Jens Rachut

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Verdammter Druck!

Jens Rachut, Jahrgang 1954, ist ein rastloser Typ, oder wie es der Wikipedia-Eintrag grausam lexikalisch formuliert, ein „deutscher Sänger, Songtexter, Hörspielautor und Theaterschauspieler“. Seit über 30 Jahren ist er mit seinen Bands integraler Teil der Hamburger Punkszene, hat als Sänger mit seiner eigenwilligen Art der Intonation und mit Texten, die meist schwer zu entschlüsseln sind, unzählige deutschsprachige Punkbands beeinflusst – und zwar die Guten, die sich nicht mit Befindlichkeitsgeseier in Richtung Pop-Hölle verabschiedet haben. Auf ANGESCHISSEN (1984-1988) folgten erst BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE (1991-1994) und dann DACKELBLUT (1994-1999), später kam KOMMANDO SONNE-NMILCH (1998-2013), mit OMA HANS ging es parallel weiter (2001-2006). Und seit einer Weile gibt es N.R.F.B. alias NUCLEAR RAPED FUCK BOMB, ein von Jens Rachut zusammen mit Mense Reents, Thomas Wenzel, Armin Nagel, Lisa Hagemeister und Becci Ohms betriebenes „Projekt“, das musikalisch an das früher experimentellere Werk von KOMMANDO SONNE-NMILCH anknüpft. KOMMANDO SONNE-NMILCH wiederum haben seit einer Weile das Erbe von OMA HANS angetreten, sind nach dem eigenwilligeren Frühwerk auch auf ihrem neuen, sechsten Album „You Pay I Fuck“ (Major Label) wieder eindeutig in rauhem Punkrock-Fahrwasser unterwegs. Zeitgleich haben auch N.R.F.B. mit „Trüffelbürste“ (Staatsakt) eine neue Platte veröffentlicht, und so gab es gleich zwei gute „offizielle“ Gründe, mit Jens zu telefonieren. Orchestriert wurde das Gespräch wie gewohnt von infernalischem Vogelgezwitscher – Rachuts Mitbewohner mögen es wohl nicht, wenn telefoniert wird.

Jens, was gibt’s Neues?


Ich mach ’ne neue Band. Mit KOMMANDO SONNE-NMILCH machen wir Schluss im Winter. Sechs Platten reichen doch, oder?

Ach, für mich hätte das noch ewig so weitergehen können.

Ja, ich mach was mit anderen Leuten, ’ne neue Band, die heißt VERDAMMTER DRUCK. Das ist so mit Orgel. Kennst du 18TH DYE? Das war eine dänische Band mit einer Gitarristin – und die macht auch mit. Und ein veganer Schlagzeuger.

Was zeichnet einen veganen Schlagzeuger aus, das erwähnenswert wäre?

Dass er keinen Alkohol trinkt, hahaha. Er ist trotzdem sehr lustig, man merkt ihm das nicht an.

Das totale Gegenteil zu dir, so ein veganer Nicht-Trinker, oder?

Irgendwann merkt man schon, dass man mit dem Trinken aufpassen muss, das merkst du doch auch, oder?

Nun ja, der Jüngste bist du nicht mehr, macht man sich da mehr Gedanken um seinen Körper?

Ja klar, die Zeichen kommen ja automatisch. Du kannst nicht mehr alles tragen, überall quetscht und zappelt das, vom Schreiben und so weiter und so fort, und man muss sich überwinden, sich zu bewegen. Bewegen ist aber wichtig, das weißt du doch. Laufen, Fahrradfahren, irgend so ein Schwachsinn eben. Sport an sich mag ich – ich kuck gerne Fußball. Nein, also ich muss mich bewegen, ich fahr Fahrrad, war im Urlaub jeden Tag eine halbe Stunde Schwimmen, und ich versuche möglichst viel zu Fuß zu erledigen.

Gerade unter Punk-Musikern gibt es ja einige Gesichtsbaracken, die zehn Jahre älter aussehen, als sie sind. Der Lebensstil fordert bisweilen seinen Tribut ...

