Im Dezember 2008 spielte sie wieder Konzerte, jene Band, deren Alben „Schrei doch“ von 1984 und „Schön geseh’n“ aus dem Jahr 1985 als Klassiker des deutschsprachigen Punkrocks gelten und deren Auftritte immer hart und „gefährlich“ waren. Seinerzeit, Anfang der 80er, hatte ich mit meiner Band NEUROTIC ARSEHOLES ein paar Gigs zusammen mit BLUT & EISEN gespielt, in Minden, Döhren und Berlin. B&E sollten allen Menschen, die auf „guten und echten“ Deutschpunk stehen, auch heute noch ein Begriff sein. Immer mal wieder hatte ich während der letzten 20 Jahre Kontakt zu Thomas „Tier“ Wolff, dem Drummer der Band. Ich kenne viele, mich eingeschlossen, die meinen, es hätte niemals einen besseren deutschen Punk-Schlagzeuger gegeben, und sein Spiel als „legendär“ bezeichnen. Meist ging es bei diesen Begegnungen um Musik, manchmal waren es aber auch unspektakuläre Begegnungen auf irgendwelchen Lidl-Parkplätzen oder in Fußgängerzonen. Und da inzwischen wieder einige Jahre ins Land gezogen waren, schien mir die Gelegenheit günstig, ein Gespräch mit ihm über eben jene Auftritte, B&E allgemein und sein anderes, weitaus langlebigeres Projekt, CLOSEDUNRUH, zu führen. Wir trafen uns einen Tag vor Weihnachten im Jahr 2008 in seiner Wohnung.
Wie läuft es mit CLOSEDUNRUH? Ich habe gehört, dass Ox-Kollege Casi gerade eine Single von dir veröffentlicht hat.
Mit CU läuft es nach wie vor gut, ich mache das jetzt ja seit 1980, bringe immer wieder Sachen raus und habe wohl an die tausend Songs, Fragmente und Montagen gemacht. Die Single, die du angesprochen hast, ist eine gemeinsame Produktion von Tier Wolff und Carsten Vollmer und heißt „De-Montagen“ – sie hat nichts mit CLOSEDUNRUH zu tun. Zu dieser Single gibt es auch noch eine Bonus-CD mit 14 Tracks, die auch alle in der gleichen Phase entstanden sind. Casi und ich, wir sind uns nie zuvor begegnet und auch danach haben wir uns nie gesehen. Die ganze Sache lief über E-Mail- und Briefkontakt. Das Ergebnis war für uns eine völlig neue und intensive Erfahrung. Ich hatte bisher noch nicht das Glück, auf dieser Ebene so intensiv und angenehm entspannt mit jemanden zu arbeiten. Inzwischen haben Casi und ich auch schon mal telefoniert.
Wie würdest du die Musik, die ihr macht, bezeichnen? Gibt es eine „Szene“?
Wir machen Elektronik/Noise/Industrial und Experimentelle Musik. Bezogen auf Hannover gibt es bei „Silke Arp bricht“ eine Art „Szene“, dort kann man immer gut auftreten und es kommen eine Menge Leute, die diese Musik hören. Und Casi macht des Öfteren was im Zwischenfall in Bochum.
Trittst du alleine auf, wenn es zu einem Gig kommt?
