Am Sonntagabend auf ein Konzert gehen? Ungern. Zum einen ist man von den Strapazen der beiden Feier-Abende des Wochenendes erschöpft, zum anderen gilt es, das Ritual des allsonntagabendlichen „Tatort“- oder „Polizeiruf 110“-Schauens zu zelebrieren. Ein durch und durch bürgerlich-spießiges Verhalten, durchaus, aber eines, das entschuldbar ist, seit ich immer wieder feststellen muss, dass auch vielen anderen Menschen aus dem Freundeskreis das Krimiglotzen zum Wochenendausklang ein lustvoll zelebriertes Bedürfnis ist. Da trifft es sich gut, wenn man über zwei Ecken einen kennt, der als Produzent an der Entstehung von vielen Folgen des Ludwigshafen-„Tatorts“ mit Ulrike Folkerts sowie an einem München-„Polizeiruf 110“ beteiligt ist. Und so sprach ich mit André Zoch über das Berufsbild des Produzenten, den Kultcharakter der Sonntagabendkrimis und die Erwartungen des Publikums.
Du bist Produzent. Was macht so jemand, wie und warum wird man das – und wie bist du das geworden?
Letztlich wird man das, weil man Geschichten erzählen will. Egal, ob man nun Autor, Regisseur oder Produzent ist, man muss Lust haben, Geschichten zu erzählen, in verschiedenster Form. Mein Weg dahin führte mich von einem Studium der Kultur- und Kommunikationswissenschaft, über die Beschäftigung mit Büchern, der Schauspielerei und Theater, zu ganz klassischen Stationen wie Regieassistenz, Aufnahmeleitung und Produktionsleitung. Das machte ich sowohl für fiktionale wie non-fiktionale Produktionen, auch im Ausland, und irgendwann landete ich dann in Köln, arbeite für Friedrich Küppersbusch an dem TV-Magazin „Privatfernsehen“. Da gab es neben den politischen Beiträgen auch Einspielfilme, und damit fing das an. Über diese Arbeit lernte ich andere Leute kennen und bekam andere Angebote.
Das klingt so, als ob du viel ausprobiert und in viele Bereiche reingeschnuppert hättest – also keine lineare Karriere.
Ich war nicht an der Filmschule, was heutzutage schwierig ist, wenn man in dieser Branche arbeiten will. Der Markt ist kleiner geworden und die Ausbildung an den Schulen spezialisierter. Ich gebe zum Beispiel regelmäßig Seminare an der Hamburg Media School. Die Leute werden dort ganz konkret für die jeweiligen Jobs vorbereitet, sowohl inhaltlich wie in der Praxis, so dass die sich von Anfang an ein Netzwerk aufbauen können. Das ist das A und O. Eine Idee, irgendwas zu machen, die hat jeder mal, doch letztlich geht es darum, wie man so eine Idee realisiert bekommt, wie man einen Sender oder einen Filmverleiher findet, wie finde ich Autoren und Schauspieler, wie schaffe ich mir ein Umfeld, aus dem heraus man die Idee dann umsetzen kann. Je besser die Konstellation, um so größer die Chance, einen Film hinzukriegen, der ja meist eine Menge Geld kostet.
Tolle Ideen, die keiner umsetzt: Ich schätze mal, auch in deiner Branche gibt es eine Menge genialer Künstler, aber eher wenige Leute, die auch mal was realisiert bekommen.
Hahaha, das ist wahrscheinlich so. Böse Zungen sagen aber auch, wenn du einmal in der Branche drin bist, ist es eigentlich egal, welchen Mist du baust. Die Leute tauchen immer wieder irgendwo auf.
Es kommt also in deinem Job grundsätzlich darauf an zu wissen, wie man so eine Produktion handhabt.