Aber das ist ja nicht nur beim Punk so, in der Schlagerszene ist das doch auch so. Oder allgemein bei Künstlern! Schau dir nur mal Howard Carpendale an, haha, das ist doch ’ne richtige Hackfresse. Der hat auch ein bisschen zu viel rumgesessen und irgendwas getrunken, was dick macht. Und dummes Zeug geredet.

Wie kommst du ausgerechnet auf Howard Carpendale?

Keine Ahnung. Ich hätte ja auch Mireille Mathieu sagen können, aber das wäre gelogen gewesen. Ich hätte auch Roy Black sagen können, oder wie hieß der, der aus dem Fenster gesprungen ist? Rex Gildo?

Ich glaube ja. Der war ja auch Schauspieler. Ich hab dich neulich im Fernsehen gesehen, in dieser ARD-Krimiserie „Mord mit Aussicht“, da hast du eine kleine Nebenrolle gespielt. Wie kam es dazu?

Ich kenne da so einen Typen, der heißt Lars Jessen.

Der hat doch „Dorfpunks“ gedreht, oder?

Ja, der ist Regisseur und macht auch mal ’nen Tatort, eben auch „Mord mit Aussicht“. Der fragte mich, ob ich nicht Bock hätte, mal ’nen Tag mitzuspielen, irgendwas schräges, und da hab ich gesagt: „Na logisch.“ Caroline Peters, die da die Hauptrolle spielt, ist total nett. Wir haben gemeinsame Bekannte, wir gingen den Text durch für die Szene, die kann das halt, das ist für die Pipifax – mit so ’nem halben Schrottvogel wie den, den ich da gespielt habe, Dialog machen, das ist für die nix.

Liegt dir die Schauspielerei?

Nö.

Nö?

Ich kann’s ja auch nicht. Ich schauspielere ja nicht, ich mache einfach das, was ich kann. Wenn man mir sagt „Geh da rüber zum Schreibtisch“, dann geh ich halt zum Schreibtisch.

Was reizt dich an der Schauspielerei?

Beim Fernsehen reizt mich das Geld, die zahlen ganz gut. Für einen Drehtag musst du erst mal eine Woche nichts mehr arbeiten. Bei „Der Tatortreiniger“ hab ich jetzt auch mitgespielt.

Eine grandiose Serie! Da spielt ja auch Bjarne Mädel aus „Mord mit Aussicht“ mit.

Ich hab das noch nie gesehen, ohne Scheiß! Ich schau kaum fern. Beide Drehs waren sehr angenehm, die ganzen Leute, die da mitgearbeitet haben, waren total nett. Auf so was steh ich. Wenn die Crew okay ist, alle gleich behandelt werden, alle Respekt voreinander haben und nicht rumbrüllen, dann ist das geil.

Und warum schaust du dir das Ergebnis nicht an?

Weil das noch nicht gesendet wurde. Die Serie als solche kenne ich auch nicht, wie gesagt, ich kuck so gut wie nie fern. Wenn abends überhaupt nichts mehr geht, mach ich mal an, aber dann auch gleich wieder aus.

Du hast gerade fast zeitgleich zwei neue Platten raus, zum einen mit KOMMANDO SONNE-NMILCH, zum anderen mit NUCLEAR RAPED FUCK BOMB.

Also mit KOMMANDO SONNE-NMILCH wollten wir zum Schluss noch mal ’ne reine Punkplatte machen, das war unser Wunsch. Unsere letzte richtige Punkplatte war „Jamaica“, das ist aber sechs Jahre her, und so war der Wunsch da, noch mal eine Platte ohne Elektronik und eine letzte Tour zu machen.

Elektronisches machst du jetzt eher mit NUCLEAR RAPED FUCK BOMB.

Ja, das sind andere Leute, das ist wieder was ganz anderes, das ist auch geil. Ich finde es super, wenn man so unterschiedliche Sachen machen kann.

In der Außenwahrnehmung sind das beides „die Bands von Rachut“.