Ich mache die Songs hier zu Hause alleine, schreibe die Texte und mache die Musik. Live suche ich mir dann immer wieder unterschiedliche Musiker, je nachdem, mit wem ich gerade zu tun habe oder wer mich als Musiker inspiriert. Die Besetzung bei CU für die Live-Auftritte wechselt ständig. Ich möchte die Songs mit verschiedenen Menschen ausprobieren und habe bei CU auch keine Lust auf dieses typische „Band-Ding“. Live sind wir meistens zu viert auf der Bühne. Wir arbeiten mit einem Rhythmus-, Geräusch- und Soundplayback, drei Leute spielen dazu verschiedene elektronische Instrumente und ich singe meine Texte. Außer der Tatsache, dass es keine feste Besetzung gibt, hat CU auch keinen festen Musikstil. Manchmal mache ich langsame, düstere Endzeitelektronik – „Tödliche Strahlen“, „40 Jahre“, „Der Ermordete“ –, dann wieder produziere ich völlig schräge und schnellere Songs – „Stein aus Strom“, „Preis und Leistung“, „Betäube deine Sinne“ – oder auch quälende Zeitlupennummern wie „Im Grausamen“, die sich über zehn Minuten hinziehen und auch als Klagelieder verstanden werden können. CLOSEDUNRUH ist eine Aufforderung; eine Folge von scheinbar unabänderlichen Übertragungen; ein seltsamer Wahn mit überreizten Fantasien und Ausdrucksformen in eigentümlicher Atmosphäre. Parallel zu CLOSEDUNRUH habe ich noch ein experimentelles, elektronisches Instrumentalprojekt OHRGINAL, welches sich aus der CU-Instrumentalphase 1999 entwickelt hat. Für das Jahr 2009 sind sowohl Auftritte als auch Tonträger von CLOSEDUNRUH geplant.
Wie vertreibst du deine Musik hauptsächlich?
Meine Tonträger werden hauptsächlich von E-Klageto produziert und vertrieben, dem Label meiner Frau Anke. Der Vertrieb funktioniert über das Internet und über befreundete Labels. Es werden nie mehr als ein paar hundert Tonträger hergestellt. Da bewegt sich auch nichts in dem Rahmen, dass du auf dein Konto guckst und sagst „Hallo, da sind ja wieder 1.000 Euro.“. Das ist wirklich absoluter Underground.
Stichwort BLUT + EISEN-Reunion. In der Originalbesetzung?
Originalbesetzung, ja. Am 18.12. haben wir im SO36 gespielt, da war leider nicht so viel los, ich vermute mal, das lag an unserem Auftritt am 28.12. beim „Punk im Pott“, welches zum ersten Mal in Berlin stattfand. Zehn Tage vorher BLUT + EISEN mit der Vorband D.I.S. für relativ hohen Eintritt, wenn es die Band kurz darauf im großen Package gibt, das war schon ein wenig unglücklich. Es waren so 50 bis 60 Leute da, die hatten allerdings eine Menge Spaß und wir auch.
Wie kam es zu der Reunion?
Es war ein Vorschlag von mir, auch aufgrund von regelmäßigen Nachfragen von interessierten Leuten. Und so haben wir uns im März 2008 getroffen, geprobt und gesagt, wir probieren das mal aus. Übrigens immer noch in dem Proberaum von „damals“.
Wann hattet ihr seinerzeit den letzten Gig mit B+E?
Das muss Anfang 1986 gewesen sein, ich weiß gar nicht mehr genau, wo der war. Ungefähr ein Jahr nach der „offiziellen“ Auflösung haben wir noch einmal zufällig in Berlin gespielt, das ist in meiner Chronologie auch der letzte Auftritt von B+E. Es sollten die KYBERNETIX aus Hannover in Berlin spielen. Deren Sänger Steiny hatte sich einen Straßenkreuzer gemietet und ist auf der damals noch vorhandenen Transitstrecke hängen geblieben. Der kam gar nicht in Berlin an. Aber es sollte eine Band spielen und wir vier waren alle vor Ort und haben dann unseren letzten B+E-Gig gegeben. Ohne Probe und alles, auch heute noch geht das mit den Songs bei uns sehr schnell. Okay, ich hatte zu Anfang ein paar Probleme mit dem Tempo, aber dann fährst du halt Fahrrad, machst ein bisschen Sport und dann geht das wieder. Es war erstaunlich, nach den Konzerten in Hamburg und Berlin kamen viele junge Leute zu uns und waren völlig wie vor den Kopf gehauen, nach dem Motto: „Ihr alten Herren kommt hier an und legt hier ein Programm auf den Tisch, also ...“ Die waren echt angenehm überrascht. Der Gig in HH fand im Hafenklang statt, 300 Leute und die Stimmung war unfassbar. Wie damals. Ich hätte nicht gedacht, dass die Leute so abgehen.