Neben der Tatsache, dass man Geschichten auf den Weg bringen muss, ja. Man ist eben sehr spezialisiert, und sich mit einer solchen Erfahrung irgendwo in der Industrie zu bewerben, da würde sicher die Frage kommen: „Ja, was können sie denn jetzt?“ Ein Regisseur kann immer noch Werbefilme drehen, ein Autor für eine Zeitung schreiben oder einen Roman, doch ein Produzent ist ein Mensch, der viel können soll, aber letztlich viel von dem, was gefordert ist, doch nicht genau kann. Er lebt ganz stark davon, die richtigen Ideen und Leute zueinander zu bringen. Es werden heute viele Dinge angedacht und überlegt, von denen nur ein Bruchteil realisiert wird, und man braucht dafür große Geduld, aber auch Lust, etwas zu realisieren. Und manche Dinge dauern auch mal Jahre, und andere Sachen, an denen man wirklich hängt und an denen man viel gearbeitet hat, schnappt dir einer weg, der das Geld mitbringt.
Eine hohe Frustrationstoleranz kann also nicht schaden.
Schon. Mir ist bei dem „Polizeiruf“, der letzten Sonntag lief, noch mal ganz klar geworden, dass man für ein Massenmedium arbeitet – das ist beim Fernsehen manchmal noch krasser als beim Kino. Wir hatten jetzt über sieben Millionen Zuschauer, bei manchen meiner „Tatorte“ waren es auch über neun, und das ist wirklich eine Menge. Ein Kinofilm etwa, der in solche Zahlen vordringt, ist schon außergewöhnlich erfolgreich. Man bekommt aber auch, je nachdem, was man da für eine Geschichte erzählt, auch ganz unterschiedliche Reaktionen.
Weil in einen Kinofilm nur reingeht, wer den wirklich sehen will?
Ja, das sucht man sich aus, aber beim Fernsehen, speziell beim Öffentlich-Rechtlichen, haben die Zuschauer Gebühren bezahlt und schalten mit einer gewissen Erwartungshaltung den Fernseher an. Etwa weil sie am Sonntagabend Entspannung, Aufregung oder Leidenschaft suchen, weil sie mitraten wollen, warum auch immer. Das unterscheidet sich stark, je nach Alter, je nach Mediennutzung, und so wird man eigentlich nie jedem gerecht, und das macht die Arbeit so schwierig. Und man hat eine hohe Wiedererkennung der Formate, denn man braucht ja Leute, die zuschauen, darf die nicht ständig erschrecken, sonst schauen die am nächsten Sonntag was anderes. Das ist gerade in der heutigen Zeit wichtig, in der man so viele Medien zur Verfügung hat, in der man sich aussuchen kann, wann man was in welcher Form schaut. Das also macht die Arbeit schwierig und es ist schade, weil daraus eine gewisse Gleichförmigkeit des Programms resultiert, die nicht dem angemessen ist, was man vielleicht in der heutigen Zeit erzählen oder ausprobieren sollte.
Höre ich aus deinen Äußerungen heraus, dass man letztlich nie genau das machen kann, was man will, weil man immer irgendwie etwas zu viel Rücksicht auf irgendwas und irgendwen nehmen muss?
Ja, so ist das. Aber dafür hat man auch den Vorteil, bei den Formaten „Polizeiruf“ oder „Tatort“ Sachen machen zu können, die man anderswo gar nicht durchbekommt, dass man eine Menge Geld und Leute zur Verfügung gestellt bekommt. Wenn du diesen Kompromiss nicht eingehen willst, musst du halt versuchen, das Geld für einen kleinen, dreckigen Kinofilm zu bekommen, um dann so radikal zu erzählen, wie du Lust hast. Und die Leute an der Kinokasse entscheiden, ob sie Lust haben, das zu sehen oder nicht.
Nun ist „Die Lücke, die der Teufel lässt“ ein eher ungewöhnlicher „Polizeiruf“, weil erheblich „frecher“, aufgekratzter und frischer als andere aus der Reihe.