Ich weiß auch nicht – wie willst du das vermeiden? Die meiste Musik machen da die anderen, da passiert ganz viel, es ist eben nur der der gleiche Sänger, der Jens Rachut heißt und am längsten von allen diesen ganzen Schwachsinn macht. Und Mense Reents macht mit Thomas Wenzel zusammen die ganze Musik. Ich sag nur „Mach mal hier die Orgel weg, mach da mehr Gitarre rein“ oder so.

Was reizt dich, zwei so unterschiedliche Bands zu machen – hier die klassische Punkband, da was Experimentelles, Elektronisches?

Ich genieße es, den Luxus zu haben, mich in zwei Musikrichtungen austoben zu können. Das ist doch geil! Morgen üben wir mit Sonne-nmilch, in zwei Wochen gehen wir mit Fuck Bomb auf Tour, das haben wir noch nie gemacht, da spielen wir die ersten beiden Platten runter.

Das Popkultur-Fachmagazin Intro hatte im Mai eine Titelstory zu „Deutschpunk“, mit einem Artikel, in dem festgestellt wurde, dass es ja total viele tolle deutschsprachige Punkbands gibt und das Genre total angesagt ist und total abgeht.

Hahahahahaha, ist das so?

Hm, ich weiß nicht. „Deutschpunk“ ist ja eher ein Schimpfwort für den ganzen deutschsprachigen Köterpunkscheiß. TURBOSTAAT aber ist für mich kein „Deutschpunk“.

Keine Ahnung, das ist ja alles eine Definitionsfrage. Was ist Deutschpunk? Da fragst du mich echt zuviel.

Dann etwas Bauchpinselei: ob nun TURBOSTAAT oder OIRO, all diese Bands, die Punkrock mit deutschen Texten machen, und die nicht total parolenhaft sind, die beziehen sich auf das, was du seit ANGESCHISSEN an Bands gemacht hast.

Was soll ich da antworten? Kann man das nicht als Feststellung so stehen lassen? Ich will das nicht werten. Ich finde, es geht da immer um die Leute in den Bands, so ganz allgemein gesprochen. Ich gebe mal ein Beispiel: Heute morgen haben wir uns in der neuen Band unterhalten, was wir so vorhaben mit VERDAMMTER DRUCK. Da haben wir darüber gesprochen, dass wir immer befreundete Bands auf Tour mitnehmen sollten. Ich sagte, dass wir nur Bands mitnehmen sollten, wo die Leute in Ordnung sind – die Musik ist da nicht so wichtig. So eine Tour ist anstrengend, das ist nicht mehr so geil, so „Ohhh, wir fahren auf Tour, Überraschung!“ – man kennt das ja alles schon irgendwie. Und wenn man irgendwelche Dröhnbüddel dabei hat, die jeden Tag voll sind, oder Typen, die nur Scheiße reden, oder noch viel schlimmer, die langweilig sind, dann bockt das halt nicht.

Wie sieht der optimale Tourbegleiter aus, welche Charaktereigenschaften sind dir wichtig?

Ich sag dir mal vier: auf jeden Fall muss er lustig sein, das ist fast das Wichtigste. Man muss auf Tour viel Zeit totschlagen, also muss man sich unterhalten. Er muss sich also auch gerne unterhalten, sich meinen Quatsch anhören, und das sogar gerne. Er darf auf keine Fall geizig sein, ganz allgemein. Und schnarchen soll er auch nicht, schnarchen ist ganz schlimm.

Schnarchst du?

Manchmal. Jeder schnarcht mal, oder?

Was „lustig“ ist, ist Ansichtssache. Der eine ist eher kalauernd unterwegs, den Hamburgern hingegen sagt man einen eher trockenen Humor nach.

Kennst du Plüschi aus Karlsruhe, von der „Alten Hackerei“? Der hat immer bei uns gemischt. Mit dem fahre ich gerne auf Tour, der hat einen ganz eigenen Humor. Aber ach man, du weißt doch, was lustig ist. Schön mal ’nen Gag, nicht immer in Allgemeinsprache reden, auch mal ein Wort weglassen, so was eben alles. Wortwitz, das ist es.