War das Publikum gemischt? Wie empfindest du die Szene heutzutage?
In Hamburg ja, auch überraschend viele junge Leute. In Berlin waren „ältere Menschen“ anwesend, auch ein Typ aus der Tschechoslowakei, der kam extra angereist, um B+E zu sehen, das war schon witzig. Bezogen auf die Szene, naja, wenn ich von dem Gig in HH ausgehe, hat sich für mich nichts verändert. Das sah für mich wirklich so aus, als wäre die ganze Geschichte von einer Generation in die nächste getragen worden.
Läuft es noch ab wie früher: Alkohol, Soundcheck, Gig, Alkohol, dann ab auf eine Matratze und weiter?
Nein. Für uns ist ganz klar: wenn wir Auftritte machen, nehmen wir dafür Geld, wollen ein gutes, konzentriertes Set abliefern und möchten auch eine vernünftige Unterkunft. Mich einfach in einen Keller legen, das habe ich nicht mehr drauf, haha! Wir haben das ja auch alles jahrelang mitgemacht. In Berlin waren wir in einer Art Jugendherberge. Es geht ja im Prinzip auch nur darum, dass es warm ist, dass es nicht von der Decke tropft – dann sind wir alle zufrieden. Stell dir vor, du bist auf einer Tour, fünf Gigs in Folge, dann holst du dir am zweiten Tag was weg und kommst am dritten Tag nicht mehr auf die Bühne.
Wie geht es weiter nach den Gigs im Dezember 2008?
Wie es 2009 weitergeht, wissen wir noch nicht. Es steht die Frage im Raum, „Was wollen wir eigentlich noch machen?“ Anfragen sind da, und aus meiner Sicht ist das Ganze auch kein Revival, sondern schon mit der Absicht, auch eine dritte Scheibe zu machen. Im Moment spielen wir allerdings nur die alten Sachen, wir haben zwar eine „neue Nummer“, „Jeder gegen jeden“, die haben wir seinerzeit nach „Schön geseh’n“ gemacht, die bringen wir ab und zu. Ansonsten spielen wir beide Alben komplett durch!
Hängt die neue Platte davon ab, ob ihr weiter und dann häufiger spielt?
Irgendwie schon, zumindest für mich. Für mich ist eine neue Platte verbunden mit einer anschließenden Tour. Ganz klar. Was soll sonst eine neue Platte? Die kann ich mir dann schön in den Schrank stellen. Außerdem bin ich eine „Bühnensau“, wie man so schön sagt. Ich will raus. Das ist viel wichtiger und viel interessanter, als im Studio zu sein und neue Songs aufzunehmen. Obwohl das heutzutage grundsätzlich ja schon ziemlich einfach ist. Jeder hat einen Computer, da kann man ja eigentlich schon fast alles machen. Bei uns kommt dann noch hinzu, dass wir mittlerweile die Möglichkeit haben, uns selbst in gewohnter Umgebung und ohne Zeitstress aufzunehmen.
Wie war das Gefühl untereinander? War das gleich wieder da? So wie „früher“?
Nein, absolut nicht. Es war erst einmal schwierig, weil jeder von uns mittlerweile etwas anderes macht beziehungsweise gemacht hat. Es liegen verschiedene und lange Wege hinter uns, und so oft haben wir uns in den letzten 20 Jahren ja auch nicht gesehen. Jeder ist geprägt von seinem Leben, das macht sich bemerkbar. Damals war es so „Hau rein is’ Tango, eins, zwei, drei, vier“, es war klar, was gemacht wurde. Heute ist das nicht mehr so klar. Die Ansprüche sind auch höher, Du kannst Schotte zum Beispiel auch nicht mehr jeden Text hinlegen und der nickt ihn dann ab.
Das heißt, die Ansprüche an euch selbst sind gewachsen?
