Im Sommer 2010 erschien „A Wolf’s Age“ von 1476 aus New England, dem Nordosten der USA. Die 14 melodiösen Punksongs erinnerten mich sowohl an DEEP EYNDE wie die Goth-DAMNED von Mitte der Achtziger, aber auch an ALKALINE TRIO, und so fragte ich Robb Kavjian nach den musikalischen Wurzeln von 1476 – und der Bedeutung des Bandnamens.
Lag ich total falsch, als ich im Review zu eurem Album „A Wolf’s Age“ schrieb, dass Argyle Goolsby von BLITZKID ein Mitglied eurer Band ist?
Du hast Recht, er nahm Bass und Vocals für ein paar Tracks von „A Wolf’s Age“ auf. Er hat auch den letzten Song, „Closed casket heart“, geschrieben. Wir fragten ihn also, ob er ihn gerne auf dem Album haben würde und er sagte ja. Neil und ich hatten vor Goolsbys Einstieg schon die meisten anderen Songs geschrieben. Wir haben dann allerdings schnell bemerkt, dass wir unterschiedliche Vorstellungen, eine andere Arbeitsmoral und Motivation haben, was die Musik angeht. So haben wir entschieden, dass es besser sei, getrennte Wege zu gehen. Ich hoffe, dass es ihm gut geht. Heute besteht die Band aus Neil DeRosa und mir.
Der Wikipedia-Eintrag zu 1476 offenbart, dass in dem Jahr scheinbar nichts Spannendes passiert ist. Was hat es mit 1476 auf sich?
Das ist vollkommen richtig. Aus mehreren Gründen haben wir entschieden, unser Projekt 1476 zu nennen. Diese Zahl bekommt im Laufe der Zeit immer wieder eine neue Bedeutung. Uns ist es wichtig, dass es vage und doppeldeutig ist. Es ist nichts Endgültiges, und das erlaubt uns zu träumen und unsere Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Wir hoffen, dass das auch unseren Fans möglich ist. 1476 liegt in einer fernen Vergangenheit. Für mich hat es etwas Historisches und Europäisches. Es repräsentiert ein Ideal und eine Ästhetik, nach der wir streben, ohne sie je komplett fassen können. Es gibt noch einen ganz speziellen Grund, warum wir das Jahr ausgewählt haben, aber der ist mehr persönlicher Natur und würde niemandem etwas sagen, der nicht in der Band spielt. Ich kann nicht für Deutschland sprechen, aber in Amerika, wo wir leben, sind wir ständig mit Propaganda konfrontiert, die uns sagt, was wir essen und trinken, welche Musik wir uns kaufen und wen wir wählen sollen, wie wir zu leben und wen wir anzubeten haben. Und das bis zur Erschöpfung, manchmal ist es sogar beleidigend. In dieser Hinsicht ist 1476 für mich wie ein sicherer Hafen. Wir werden euch niemals vorschreiben, welcher Partei ihr angehören oder welchen Gott ihr anbeten sollt. Wir werden euch nicht verurteilen für eure Überzeugungen. Wir wollen, dass unsere Musik eine wohlverdiente Pause für alle Leute ist, die es ganz krank macht, gezwungen zu werden, auf eine bestimmte Art zu leben. Wir unterstützen in einer positiven Weise Individualität, Freiheit, Würde, Anstand, Selbstermächtigung und den Weg zu einem besseren Selbst.
Ich habe euch mit der Goth-Phase von DAMNED und den frühen ALKALINE TRIO verglichen.