Um noch mal auf „Deutschpunk“ zurückzukommen: Du hast unzählige jüngere Bands beeinflusst mit deinen Bands, deiner Art zu singen und zu texten. Auf deine Bands wird in Reviews immer gerne vergleichend verwiesen, in kommerzieller Hinsicht erfolgreicher sind aber andere. Wurmt dich so was?

Das ist einfach so. Dafür habe ich alle Freiheiten, kann alles machen, was ich will. Und vielleicht ist man auch einfach nicht gut genug für den breiten Markt. Abgesehen davon verkaufen wir ja trotzdem noch vier-, fünftausend Platten. Wir müssen ja nicht leben von den Bands, wir haben alle Jobs, es ist ein Hobby.

Was machst du denn sonst?

Ich mache Hörspiele, zusammen mit Peta Devlin, die früher mal bei OMA HANS Bass gespielt hat. Die nimmt das auf und mischt das.

Deine Hörspiele, die bei den verschiedenen ARD-Kultur-Radiosendern laufen, nimmt man immer gar nicht so wahr, wenn man dich eher über deine musikalischen Aktivitäten kennt. Was genau machst du da?

Also einmal im Jahr darf ich Hörspiel für den WDR machen. Ich schicke denen eine selbst ausgedachte Geschichte und dann sagen die ja oder nein. Und dann reden wir über den Etat, nehmen das auf, mischen das, und dann wird das gesendet, so ein- oder zweimal. Und danach fragen wir bei den anderen Rundfunksendern an, und manchmal nehmen die das, und dann bekommen wir Geld dafür.

Wie bist du zu diesem Metier gekommen? Ich kenne ja ein paar dieser Hörspiele, und die sind schon sehr ... speziell und far out.

Man sitzt halt da, schreibt eine Geschichte auf und trifft nicht immer den roten Faden oder den Handlungsstrang oder so. Manchmal verstehe ich selbst nicht mehr, was ich da aufgeschrieben habe. Die tu ich dann meistens auch weg. Andererseits, wenn was gut klingt ... dann muss man das ja nicht unbedingt verstehen. Ich höre viel finnische Musik, verstehe aber kein Wort Finnisch. Ich komme trotzdem super damit zurecht, frage manchmal eine Freundin, die Finnisch versteht, was da jemand singt, damit ich mir nicht den letzten Scheiß anhöre. Früher konnten wir auch kein Englisch, haben trotzdem englische Musik gehört und fanden’s gut. Wenn im Hörspiel jemand sagt „Wir haben versucht, mit hartgekochten Eiern einen Kuchen zu backen“, dann schnallt man das, oder? Ich verwende da viel so komische Floskeln, so Zwei-Satz-Dinger, das ist einfach Quatsch.

Hat dich Sprache schon immer fasziniert, schon zu Schulzeiten, hast du schon immer gerne Spielchen damit getrieben?

Nee, das kam irgendwann. Ich hab früher in der Schule mal ’ne Lügengeschichte geschrieben, dafür hab ich ’ne glatte Eins gekriegt. Die bekomme ich nicht mehr zusammen, die war aber ziemlich banal, irgendwas mit ’nem U-Boot.

Also hat dich Sprache schon immer fasziniert?

Nö, ich war schlecht in Deutsch. Das ging erst in einer Band los, ich hab da einfach mal ’nen Text geschrieben, und dann noch einen, und noch einen, und dann die nächste Band, und dann noch einen. Man entwickelt sich eben ein bisschen, das Formulieren geht irgendwann besser, man achtet darauf, dass sich keine Worte wiederholen, so was halt. Mit dem Computer geht das ja ganz einfach, da gibt man zum Beispiel das Wort „Gott“ ein und geht auf „Suchen“, und wenn das Wort „Gott“ zweimal drin ist auf 60 Seiten, dann ist es okay, aber wenn es sechsmal vorkommt, dann muss man es irgendwie ersetzen oder rausmachen. So ein Text muss für mich einen Rhythmus haben, ich muss den ja singen oder sprechen. Ich sag dir mal ein Beispiel: mit der neuen Band waren wir jetzt zwei Tage auf ’nem Bauernhof und haben abends darüber diskutiert, wie wir diese neue Band nennen. Da stand der Name „Buttersäureklingelmann“ im Raum, da klingelt einer und spritzt Buttersäure oder so, man weiß gar nicht genau, was es heißt. Aber der Name hat eine gewisse Melodie, so einen gewissen Rhythmus. Dann war das aber irgendwie zu komisch, und dann hatten wir auch noch zwanzig andere beknackte Namen. Und heute morgen beim Einladen meinte ich: „Ey, wir nennen die Band DRUCK – VERDAMMTER DRUCK!“ Ein Stück heißt so.

