonstige Printmedien – als für die seelische Entwicklung von Jugendlichen gefährlich eingestuft, werden sie in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen. Diese Aufnahme wird Indizierung genannt. Die Bundesprüfstelle beruft sich bei ihrer Arbeit auf die „Bestimmungen zum Schutz der Jugend“, die im Grundgesetz verankert sind und das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung einschränken.

Es gibt zwei Arten von jugendgefährdenden Medien:

1. Der Tatbestand der (einfachen) Jugendgefährdung
liegt vor, wenn ein Medium unsittliche Inhalte umfasst (im sexuellen Sinne), eine überharte Darstellung von Gewalt, eine Anstiftung zum Rassenhass, eine Verherrlichung des Nationalsozialismus, eine Diskriminierung von Menschen oder eine Verherrlichung/Verharmlosung von Drogenkonsum vorliegt. Ein indiziertes Medium darf nur noch an Orten beworben und angeboten werden, die ausschließlich Erwachsenen zugänglich sind. Diese Medien müssen auf der Indizierungsliste geführt und bekannt gemacht werden.

2. Schwer jugendgefährdende Medien sind solche, die Propagandamittel nationalsozialistischer Organisationen verbreiten, den Holocaust leugnen, zu schweren Straftaten anleiten, pornographisch sind und Gewalttätigkeiten oder sexuelle Handlungen von Menschen mit oder an Tieren oder Minderjährigen umfassen, den Krieg verherrlichen oder besonders realistische und grausame, körperliche und seelische Darstellungen von Gewalt beinhalten. Für schwer jugendgefährdende Medien gelten die Beschränkungen auch, ohne dass es einer Aufnahme in die Liste oder einer Bekanntmachung bedarf. Schwer jugendgefährdenden Medien verstoßen zudem häufig gegen Strafgesetze und dürfen daher auch Erwachsenen nicht zugänglich gemacht werden (absolutes Verbreitungsverbot).

Einen Antrag auf Indizierung stellen können Jugendämter und alle ähnlichen Jugendbehörden, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Kommission für Jugendmedienschutz. Von sich aus tätig werden darf die Bundesprüfstelle nicht. Ebenso können auch Privatpersonen keinen Antrag auf Indizierung stellen.

Über eine Indizierung entscheiden zwei Gremien: ein Dreier-Gremium (im Falle von offensichtlich jugendgefährdenden Medien) einstimmig – oder das große Zwölfer-Gremium mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit. In beiden Gremien sitzen die Vorsitzende/der Vorsitzende der Bundesprüfstelle sowie elf Beisitzer, die berufen wurden aus den Bereichen der Kunst, der Literatur, des Buchhandels und der Verlegerschaft, der Lehrerschaft, der Anbieter von Bildträgern und Telemedien, der Träger der freien und der öffentlichen Jugendhilfe sowie der Kirchen oder anderen Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.

Die Liste der jugendgefährdenden Medien wird vierteljährlich in der Zeitschrift „BpfjM aktuell“ veröffentlicht (zu beziehen für 14 Euro beim zuständigen Bundesministerium). Während die normalen Trägermedien (also alle Daten, die auf den oben genannten, festen Speichermedien gespeichert sind) veröffentlicht werden, dürfen die indizierten Telemedien (vor allem Internetdienste) nicht veröffentlicht werden, um eine Werbung dafür zu vermeiden.

Ein Eintrag in der Indizierungsliste ist 25 Jahre lang gültig und kann danach verlängert oder aufgehoben werden.

(Quellen: Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Wikipedia)

 


Punk auf dem Index

Auch wenn der Anteil von Punkrock-Tonträgern an den indizierten Medien im Vergleich zu Tonträgern, die rechtes Gedankengut propagieren oder Porno- und Gangsta-Rap enthalten, eher gering ist, steht doch fest: Es gibt es auch ein paar Beispiele für punkrockige Erzeugnisse, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten auf dem Index landeten. Hier eine kleine Auswahl.