Das ist ein schöner Vergleich, danke. Unsere Idee ist es, mit jedem Release etwas anderes zu machen, aber dennoch eine Art Identität zu bewahren, damit die Leute 1476 wieder erkennen. Ein gutes Beispiel wäre wohl eine Band wie JAWBREAKER. Sie hatten vier Alben, die alle unterschiedlich klangen. Und trotzdem konnte man bei jedem sofort erkennen, das sind JAWBREAKER. Auf unserer ersten CD „A Wolf’s Age“ geht es um Identität. Die Musik spiegelt wider, wer wir sind und was unsere Interessen und Erfahrungen waren, als wir das Album schrieben. Unsere neue EP, „Smoke In The Sky“ handelt eher von Metaphern. Die Musik ist experimentell. Wir haben mit Ausnahme eines analogen Synthesizers nur akustische Instrumente benutzt. Die Drums sind an einigen Stellen sehr orchestral, während die Musik mehr ursprünglich und folkig ist. Wir haben einen Standup-Bass benutzt, akustische und E-Gitarren, Piano, Djembe und andere Percussion-Instrumente. Den Synthesizer haben wir dann dazu benutzt, um ein Dröhnen im Hintergrund der Songs zu erzeugen. Die Vocals sind viel dynamischer, denke ich.
Wo kommt ihr musikalisch her und was sind eure Ziele?
Wir werden mehr von visuellen Dingen als von anderer Musik angeregt. Das frühe 20. Jahrhundert und die Ära des ersten Weltkrieges ist sehr inspirierend, die Musik war auch ganz schön, aber es geht mehr darum, wie die Menschen aussahen und lebten. Ein gutes Beispiel wäre Igor Stravinsky. Seine Musik ist toll, aber was uns begeistert, ist das Leben, das er in Paris führte. Das 19. Jahrhundert ist einfach eine große Inspiration. Baudelaire, Wilde, Lord Byron und so weiter, außerdem die römischen Außenseiter wie Julius Caesar und Sulla. Oder auch David Lynch. Es geht uns darum, unsere eigenen Grenzen ständig zu erweitern. Wir wollen ehrliche, leidenschaftliche und einzigartige Musik machen und sie erfolgreich auf unserem eigenen Label Seraphim veröffentlichen.
„1476 is a demon with many faces, a Dionysian hunger, and a hanging from the World Tree.“ Okay, das musst du mir erklären.
Das sind mythologische Bezüge, die wir als Metaphern benutzen für das, was wir erschaffen, was uns antreibt und was wir fühlen. Zum Beispiel „a hanging from the World Tree“ verweist auf die germanische beziehungsweise nordische Gottheit Odin, die sich selbst aufopferte, um die Weisheit der Runen zu erlangen. Da ist so ein Verlangen nach Wissen, nach Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung in diesem Mythos – damit können wir uns als Band und auch als Individuen klar identifizieren.
Bitte kommentiere zum Schluss ein paar der Begriffe, mit denen ihr euch in eurem Social Network-Profil beschreibt.
Ceremonial Magick.
Ceremonial Magick zu praktizieren, kann dir wirklich zeigen, wer du bist und wozu du als Mensch fähig bist.
Mystik.
Wir experimentieren, praktizieren und erforschen ausgesprochen gerne metaphysische Ideen und Techniken.
Natur.
Mit der Natur im Einklang zu sein, ist für uns und das, was wir machen, sehr wichtig.
Perfektionismus.
Ich glaube, dass ich nicht an absolute Perfektion glaube, aber wenn du nach Perfektion strebst, wirst du überrascht sein, was du alles erreichen kannst.
Luziferianismus, wie in der Literatur der Romantik dargestellt.
William Blake, Lord Byron, Mark Twain, John Milton und andere haben die Sicht auf Luzifer als den Unterdrücker verwandelt in Luzifer, den Befreier, das fand ich ziemlich anregend.
Zeichnen.
Zeichnen ist die einzige Form von Kunst, die mich nicht anstrengt.
Kreation.
Ich glaube, dass Menschen am glücklichsten sind, wenn sie etwas schaffen – egal, ob Kunst, Bauwerke, Sex ... Ich wünsche mir, für immer in einem Zustand der Kreation zu sein.
Drum Yoga.
Neils Experimente mit Drum Yoga und meine Experimente mit Ceremonial Magick führen uns zu Chaos-Magick-Experimenten, bei denen Musik als eine Form von Erkenntnis und projektiver Macht benutzt wird.
New England.
Es ist unser Zuhause und hat uns geformt, zum Besseren oder Schlechteren.
Übersetzung: Ines Sagurski
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