„E.B.S.C“ steht für East Berlin StreetCore – ein Begriff, den die Berliner TOXPACK geprägt haben. Harte Gitarren, düsterer Sound und Texte von der Straße sind die kantigen Kennzeichen der Band. Dass die jungen Männer aber gar nicht so böse sind, sollte sich längst herumgesprochen haben. Treffender wäre es, von Zorn, Wut oder auch von Zuversicht zu sprechen, die sich in ihren Texten widerspiegeln. Mit „Bastarde von morgen“ stehen TOXPACK nicht nur mit einer neuen Platte in den Startlöchern, auch im Bezug auf ihr Label hat sich einiges getan. Gitarrist Tommi erzählte uns, was bei der Band in den letzten Monaten alles passiert ist.
Mit „Bastarde von morgen“ meldet ihr euch zurück. Was verbirgt sich hinter dem Plattentitel?
Vorab, der Name bezieht sich nicht auf die Band. Auch wenn es für einige pathetisch oder abgedroschen klingen mag, das gleichnamige Lied handelt von dem typischen Ablehnungsverhalten der Gesellschaft gegenüber Leuten, die nicht in ihr beschränktes Weltbild passen. Davon, dass man Leute aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes abstempelt und in eine bestimmte Ecke stellt, man sich im Gegenzug selbst jeglichen Normen anpasst und dabei das Wesentliche vergisst: frei zu sein. Es gibt in diesem Land genug Leute, die völlig verrückt aussehen, aber trotzdem mit beiden Beinen fest im Leben stehen und sich morgen um all den Schmutz kümmern werden, den andere hinterlassen. Das klingt komisch, ist aber so. Der Song soll nicht die Welt verändern, sondern lediglich kritisieren. Und wenn jemand das Thema als ausgelutscht empfindet, ist uns das egal, denn diese erzwungene Individualitätslosigkeit ist nach wie vor ein alltägliches Problem in unserer Klassengesellschaft und gehört auch weiterhin thematisiert.
„Den Dreck der anderen wegräumen“ ist ein gutes Stichwort. Der Song „Heute so, morgen so“, bei dem Roi Pearce von LAST RESORT als Gastsänger auftritt, beschäftigt sich wiederum mit den Leuten in der Subkultur, die nichts weiter sind als Mitläufer und genauso angepasst leben wie der gemeine Popper – nur eben mit Tattoos an Hals und Händen. Generell lasst ihr auf der Platte kein gutes Haar an Szene und Gesellschaft.
Da wir uns selbst schon ziemlich lange in der Subkultur bewegen, fallen uns halt immer wieder Gestalten auf, die kommen und gehen oder die sich regelrecht verkleiden, als wäre das alles ein Maskenball. Es gab beispielsweise eine Zeit, da habe ich in Berlin in Kneipen gesessen und mich regelmäßig gewundert, wie viele Skingirls da auf einmal herumgelaufen sind. Dieser plötzliche Aufschwung hat sich aber kurze Zeit später wieder gelegt, da die meisten Skingirls bald zu Rockabellas mutiert sind und jetzt wahrscheinlich in irgendeiner Technobude tanzen. Nicht anders sieht es da bei einigen Herren aus, die sich teilweise nicht entscheiden können, wohin die Reise nun überhaupt geht. Gestern Punk, heute Skinhead, morgen Hardcore, nächste Woche Rockabilly – einfach mal überall die Tür aufmachen, nach Belieben Kleidung und Frisur wechseln und allen nach dem Mund reden. Oder sich innerhalb kürzester Zeit vom Hals bis zur Sohle zutätowieren und den Harten raushängen lassen. Das sind die Besten von allen, haha. „Heute so, morgen so“ ist unsere Antwort darauf, und wir freuen uns besonders darüber, dass Roi die Nummer mit uns zusammen eingesungen hat. Er musste sich ja in der Vergangenheit auch schon die schärfsten Kritiken von Leuten anhören, die eigentlich von Tuten und Blasen keine Ahnung haben und inzwischen wahrscheinlich schon wieder im Nirgendwo verschwunden sind. Wie sagt Roi so schön am Ende des Songs: „So make your fuckin’ mind up!“
Ihr habt nicht nur eine neue Platte am Start, mit Sunny Bastards seid ihr auch bei einem anderen Label untergekommen. Euer letztes Album „Epidemie“ erschien noch bei People Like You Records. Da liest sich der neue Plattentitel fast wie ein Wortspiel. Wie kam es zum Wechsel?