Das hat man auch gespürt, denn ich habe noch nie so leidenschaftliche und unterschiedliche Reaktionen auf einen Film bekommen, da war alles dabei. Erstmal wurde er von der Kritik im Vorfeld extrem gut besprochen, von SZ über Welt bis zur taz. Da hatte man als Produzent schon ein bisschen Schiss, denn das kann durchaus bedeuten, dass die Zuschauer so was nicht anschauen werden. In dem Fall war das nicht so, wir hatten eine gute Quote, doch die Reaktionen waren sehr polarisierend. Das reichte von hetzerischen Kommentaren nach dem Motto „Ihr verschwendet mein Geld für so einen Schwachsinn!“ und „Nie wieder ,Polizeiruf‘! Wer hat sich den Mist ausgedacht?“ bis zu ganz begeisterten Mails, etwa der Art „Endlich mal keine Langeweile am Sonntagabend“ oder „Danke fürs Aufrütteln“ oder des Inhalts, dass es gut sei, dass da mal nicht nur Unterschicht oder Oberschicht, sondern die Mittelschicht gezeigt wurde. Und es kamen auch Reaktionen von Familien, denen es ganz genauso ergangen war wie denen im Film.
Das Thema war der Weiterverkauf von Immobilienkrediten seitens der Hausbank an windige Finanzinvestoren, landläufig „Heuschrecken“ genannt, mit der Folge, dass die Betroffenen ihr Haus verloren und zudem noch finanziell ruiniert waren.
Ja, und die Betroffenen waren uns sehr dankbar, dass mal in der Öffentlichkeit dargestellt wird, wogegen sie seit Jahren ankämpfen. Es war uns auch wirklich wichtig, dieses für die Betroffenen wahnsinnig tragische Thema in der Fiktion so zu erklären, dass man es nachvollziehen kann. Und dabei ist das, was da in Realität abging, so unglaublich, dass wir Reaktionen bekamen, das sei doch Quatsch, so was könne doch gar nicht sein. So einen realen Aufhänger hat man im Krimiformat selten, aber Cornelia Ackers, die Redakteurin, ist eine, die versucht zu nutzen, dass wir in diesem Format so viele Zuschauer haben und Reaktionen auf spannende gesellschaftliche Themen bekommen. Die haben wir jetzt bekommen, und das ist ein gutes Zeichen. Der Regisseur Lars Montag und der Autor Dirk Kämper haben da ein gutes Gespür gehabt. Denn wo passiert es heute, da Menschen so viele verschiedene Medien nutzen können, dass ein Film am Sonntagabend so polarisiert?
Du erwähntest eben die Reaktion „Endlich mal ein Sonntagabendkrimi, bei dem wir uns nicht langweilen“. Das bringt mich zum Phänomen, dass „Tatort“ und „Polizeiruf“ sich seit einer Weile unter jüngeren Zuschauern eines gewissen Kultstatus erfreuen. Wird das eurerseits wahrgenommen?
Deine Beobachtung ist absolut richtig, und die hat was mit der Sozialisation zu tun. Was haben wir im deutschen Fernsehen denn an Formaten, an die wir gewisse Erinnerungen knüpfen? Die Anfangsmelodie der „Tagesschau“, „Das Aktuelle Sportstudio“ – und eben „Tatort“. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich als Kind gerade noch den Vorspann vom „Tatort“ anschauen durfte, und wenn es losging, musste ich ins Bett. Und so hatte ich mit zehn, elf das Gefühl, dass das, was da jetzt kommt, das Spannendste ist, was es überhaupt im Fernsehen gibt. Na ja, die Realität hat mich dann natürlich später bitter enttäuscht, aber aus dieser Sozialisation heraus ist dann wohl das entstanden, was du als Kult bezeichnet hast. In vielen Großstädten gibt es in Kneipen am Sonntagabend gemeinsames „Tatort“-Schauen auf Großbildleinwand, und wir haben für die Ludwigshafen-„Tatorte“ auch in Berlin in einem Kino Premierenvorführungen gemacht, und das war immer rappelvoll, da hatten alle riesigen Spaß.