Du scheinst zusammengesetzte Worte zu lieben. Wenn ich mir mal die Titel auf dem neuen KOMMANDO SONNE-NMILCH-Album anschaue, sind das gleiche mehrere. „Wohnrakete“, „Schicksalsbeule“, „Aschekuchen“, „Satellitenhirten“, „Liebesbombenkrater“, „Schwesternmilch“ – alles Worte, die auf den ersten Blick nicht zusammengehen.

Doch, „Schwesternmilch“ ist der Extrakt, den die Bienenarbeiterinnen in die Larven reintun. „Aschekuchen“ ist ein Kuchen aus Asche, und „Satellitenhirten“ ist ein Stück von der letzten Platte, das sind halt Typen, die Satelliten einsammeln im Weltall, und „Wohnrakete“ ist von Ronny.

Hast du ein Problem mit der Verwendung des Wortes Kunst zur Beschreibung von dem, was du machst?

Ja, also ich weiß nicht. Manchmal fragen mich ja Leute, was ich von Beruf sei, und dann sag ich immer das, was ich gerade mache: „Ich mach’ gerade eine Hörspiel“, „Ich nehm’ gerade ’ne Platte auf“, „Ich koche gerade“, „Ich steh im Schrebergarten“.

Manche Leute stellen sich ja hin und sagen „Ich bin Künstler“. Ich habe ein Problem damit zu sagen „Ich bin Journalist“ – ich sage lieber „Ich schreibe über Musik.“

So was finde ich wesentlich sympathischer, als wenn jemand sagt, er sei Künstler oder Journalist – selbst wenn er es ist. Das klingt doch beknackt.

Deine Texte sind nicht leicht zu entschlüsseln – gibt es denn welche, die explizit politischer Natur sind?

Ja, „Petze“ von DACKELBLUT. Das geht auf eine Geschichte zurück, die ich mitbekam, als wir mit BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE in der Roten Flora probten. Da gab es denn Fall, dass eine Frau, die dort am Plenum teilnahm, als Bullenspitzel entlarvt wurde. So was finde ich extrem widerlich. Die hatte sich mit den Leuten da richtig angefreundet, aber das alles nur gemacht, um die auszuspitzeln. Ich finde den Vertrauensbruch schlimm, das müssen doch echt total abgezockte Profis sein, um das zu bringen. Morgens schreiben sie ihren Bericht, abends ziehen sie dann wieder am Joint, gehen auf Konzerte, reden mit den Leuten.

Wie ging das bei dir eigentlich los mit Punk?

Am Anfang haben wir gar nicht geschnallt, worum es da eigentlich ging, da hieß es nur „Geil, Haare färben!“, „Geil, Sicherheitsnadeln rein!“, „Geil, das schockt alles!“ ... Man schnallt am Anfang ja nicht immer alles, dazu ist das Gehirn ja gar nicht in der Lage. Dass Punk eine total, bunte, offene Sache ist und man tausende Möglichkeiten hat, dass es ein riesiges Bandangebot gibt, das kam erst später. Aber wir haben damals, 1976/77, auch nicht gecheckt, dass die Bands alle bei der Industrie waren, also SEX PISTOLS, THE STRANGLERS, THE CLASH – die hatten alle eine große Plattenfirma im Nacken.

Indie-Labelstrukturen existierten damals kaum, das kam erst nach und nach.