Auch wenn es jetzt im Zusammenhang mit unserem neuen Label Sunny Bastards wie ein Wortspiel klingt, der Songtitel „Bastarde von morgen“ schwirrte mir schon Monate vorher im Kopf herum, bevor feststand, dass wir zu Sunny Bastards wechseln würden. Dass es dann letztendlich der Plattentitel wurde, war zwar eher Zufall, passt jetzt aber natürlich umso besser, haha. Was den Labelwechsel angeht: „Epidemie“ erschien damals schon zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Der PLY-Vertrieb SPV meldete Insolvenz an, kurz darauf gefolgt von People Like You, die wenig später von Century Media übernommen wurden. Es herrschte ziemliches Chaos zu der Zeit. Wir haben uns dann 2009 und 2010 auf zahllosen Konzerten den Arsch abgespielt und alles mögliche versucht, aber im Gesamttrubel ging die Veröffentlichung leider trotzdem etwas unter. Wir haben dann Ende Oktober 2010 People Like You beziehungsweise Century Media mitgeteilt, dass wir planen, im April zum Zehnjährigen für ein neues Album ins Studio zu gehen. Sie hielten es für verfrüht, wieder ein neues Album zu herauszubringen, und so einigten wir uns gemeinsam darauf, keine gemeinsame Veröffentlichung mehr zu planen. Wir haben uns dann entschieden, den weiteren Weg mit Christian und Carmen von Sunny Bastards zu gehen, und diese Entscheidung bereuen wir auf keinen Fall.
Ihr habt ja im Prinzip mit jeder Platte das Label gewechselt. Es ist nicht auszuschließen, dass ihr heute um einiges bekannter wäret, wenn es da konstanter gewesen wäre. Ärgert euch das manchmal?
Das ist halt alles so gelaufen über die Jahre, und man kann nur Mutmaßungen anstellen, ob wir woanders stehen würden, wären wir immer beim gleichen Label geblieben. Man weiß es nicht und deshalb ist es auch Quatsch, darüber zu reden. Für uns zählt der Augenblick, und vielleicht sind wir ja jetzt bei Sunny Bastards tatsächlich im Hafen angekommen.
Andererseits habt ihr echt viele Shows und Festivalauftritte gespielt und euch dadurch einen gewissen Bekanntheitsgrad erarbeitet. Dadurch, dass ihr keine Scheuklappen aufhabt, was Genregrenzen angeht, seid ihr auch schon das eine oder andere Mal ins Kreuzfeuer geraten. Beispielsweise, weil ihr bestimmte Festivals bespielt habt, auf denen auch schlechte Onkelz-Nachfolgebands auf der Tagesordnung standen, die neben dem Fabrizieren textlichen Schrotts auch musikalische Schmerzgrenzen weit überschreiten.
