TRAILER PARK SEX

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Familienbande

Wer beim Lesen des Bandnamens an kopulierende Angehörige der US-amerikanischen Unterschicht denkt, liegt nur teilweise richtig. Zwar verspürt die fünfköpfige Truppe aus Hamburg eine gewisse Solidarität mit dem so genannten White Trash, doch spielen die drei Wörtchen in erster Linie auf den düster-melancholischen Song „Trailer park Jesus“ von GLASSJAW an. Auch der Musik von TRAILER PARK SEX lässt sich ein Fünkchen Melancholie nicht absprechen. Dieser allerdings ist nur Teil eines Flächenbrandes aus rasenden Riffs und frenetischem Geschrei, wie man ihn auf dem Debüt mit dem programmatischen Titel „Now Or Fucking Never“ zu hören bekommt. Mit den Gründungsmitgliedern Juan und Lea sprach ich über Eigeninitiative, Heimweh und Béla Bartók.

Selten kommt man in den Genuss einer Newcomer-Band, die so professionell klingt und deren Songs auf Anhieb so zünden. Was ist euer musikalischer Background?

Juan: Ich komme aus einer Musikerfamilie und habe mich im Prinzip nie für etwas anderes als Musik interessiert. Auf diesem Gebiet konnte ich mich jedoch für alles Mögliche begeistern: Reggae, Ska, Swing, Weltmusik, Punkrock, Prog, Grunge – und ich durfte mich entsprechend in einigen Bands austoben. Daneben habe ich verschiedene Musikschulen und Unis besucht, bis ich zuletzt in Hamburg ein Jazzgesangsstudium absolvierte.

Lea: Auch ich bin dank meiner Eltern mit viel guter Musik aufgewachsen. Mit 16 hatte ich die obligatorische KORN/SLIPKNOT-Phase, bis im Laufe der Jahre einige ruhigere Sachen hinzukamen. Besonders inspiriert haben mich TOOL. Danny Carey ist der Hammer! Der trommelt irre komplexe Zählzeiten. So etwas wollte ich ebenfalls machen, nicht nur dieses straighte Zeug.

Wie habt ihr zueinander gefunden?

Juan: Als ich Anfang 2009 einen Drummer für mein Bandprojekt suchte, waren Lea und ich Arbeitskollegen in einem Musikladen. Jemand hatte mir gesteckt, dass sie krumme Takte und Doublebass-Figuren aus dem Ärmel schütteln würde. Ein willkommener Vorwand also, um sie anzuquatschen. Lea reagierte freundlich, nahm das Angebot aber vorerst wohl nicht sehr ernst. Erst Monate später, bei einer Betriebsfeier mit viel Alkohol, konnte ich sie restlos überzeugen. Schon nach der ersten Probe war mir klar: hier habe ich meine neue Band! Innerhalb kürzester Zeit entstand der Song „Schizophrenia“, was für uns beide eine Art Offenbarung war.

Ihr habt eine Weile als Mann-Frau-Duo agiert, und zwar mit einer Aufgabenteilung, die den Vergleich mit THE WHITE STRIPES geradezu provoziert.

Lea: WHITE STRIPES from hell, haha!

Juan: Die wenigen Songs der Stripes, die ich kenne, finde ich ätzend langweilig. Außerdem ist mir Mr White zu selbstverliebt, dazu der ganze Medienrummel – das macht den perfekten Kotz-Cocktail. Obwohl: wir könnten tolle Sachen zusammen machen. TPS liefern die Ideen, die Stripes beschaffen die Kohle. Nein, im Ernst. Die Duo-Situation war eine Übergangslösung, da es unseren ganz frühen Mitstreitern an Leidenschaft für die Sache mangelte.

Lea: Viele Musiker geben auf, wenn Warner und Co. nicht unmittelbar vor der Tür stehen. Wir wollten dennoch vorankommen, weshalb „Now or fucking never“ gewissermaßen zu unserem Motto wurde. Gründe, etwas nicht zu tun, gibt es nämlich immer: Wir haben keine komplette Band, kein Geld, meine Katze ist krank und so weiter.