Nun war „Die Lücke, die der Teufel lässt“ ein eher ungewöhnlicher Krimi – kann man angesichts des Erfolgs hoffen, dass das Format künftig insgesamt frischer und knackiger wird?
Ich bin froh, dass wir das machen konnten, und sehe die Chance, dass man angesichts der Vielzahl von Ermittler-Teams sowohl die „normalen“ Bedürfnisse bedienen kann wie auch die von jenen, die speziell diesen jetzt mochten. Das Format wollen die Leute ja sehen, und gleichzeitig kann man da auch die Tür aufmachen für spannende Themen statt einfach nur einen „Wer war’s?“-Krimi zu zeigen. Man darf aber nicht unterschätzen, dass das Durchschnittsalter der Zuschauer bei der ARD bei knapp über 60 liegt. Da wird klar, dass die unbedingt was dafür tun müssen, dass auch Jüngere wieder ARD schauen. Für die Werbekunden ist die Zielgruppe von 14 bis 49 relevant, da sind die Privatsender mehr in der Bringschuld, um sich zu finanzieren. Am Sonntagabend schneidet die ARD immer recht gut ab, und sogar unter jungen Menschen, die bei Umfragen sonst keine Sendung im Ersten nennen konnten, schneidet der „Tatort“ regelmäßig gut ab.
Nun reden wir immer nur von „Tatort“, doch es gibt ja im Wechsel auch den „Polizeiruf 110“. Wo ist denn da der Unterschied, wenn man mal davon absieht, dass Ersterer ein West-Format ist, während Letzterer das DDR-Gegenstück war?
In der Tat liegt der Hauptunterschied in diesen Ursprüngen. Nach der Wende sind die beiden Formate dann verschmolzen, es gab dann nicht mehr nur „Polizeirufe“ aus dem Osten, sondern zum Beispiel auch einen aus München. Ansonsten ist zu sagen, dass die „Tatorte“ als Marke, also von den Zuschauerzahlen her, erfolgreicher sind. Ich selbst finde auch den Vorspann vom „Tatort“ cooler, doch ansonsten habe ich das Gefühl, dass es beim „Tatort“ eher darauf ankommt, dass recht schnell eine Leiche da sein muss. Ich habe die letzten Jahre vor allem den Münchner „Polizeiruf“ verfolgt, und da war das oft innerhalb einer Krimigeschichte ein recht starkes Drama, wegen der Verbindung von Ermittlern und Verdächtigen. Demgegenüber dreht sich Geschichte beim „Tatort“ mehr um die Ermittler, gilt das das klassische „Whodunnit?“-Prinzip. Die einzelnen Ermittler stehen beim „Tatort“ mehr im Vordergrund, die Zuschauer freuen sich darauf, beim Kölner „Tatort“ Dietmar Bär zu sehen, oder den Liefers bei dem aus Münster. Da kann dann auch mal der Fall in den Hintergrund geraten. Und generell ist das Krimiformat ein Phänomen in Deutschland. Es ist das erfolgreichste Format überhaupt.
Welche Regeln gibt es, wenn man „Tatort“ oder „Polizeiruf“ macht?