Wir spielen wie jede andere Band auch auf verschiedensten Festivals, um uns dort vor einem größerem Publikum präsentieren zu können, und weil es uns auch einfach Spaß macht. Wenn es uns gefällt, kommen wir wieder, wenn nicht, haken wir das Thema ab oder bestätigen den Auftritt im Vorhinein erst gar nicht Ich glaube, dass ihr Sammy von den BROILERS im letzten Ox eine ähnliche Frage gestellt habt und du uns jetzt auch darauf ansprichst, weil wir auf demselben Festival direkt vor den Düsseldorfern gespielt haben. Aber jetzt mal ehrlich, warum hätten wir mit TOXPACK das Feld räumen sollen? Hätten wir dann auch letztes Jahr den Auftritt beim With Full Force Festival absagen sollen, auf den wir neun Jahre lang gewartet haben, nur weil da ebenfalls eine Band gespielt hat, auf die du vermutlich durch die Blume hinauswillst? Habt ihr mal Roger Miret, die STREET DOGS, DIE KASSIERER oder irgendeine andere Band gefragt, die beim With Full Force oder in Wacken gespielt hat? Oder am besten direkt die Veranstalter? Was würde wohl beispielsweise Tom Araya dazu sagen? Wahrscheinlich nicht mehr als „Who the fuck is that?“ Wir können uns gerne weiter über TOXPACK unterhalten.
Zum Beispiel über das Songwriting und die Produktion, die sich über ein paar Monate hinzog, in denen ihr sehr intensiv an dem neuen Material gearbeitet habt. Wie sah dein Alltag zu der Zeit aus? Ich hatte den Eindruck, dass ihr 24 Stunden am Tag mit dem neuen Baby beschäftigt wart. Wie hat der Zögling sich entwickelt?
Ja, das ist letztendlich ganz schön in Arbeit ausgeartet. Im Oktober 2010 haben wir bereits mit den ersten Songfragmenten angefangen, aber haben uns dann in bekannter TOXPACK-Manier wieder etwas Zeit gelassen, bevor es in die heiße Phase gegangen ist. Zudem wir ja da auch gerade mit der Labelsuche beschäftigt waren. Eigentlich ging es erst im Januar richtig los mit dem Songwriting für „Bastarde von Morgen“, und das entpuppte sich dann doch als ziemlich zeitaufwendig. Wir hatten dieses Mal die Möglichkeit, eine Vorproduktion zu machen, und aus dem Grund bin ich ab Januar bis zum Studioantritt im April mehr oder weniger in den Proberaum eingezogen und habe an Ideen gearbeitet. Mich in dieser Zeit persönlich zu erreichen war eine Kunst, weil ich mich voll und ganz auf diese Aufgabe konzentriert und von der Außenwelt komplett abgeschottet habe. Meine Ideen wurden von den Kollegen als sehr gut befunden, und so konnten wir uns gemeinsam an den Feinschliff machen. Wir haben uns später sogar in Schichten abgewechselt, um einzeln an den jeweiligen Parts arbeiten zu können. Oder wir haben bis spät in die Nacht zusammengesessen und haben an unseren Ideen gebastelt, das war völlig verrückt. Aber man kann getrost sagen, dass wir im April dann vorbereitet wie noch nie die Reise ins Studio angetreten haben.
[b]Ihr steckt viel Energie und Herzblut in die Band, was ich für sehr wichtig halte. Bis zum Erscheinen der Platte vergehen noch ein paar Wochen, mit was für einer Erwartungshaltung blickt ihr der Veröffentlichung entgegen?
Natürlich sind wir gespannt auf die Reaktionen, klar. Wie du selbst sagst, haben wir noch nie so viel Energie, Zeitaufwand und Herzblut in eins unserer Alben gesteckt wie in „Bastarde von morgen“. Wir hoffen, dass die Leute da draußen das auch so wahrnehmen und uns und unser Label mit einem Kauf der CD oder LP unterstützen und sich nicht wieder auf einschlägigen Seiten illegal runterladen, wie das bei unseren vorherigen Alben sehr oft geschehen ist. Das macht alles kaputt. Wir freuen uns über jeden verkauften Tonträger und jede Unterstützung, die wir erhalten, und werden das auf unsere Art und Weise wiederum zurückgeben. In diesem Sinne, am 2. September 2011 ist „Bastarde von Morgen“-Day!
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