Juan: Die Produktion unserer EP war vor diesem Hintergrund Schwerstarbeit. Es hat mich tierisch unter Stress gesetzt, für die Saiteninstrumente allein verantwortlich zu sein. Zu allem Überfluss bin ich krank geworden, bevor meine Vocals im Kasten waren. Inzwischen sieht die Sache anders aus. Wir haben Bruce und Javi an den Gitarren und Roman am Bass. Alle drei beteiligen sich am Songwriting, wobei Javi, der in Spanien zwölf Jahre lang als Profimusiker bei SOZIEDAD ALKOHOLIKA spielte, ziemlich viel Erfahrung mitbringt. Die haben sich die Bühne mit unter anderem METALLICA geteilt und vor 60.000 Leuten gespielt. Roman hingegen kommt vom Flamenco.

Von der Musikproduktion über das Artwork bis hin zum Booking liegt alles in eurer Hand. Ist das bewusster Ausdruck eines D.I.Y.-Ethos, oder spiegelt es – ganz unromantisch – die typische Situation einer jungen Band wider?

Lea: Letzteres spielt da sicherlich mit rein. Die Eigeninitiative birgt Vor- wie Nachteile. In jeder freien Minute widmet man sich der Band, was viel Kraft kostet, ganz abgesehen davon, dass das Drumherum einen ständig vom Songschreiben ablenkt. Ich habe befreundete Bands, die unter Vertrag sind und trotzdem in der Luft hängen, weil das Label nicht aktiv wird. Manchmal schafft man auf eigene Faust halt mehr. Ein weiterer Faktor ist das Geld, zumal man sich fast überall einkaufen kann. Einige Touren, die wir als Support bekannterer Bands hätten machen können, scheiterten allein an den exorbitanten Kosten. Zahlt dir das jemand, wunderbar – wo geht’s zur Bühne?

Juan: Lea hat sich ganz eigenständig Bildbearbeitung und Webdesign beigebracht. Wir sagen uns immer, dass es nichts gibt, was wir nicht bewältigen können. Mit dieser Einstellung gehen wir durchs Leben, weil wir nicht bereit sind, auf irgendetwas oder irgendjemanden zu warten. Nebenbei, darum geht es in unserem Song „You wait for Godot“. Für mich ist das Ganze ohnehin ein Kampf. Ich musste meiner Heimat Buenos Aires den Rücken kehren, um mein Leben der Musik widmen zu können. Es fällt mir schwer, meine kleinen Geschwister ohne ihren großen Bruder aufwachsen zu lassen, meine Mutter, die immer das Beste für mich wollte, durch meine Abwesenheit zu quälen, und meinem Großvater in seinen letzten Jahren nicht zur Seite stehen zu können, so wie er in meiner Jugend zu mir stand. Ich fühle mich in Hamburg keineswegs unwohl, jedoch bin ich kein Deutscher, und manche Sachen sind anders als gewohnt. Meine ersten drei Jahre in Leipzig glichen dem Kampf mit dem Endgegner in einem Videospiel.

Eure EP enthält eine Widmung für Béla Bartók. Woher rührt die Bewunderung für diesen ungarischen Komponisten?

Juan: Meine Mutter erzählte mir früher von ihm: er hätte kompositorisch einiges bewegt und gelte als Wegbereiter der Avantgarde-Musik. Etliche Jahre später, als ich mit Lea in Budapest war, haben wir oft eine Straße passiert, die Bartóks Namen trug. Das hat mein Interesse geweckt, und ich habe herausgefunden, dass er öffentlich gegen den Nationalsozialismus und die Kollaboration Ungarns mit Deutschland aufbegehrte. Sein Widerstand zwang ihn schließlich ins Exil. Wenige Leute machen sich ein Bild davon, wie die Situation damals wirklich war. So etwas zu machen, erfordert richtig große „Cojones“.