Absolut. Saufen vor den Gigs fällt jetzt beispielsweise fast völlig flach. Früher gab es eigentlich kein Konzert, wo wir nicht unter Strom standen. Bei mir persönlich war es teilweise auch besonders heftig. Es gab Konzerte, die konnte ich nicht wirklich durchziehen, da bin ich vom Hocker gekippt. Heute hält sich das absolut im Rahmen, da werden vielleicht mal ein oder zwei Bier getrunken – ich trinke inzwischen allerdings gar nicht mehr. Ein Gig von uns läuft heutzutage sehr routiniert ab. Wir spielen auch anders. Wir sind alle besser geworden an den Instrumenten, das hörst du auch. Das ist alles viel straighter und intensiver. Man bleibt halt nicht stehen und ich fühle mich besser dabei. Auf dem Gig in Hamburg habe ich Karl Nagel – MILITANT MOTHERS, APPD – getroffen, der sagte, es wäre sehr überzeugend und sehr geradeaus gewesen, aber ihm fehlte dieses Unkontrollierbare, die Ausbrüche, die es früher bei uns gab. Ja gut, aber wir spielen den Kram heute so. Wenn es damals Ausbrüche gegeben hat, dann waren die nicht geplant, das waren totale Blackouts. Und ich weiß, was er meint. Aber du gehst weiter, ich verstehe und sehe die Dinge heute anders als früher. Ich spiele Parts anders und bewusster, weil ich viele Sachen jetzt, im Gegensatz zu früher, einfach spielen kann, technisch gesehen. Vom Musikalischen und auch vom Persönlichen her habe ich heute viel mehr das Bedürfnis, einen Gig gut über die Bühne zu bringen, den Leuten zu zeigen, was wir machen. Das war damals nicht so. Man war in einer Gruppe, hat die gleichen Drogen genommen, ist nach Berlin gefahren, hat sein Ding abgezogen, aber alles in so einem halb bewusstlosen Zustand. Heute ist das anders. Anfangs sind wir mit gemischten Gefühlen an die Sache rangegangen, aber nach dem Hamburg-Gig war uns sofort klar, dass es uns Spaß macht. Danach waren wir wie verändert. Das hat es gebracht. Wie es weitergeht, hängt davon ab, für was wir uns jetzt untereinander entscheiden können. Ich gehe mal davon aus, dass es in jedem Fall weitergehen wird, nur wie gesagt, ich hätte es gern ein bisschen strammer. Ich würde gerne das machen, was möglich ist. Es ist eine ganze Menge mehr möglich, wir müssen die Chancen nur wahrnehmen. Es gibt genügend Angebote.
Gab es einen besonders „durchgeknallten“ Gig, den ihr in den 80ern gespielt habt?
Ich kann mich erinnern, wir hatten damals einen Auftritt in München. Einen einzelnen Gig. Von Hannover da runter. Wir kamen da an, haben aufgebaut und so, sind dann noch was essen gegangen und waren dann im Backstageraum, inzwischen auch ziemlich voll. Und dann kam der Veranstalter rein und meinte: „Ihr könntet jetzt langsam mal auf die Bühne und spielen.“ Wir: „Ja, okay, alles klar!“ Wir auf die Bühne, hinter die Instrumente. Die Halle war ziemlich dunkel, du konntest nicht sehen, was da mit dem Publikum war, es war schon irgendwie komisch. Dann hatten die da auch noch eine Konfettikanone aufgestellt. Und jetzt kommt der Hammer: das Licht geht an, die Konfettikanone geht los – und es ist keiner da! Harharha! Im Ernst: keiner war da! Kein Schwein war da! Oben konnte man sich noch hinstellen, mit so einem Geländer, da standen drei Leute. Echt. Wir standen da wie die Deppen und, na gut, angezählt und los, haben da unser Programm gespielt. Haben auch unsere Gage gekriegt, alles. Auf dem Rückweg haben wir uns noch gefragt: „Was war mit dem Typen los? War das eine Privatveranstaltung für ihn oder was?“ Total abgefahren, das war auch keine kleine Halle, sondern so ein Teil, wo du mindestens 400 Leute reinkriegst. Leer. Das war total schräg. Das Härteste, was ich überhaupt jemals erlebt habe.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #82 Februar/März 2009 und Stephan Zahni Müller