Diese Band hat nicht einfach nur ein Album aufgenommen, sie hat eine Revolution in Gang gesetzt, die hoffentlich bald sehr viele Anhänger findet. AN EARLY CASCADE aus Stuttgart klingen überhaupt nicht deutsch und haben einen sehr großen Schritt gewagt: Weg vom Metalcore, der locker mit den amerikanischen Flaggschiffen mithalten konnte, hin zu, im wahrsten Sinne des Wortes, unkonventionellen und ausgeklügelten Songs à la CIRCA SURVIVE und FEAR BEFORE THE MARCH OF FLAMES. Schön daran ist unter anderem, dass hier nicht einem neuen Hype aus Übersee hinterhergehechelt wird, sondern ein Zeichen dafür, dass hier Künstler am Werk sind, die nicht nur extrem talentiert, sondern auch sehr leidenschaftlich bei der Sache sind.
Das dabei entstandene Album „Versus“ hat es wie kaum ein anderes verdient, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Wäre Stuttgart nicht Stuttgart, sondern New York oder London, so würden wir hier nicht über ein echtes Problem sprechen. Denn generell ist es doch so, dass es talentierte deutsche Bands trotz großer Ambitioniertheit viel schwerer haben als Amerikaner oder Britten, die oft wie Helden gefeiert werden.
Sänger Maik Czymara hat sicherlich bei AN EARLY CASCADE die größte Veränderung durchgemacht. Wo vorher alles in Grund und Boden geschrien wurde, und noch größtenteils auf cleanen Gesang verzichtet wurde, so hat sich alles um 180 Grad gedreht. „Man kann das so, schließlich ist nicht nur die Art, wie ich singe, sondern auch die Herangehensweise an unsere Musik gehörig durchgewirbelt worden,“ versucht der Stuttgarter die Antwort auf die Frage, wie es denn überhaupt zu den Veränderungen gekommen ist, einzuleiten. „Uns war immer klar, dass die Band immer so etwas wie ein Fulltime-Nebenjob bleiben würde. Zuletzt haben wir ja auch sehr lange nichts von uns hören lassen, nachdem wir sehr viele Konzerte gespielt haben. Wir haben uns wenig damit beschäftigt, was Neues zu machen. Das lag auch daran, dass wir mehrere Besetzungswechsel verkraften mussten. Anfang 2010 hat unser Gitarrist Daniel schon begonnen, Songs für sich aufzunehmen, die anders klangen als das, was wir vorher gemacht haben, ohne sie uns zu zeigen. Uns war nicht klar, ob wir noch weiter Musik zusammen machen wollten. Dann haben wir die Grundideen von Daniel zusammen bearbeitet. Das klang schon deutlich anders, war es aber wert, dass wir es versuchten. Ich selber hatte auch keine Lust mehr, nur zu Schreien und so haben wir uns dann nach ein paar Songs gesagt, dass wir ab sofort nur noch das machen, was wir auch wirklich wollen. Selbst wenn wir die Songs vielleicht in die Tonne kloppen müssen, so wollten wir dennoch sagen können, dass wir was ausprobiert haben.“
Wie der Titel des Albums schon sagt, geht es auf dem Album um Gegensätzlichkeit, die überwunden werden müssen oder manchmal auch einfach nur aufgezeigt werden sollen. „Ich möchte die Texte eigentlich nicht erklären, da ich finde, dass es auch zum Musikhören dazu gehört, sich Gedanken über die Texte zu machen. Inhaltlich habe ich aber, soviel kann ich sagen, auch die Entwicklung der Band verarbeitet. So kommen dann Songs mit Titeln wie ,Everything is wrong, everything is okay‘ zustande, die das Gefühl beschreiben, dass sich etwas verändert und etwas neues entsteht.“ Die Band hat einen stillen Imagewechsel vollzogen: Weg vom juvenilen Metalcore hin zu avantgardistischen Songs, die nicht so recht in eine Genreschublade passen wollen. Alternative ist es nicht, genauso wenig wie die angestaubte Rockschublade passen will. „Natürlich braucht man in der Musik andere Bands, um etwas zu beschreiben. Zur Not ist es dann THE MARS VOLTA, die ja dem Unbeschreiblichen einen Namen gegeben haben.“
Mit Anthony Green von CIRCA SURVIVE muss Maik sich auf jeden Fall vergleichen lassen, da sowohl die Art zu singen als auch der Bandsound den Vergleich provozieren. Jedoch ist auch klar, dass auf „Versus“ nichts auch nur ansatzweise kopiert wird und dadurch die Band als Abklatsch abgestempelt werden könnte. Vielmehr werden hier neue Ansätze gesucht, eine Band auf ein neues Level zu heben, von dem niemand gedacht hätte, dass man es erreichen würde. „Wir haben soviel Zeit und Arbeit in die Band gesteckt, es war eine regelrechte Bewährungsprobe für uns, dass wir uns jetzt natürlich erst mal darüber freuen, dass wir „Versus“, so wie es jetzt klingt, vollenden konnten, und dass es sich wirklich gut anfühlt, die Songs live zu spielen.“
Einen großen Anteil am Entstehungsprozess von „Versus“ hatte Jan Kerscher, der die Band in seinem Studio produziert hat. „Er ist dafür verantwortlich, dass das Album so klingt, wie es jetzt klingt. Wir haben ein sehr freundschaftliches Verhältnis und er war total überzeugt, dass wir zusammen etwas Außergewöhnliches schaffen können. Er hat uns auch immer ermutigt weiterzumachen.“ AN EARLY CASCADE, die mal für ihre brachialen Songs und irrwitzige Videos bekannt waren, sind mehr als erwachsen geworden. Sie haben sich als feste Szenegröße etabliert und sich gleichzeitig neu erfunden. Was jetzt noch fehlt, ist die verdiente Anerkennung.
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