Es gibt verschiedene Produktionsfirmen, die damit beauftragt werden, oft sind das Tochterfirmen der Sender, beispielsweise Bavaria, mit denen ich jetzt den „Polizeiruf“ als freier Produzent gemacht habe, oder Maran, für die ich früher gearbeitet habe und die eng mit dem SWR verbunden ist. Die sind beispielsweise gleich für mehrere „Tatorte“ zuständig, etwa Bodensee, Stuttgart und Ludwigshafen. Bei anderen Sendern ist es ähnlich, und von daher ist es gar nicht so leicht, als Produzent den Auftrag für so ein Format zu erhalten. Entsprechend begeistert war ich damals, als ich das Angebot bekam, für den SWR den Folkerts-„Tatort“ zu produzieren, denn ich mochte sie einfach als Ermittlerin. Und wenn du da hinkommst, dann lernst du in den Absprachen mit dem Sender und der Redaktion schnell, was geht und was nicht. So ein „Tatort“ wie der mit Ulrike Folkerts hat eine lange Tradition, da gilt es also zu berücksichtigen, was irgendwann schon mal erzählt wurde, welche Themen es schon gab, was passt in das jeweilige Bundesland und die jeweilige Stadt, und so weiter. Es ist eben die Aufgabe, zusammen mit der Redaktion die Kontinuität und Tradition einer solchen Serie zu wahren. So etwas muss man lernen, auch in der Zusammenarbeit mit den Schauspielern. Mit Ulrike Folkerts etwa habe ich viel darüber geredet, welche Themen gehen und welche nicht, was für Konstellationen spannend sind, wie man bestimmte Abläufe auch mal ändern kann. Muss etwa der Anruf, dass ein Mord passiert ist, immer übers Handy kommen? Was für private Verbindungen gibt es? Das Schwierige an einem Krimi ist: Man muss einerseits gut konstruieren können, damit die Geschichte gut aufgebaut und spannend ist und die Zuschauer mitraten können und bis Minute 60 nicht wissen, wer’s war. Andererseits darf die Geschichte aber auch nicht so konstruiert wirken, dass man nachher dasitzt und sich denkt „Das war jetzt aber blöd“ oder „Das hab ich mir schon gedacht“.
Apropos Handy: Wieso muss ein Kommissar im Auto immer ohne Freisprecheinrichtung telefonieren?
Das ist meist eine visuelle Entscheidung und letztlich eine Geschmackssache. Im Prinzip gebe ich dir Recht, das mag nicht besonders realistisch sein, doch in der Praxis ist es so, dass in einem Film jemand, der ohne sichtbares Telefon spricht, als einer wahrgenommen wird, der ein Selbstgespräch führt. Da das Medium Film aber nun einmal etwas sehr Faktisches an sich hat, ist ein Mensch, der ein Telefon am Ohr hat und da rein spricht, eben auch jemand, der mit jemand anderem spricht.
Und wieso fahren die Kommissare gefühlt so oft irgendwelche neuen Luxusautos aus Stuttgart oder München?
Das ist ein heikles Thema, denn das Product Placement in Filmen hat in den letzten Jahren zur Kündigung so einiger Leute geführt – und zur Diskussion darüber, was nun eigentlich statthaft ist und was nicht. Mittlerweile gibt es eine Entscheidung der EU zu dem Thema, aber Tatsache ist, dass man für so eine Produktion oft mit Firmen arbeitet, die einem die Fahrzeuge stellen, oder sie anmieten muss.
Und die haben ein Interesse daran, dass das neueste Modell zu sehen ist und nicht ein vier Jahre altes.
Genau. Von Format zu Format hat sich diese Arbeitsweise aber in letzter Zeit verändert. In unserem „Polizeiruf“ etwa fuhr die Ermittlerin neben einem normalen Polizeiwagen ihren alten Privatwagen. Aber du hast schon Recht, man muss es hinterfragen, wie das ankommt, wenn die „Tatort“-Ermittler immer in einem neuen BMW oder Mercedes herumfahren. Wenn das blöd ankommt beim Zuschauer, dann macht es vielleicht mehr Sinn, mal eine Ente von Citroën rauszuholen. So was haben wir ja beim Mario Kopper im Ludwigshafen-„Tatort“ gemacht, der früher einen alten Alfa Romeo fuhr und jetzt einen alten Fiat hat. Oder nimm den Freddy Schenk aus dem Köln-„Tatort“, der immer irgendwelche Autos aus der Asservatenkammer fährt. So was finde eich eigentlich spannender, als mit neuen Autos zu arbeiten.
Aber auch alte Autos haben ihre Tücken: Wenn die Industriellengattin einen alten Jaguar fährt und es auf eine kurvige Landstraße geht, muss man als Zuschauer nicht übermäßig scharf kombinieren, um zu wissen, dass sie gleich einen bösen Unfall haben wird.