V.A. „Schlachtrufe BRD II“

Der zweite Teil dieser mittlerweile – mal ehrfürchtig, mal abschätzend – als legendär eingestuften Sampler-Reihe enthielt in der ersten Pressung den Song „Kein Gerede“ (1992) von WIZO. Weil das Stück als Aufruf zur Gewalt gegen die Demokratie in Deutschland angesehen und 1995 indiziert wurde, enthalten die späteren Fassungen der Compilation den WIZO-Beitrag nicht mehr. Die beiden CDs „Für’n Arsch“ und deren Rerelease „Bleib tapfer/Für’n Arsch“, auf denen das Stück ebenfalls vertreten war, wurden vom Markt genommen und ohne dieses neu veröffentlicht. Ein Textauszug: „Kein Gerede, nur die Tat. Stoppt den skrupellosen Staat. Strommast sägen, Bomben legen, ab und zu ein Attentat. Sprengt die Käste, sprengt Paläste. Sprengt die Schweine in die Luft! Sprengt die Banken, sprengt die Schranken, jagt die Bonzen in die Flucht. Nehmt euch, was sie euch genommen. Nehmt euch das, was euch gehört. Macht kaputt, was euch kaputt macht. Macht kaputt, was euch zerstört. Noch ein Aufruf zur Revolte, noch ein Aufruf zur Gewalt. Viel zu lang gab’s Unterdrückung, steinigt diesen Staat!“

SLIME „Slime 1“

Am 9. Mai 2011 – und damit dreißig Jahre nach Erscheinen auf dem Label Aggressive Rockproduktionen – indizierte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf Antrag eines nicht weiter genannten Landeskriminalamtes das Debütalbum der vielleicht legendärsten aller deutschen (Polit-)Punkbands. Mehr noch: Die Platte, die in der Szene sattsam bekannte Klassiker wie „Polizei SA/SS“, „Bullenschweine“, „A.C.A.B.“, „Streetfight“ oder „Deutschland“ enthält, wurde sogar als schwer jugendgefährdend eingestuft. In der vom zuständigen Dreier-Gremium angegeben Begründung heißt es zur Platte: „Der Inhalt ist offensichtlich geeignet, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren [...].“

V.A. „Chaostage – We Are Punks“

Die Indizierung dieses Samplers am 2. Mai 2013 wurde hauptsächlich mit „verrohend wirkenden Textzeilen“ in den Liedern „We are punks“ (STICKBOY), „Chaostage“ (S.I.K.), „Bullenschweine“ (SLIME und Alec Empire) und „Wir leben“ (ALAMSIGNAL) begründet. In ihnen würden „soziale Missstände oder Fehler in unserem Rechtssystem [...] zum Teil in einer sehr radikalen, krassen und teils völlig überzogenen Art und Weise“ angeprangert. Letztlich blieb auch das Einschalten eines Rechtsanwalts durch das Label Nix Gut (Nix Gut GmbH) nutzlos.

NOFX „Eating Lamb“

Das Cover des 1996 veröffentlichten Albums der kalifornischen Punkrocker wurde nach einer Verfügung des Amtsgerichts Münster vom 29. Oktober 1996 ohne Indizierung (!) sogleich beschlagnahmt. Eine Passant, der das Coverartwork des Malers Mark Desalvo im Schaufenster eines Plattenladens in Münster gesehen hatte, hatte Anzeige erstattet – offensichtlich, weil er sich durch den dargestellten Oralsex eines Menschen mit einem Schaf in seinem Scham- und Sittlichkeitsgefühl verletzt gefühlt hatte. Der Inhaber des Ladengeschäftes wurde seinerzeit sogar zu einer Zahlung von 60 Tagessätzen à 50 D-Mark verurteilt. Das Cover durfte nicht mehr vertrieben werden und wurde durch eine neue, entschärfte Variante ersetzt.

DIE ÄRZTE

Die Berliner sind auf der Indizierungsliste gleich mehrfach vertreten – vor allem aber wegen ihrer Songs „Geschwisterliebe“ (in dem sie inzestuösen Geschlechtsverkehr zwischen Bruder und Schwester besingen), „Claudia“ (Beischlaf einer Frau mit ihrem Schäferhund) und „Helmut K.“ (weil das Trio darin andeutet, der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl schlage daheim im stillen Kämmerlein seine Frau Hannelore). Kurios: Um das Aufführungsverbot zu umgehen, nahmen DIE ÄRZTE für ihr 1988 erschienenes Live-Album „Nach uns die Sintflut“ das Lied „Geschwisterliebe“ instrumental auf – die Band spielt lediglich die Instrumente und lässt ihre Fans den indizierten Text singen. Die 1987 veröffentlichte, vom Namen her vielsagende EP „Ab 18“, die sämtliche indizierten Stücke noch einmal gesammelt enthält, wurde sofort verboten, auch weil auf ihr eine kaum sichtbare Darstellung des gefesselten Band-Maskottchens Gwendoline – nachweislich eine Freundin des Sadomaso-Kultes – zu sehen war.

(Quellen: Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien; Roland Seim: „Nur für Erwachsene – Rock- und Popmusik zensiert, diskutiert, unterschlagen“; Reto Wehrli: Verteufelter Heavy Metal – Skandale und Zensur in der neueren Musikgeschichte“)