Nö, Stiff Records gab es halt, der Rest kam dann erst durch Bands wie CRASS. Ehrlich gesagt hab ich mich damals auch gar nicht um so was gekümmert, es war einfach nur unglaublich, was damals für Platten veröffentlicht wurden: die erste CLASH-Platte, die erste von den STRANGLERS, die SEX PISTOLS – ich hab die neulich erst wieder gehört, was für eine Scheibe! Ich muss mir die jetzt noch mal als Platte kaufen.

Du kaufst also noch Vinyl?

Klar. Ich habe eine Weile nichts mehr gekauft, aber jetzt wieder Spaß daran gefunden. Das hängt mit meinem Schrebergarten zusammen, den ich jetzt neu habe – da habe ich voll analog nur Cassette und Platte.

Was baust du da so an – oder sitzt du nur rum und trinkst Bier?

Erstmal brauchte ich ein Klo. Man darf da ja keine festen Toiletten haben. Wir haben den gerade erst übernommen, und da stehen ein paar Tannen, hinter denen man verschwinden kann. Da hab ich ein Loch ausgegraben, Rindenmulch rein, und da können wir jetzt reinpinkeln. War ganz schön anstrengend, das Loch zu graben. Ein Hochbeet haben wir auch gebaut. Irgendwie schockt das alles echt geil. Der Schrebergarten ist an der Dove-Elbe, das ist so ein Nebenarm der Elbe, und wir kamen an den auch nur ran, weil der „Blockwart“ da immer wieder auf unseren Konzerten ist und außerdem ein Kumpel da auch einen Garten hat. Na ja, den Typen sprach ich darauf an, er meinte, wir sollten mal vorbeikommen, und jetzt haben meine Freundin und ich diesen Garten da. Da gibt’s sogar ein zweistöckiges Haus, man darf da sogar bis zu einem halben Jahr wohnen, und das ist echt cool – und billig: Wir haben einmalig 1.000 Euro gezahlt und jetzt 37 Euro im Monat.

Wer hat bei euch den „grünen Daumen“?

Ich nicht – meine Freundin. Ich bin für die groben Sachen zuständig, kann Gehwegplatten legen, Löcher graben und so ’nen Scheiß, weil ich früher auf dem Bau gearbeitet habe.

Ich weiß, wovon du redest ... Ich bin mittlerweile auch gut im Löcher graben, Wurzelstöcke entfernen und Zaunpfahllöcher betonieren.

Was machst du eigentlich gegen Schnecken?

Ganz ehrlich: Schneckenkorn, dieses blaue Zeug ...

Dieses giftige oder dieses eisenhaltige, das auch andere Tiere essen können und die davon dann nicht sterben? Es gibt da zwei verschiedene ... Also wir nehmen Ferromol von Neudorf, davon gehen nur die Schnecken kaputt, da ist Eisensulfat drin, das können die Biester nicht ab. Schnecken sind echt das Schlimmste, ich hab noch nie so einen Hass auf Tiere gehabt!

Bier gegen Schnecken funktioniert auch nicht, das ist eine große Lüge.

Nee, das lockt noch mehr Schnecken an. Auch ätzend sind übrigens diese Wollhandkrabben. Ich angle da an der Elbe auch, und da ist alles voller Wollhandkrabben, die wurden einst aus Asien eingeschleppt im Ballastwassertank von Schiffen. Die haben keine natürlichen Feinde, die fressen alles weg. Und wenn du da angeln willst – ich mache ja gerne nachts Wurmangeln nach Aal, ein leichtes Getränk dazu, warten –, dann fressen dir diese Krabben den Wurm vom Haken. Das ist echt eine Plage!

Tja, der Mensch macht alles kaputt ...

Nee, die Tiere machen alles kaputt! Seit ich den Schneckenhass habe, bin ich da anderer Meinung. So, und morgen geh ich los und hol mir neues Schneckenkorn!


Nachtrag in Sachen Schneckenbekämpfung: „Holzlatten mit Tapetenkleister einschmieren und Salz drauf und um die Beete legen und weg sind sie die Scheißviecher!“