Gut beobachtet, schlecht inszeniert. Denn alles, was zu vorhersehbar ist, ist nicht gut für den Film. Der Grund für so was ist schnell erklärt: Geld. Du kannst da natürlich gerne eine neuen Wagen hochgehen lassen, aber der Produktionsleiter wird dich bei so einer Idee schnell für verrückt erklären: „Das Ding ist ein paar Sekunden im Bild, und dafür soll ich ein neues Auto schrotten?“ Also holt man sich ein Auto vom Schrott, und natürlich muss die Szene am Berg spielen, denn das Auto hat ja keinen Motor mehr drin. Und dann rollt das da runter und gut is’. So was sind einfach Einschränkungen, bedingt durch das Budget. Nun fällt dir so was auf, und anderen sicher auch, also muss man sich schon überlegen, ob man so was dann überhaupt erzählt. Generell bewegt man sich immer auf einem schmalen Grat zwischen einer guten Geschichte und realistischer Darstellung der Polizeiarbeit. Und dazu kommt, dass es auch einen Unterschied gibt zwischen dem, was man sich im Vorfeld so ausdenkt, und dem, was man da nachher dreht und in Bilder packt. Ganz zu schweigen davon, wie schwer es ist, genau die zur Geschichte passenden Drehorte zu finden – wir sind eben nicht in Hollywood, wo Universal oder sonst wer sich die passende Kulisse einfach bauen lässt. Also ist man immer auf Kompromisse angewiesen.
Ist es auch ein Kompromiss bezüglich der Erwartungen der Zuschauer, dass kaum ein Krimi ohne eine Szene in der Gerichtsmedizin auskommt? Dabei ist der Gerichtsmediziner dann wahlweise ein Freak oder die Angehörigen reagieren total verstört.
Eine gute Frage. Eine Szene in der Gerichtsmedizin bietet immer die Möglichkeit, die Tragik in einer Geschichte zu verdeutlichen, die Begegnung mit dem Tod. Das kann im besten Fall etwas sehr Berührendes sein, und andererseits zeigt man so die Arbeit und den Alltag eines Gerichtsmediziners. Und ja, es stimmt, so eine Szene ist ein fester Bestandteil der meisten Formate, wobei der Münster-„Tatort“ sicher ein spezieller Fall ist. Und angesichts der erfolgreichen US-Formate zum Thema Gerichtsmedizin ist das sicher auch recht angesagt. Zudem gibt es dir die Möglichkeit, bestimmte technische Aspekte im Zusammenhang mit dem Fall zu erzählen, etwa Todeszeitpunkt und -ursache, Spuren wie Dreck oder Haut unter den Fingernägeln, und so weiter. Das sind aber natürlich auch alles Aspekte, die einen Krimi langweilig machen können, eben weil man das ja alles längst kennt. Und weil das auf Dauer langweilig wird, entscheidet man sich für einen Gerichtsmediziner, der einen dummen Spruch drauf hat oder gerade sein Pausenbrot isst. Man müsste da eigentlich mal eine Umfrage machen, ob die Zuschauer so was doof oder lustig finden. Davon ganz abgesehen: Wenn man für eine Produktion mal eine reale Gerichtsmedizin besucht, dann ist das nicht lustig. Da gibt es einen ganz bestimmten Geruch, die Räume strahlen Kälte aus, die haben was, womit man sich nicht jeden Tag beschäftigen möchte.
Wie geht es für dich weiter? Bedingt durch den Tod des Ermittler-Darstellers Jörg Hube endet die neue Münchner „Polizeiruf“-Staffel ja nach nur drei Folgen schon wieder.
Ich habe ein paar neue Ideen auf dem Tisch liegen, darunter ein Fernsehspiel für den WDR. Ich arbeite seit 2009 erstmals als freier Produzent, nachdem ich zuvor bei den Produktionsfirmen fest angestellt war. Also mal sehen, was sich ergibt – das ist alles kein leichtes Geschäft geworden, aber es gibt noch viel zu erzählen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #90 Juni/Juli 2010 und Joachim Hiller