Sven Kirsten ist der Indiana Jones des Tiki, ein autodidaktischer Popkulturforscher, der sich der Ergründung der westlichen Begeisterung für die Kultur Polynesiens verschrieben hat, der einerseits ganz reale Artefakte sammelt, andererseits versucht, die Reste des Tiki-Booms der Fünfziger und Sechziger in den Großstädten der USA und Europas ausfzuspüren. Dokumentiert ist das in den Büchern "Book Of Tiki" von 2000 und der 2007 bei Taschen erschienenen Tiki-Bibel "Tiki Modern".
Sven, please introduce yourself.
Sven Kirsten, geboren 1955 in der Hafenstadt Hamburg, Großvater war Reeder, Vater Mitbegründer des Europa-Plattenlabels. Mit 17 nach Berlin gezogen, Film studiert, mit 23 Kamera-Assi beim NDR, mit 25 nach Kalifornien emigriert. In Los Angeles ab Anfang der 80er Jahre erst als Beleuchter, dann als Kameramann an Musikvideos gearbeitet, dann Filme wie "Doppelgänger" mit Drew Barrymore und "Mistress" mit Robert De Niro gedreht. Ab Anfang der 90er parallel zur Filmarbeit als urbaner Archäologe die Tiki-Kultur wieder ausgegraben. Ab Mitte der 90er Mitherausgeber des Fanzines "Tiki News", Veranstalter von Tiki-Symposien, diverse Vorträge zur Tiki-Kultur bei Tiki-Events. Dann im Jahr 2000 Publikation des "Book Of Tiki". Weitere Vorträge und Beiträge zur Tiki-Kultur. 2003 Reise zu den Marquesas-Inseln als Lecturer auf dem Frachter Aranui. 2007 Publikation von "Tiki Modern". Dreht hauptberuflich TV-Movies fürs deutsche Kabelfernsehen, lebt am Silverlake, im Zentrum von Los Angeles.
Ich erinnere mich an Thor Heyerdahls Buch "Kon-Tiki" im vom Bertelsmann-Buchclub bestückten Bücherschrank meiner Eltern - ein erster Kontakt mit dem Wort Tiki. Wie und wo war dein erstes Mal?
Ja, das Buch hat auch damals in den Staaten das Wort "Tiki" mit populär gemacht. Es gab dann dort eine Kette, und mehrere individuelle "Kon-Tiki"-Restaurants und Bars. Ich bin nach L.A. gezogen, weil ich schon immer Fan der Popkultur war, das war irgendwie für mich das Zentrum der Welt-Popkultur des 20. Jahrhunderts. Als Hamburger habe ich natürlich die Londoner Beatkultur und dann zwischen 22 und 25 die Punk-Blüte mit der beginnenden Neuen Deutschen Welle, und auch die als die "neuen Deutschen Wilden" bezeichneten Maler voll mitbekommen, aber ich war immer stark amerikanophil, und habe mir mit 25 gesagt: "Jetzt oder nie!" In L.A. habe ich mich dann immer mehr für vergessene Architektur interessiert, für die Orte und Stile, die sich durch Filme und TV-Serien in mein europäisches Hirn eingebrannt hatten. Mein erstes eigenes Zimmer in L.A. - nachdem ich bei Mark Mothersbaugh von DEVO gewohnt hatte, aber das ist eine andere Geschichte ... - war direkt neben dem 30er-Jahre-Apartment-Tower, in dem Elliot Gould in Altman's "The Long Goodbye" gewohnt hatte - so was ist normal da. Doch vieles davon war versteckt unter Schichten von Renovierung oder Vernachlässigung. So wurde ich "urbaner Archäologe", ein Begriff, der sich mir aber erst anbot, als ich auf die ersten Überbleibsel der Tiki-Kultur stieß. Es passte so gut auf das Ausgraben einer vergessenen Lounge-Kultur, die auf einer anderen untergegangen, nämlich der polynesischen Kultur beruhte: Auf der anderen Seite der Hügel von Hollywood, im Valley, stieß ich Ende der 80er Jahre auf einen Laden, der hieß "Sea and Jungle" und der war voll mit nautischem und Tiki-Dekor, ich kaufte dort meinen ersten "Tiki-Mug", einen jener Tiki-Cocktailbecher. Nach ein paar Monaten leistete ich mir dann sogar ein geschnitztes Tiki-Totem. Dann verging einige Zeit, ich hatte nicht viel Geld, arbeitete als Beleuchter bei Low-Low-Budget-Filmen von Roger Corman und so, aber als ich mal wieder etwas dort erstehen wollte, hatte der Laden dicht gemacht und alles Inventar war verschwunden. Dieses Verlusterlebnis entfachte in mir eine Neugierde und ein Feuer herauszufinden zu wollen, wo das Zeug herkam und warum es so was überhaupt gab. Ein, zwei Jahre später entdeckte ich schließlich "Oceanic Arts", einen Film- und Restaurant-Ausstatter im Vorort Whittier, und es dauerte dann bis 1992, bis ich mich entschied, ein Buch über Tiki anzugehen, etwas, woran ich vorher noch nie gedacht hatte.
Und was hat dich an Tiki fasziniert?
Als Augen-Mensch, als Kameramann, brauche ich ständig "Eye Candy", und bin vor allem von visuellen Extremen fasziniert. Die ersten Fotos von spießigen 50er-Jahre-Amerikanern neben diesen primitiven Götzenbildnissen fand ich umwerfend, das war sehr Punk, sehr strange, auf eine DEVO-Art.
Woher kommt diese Verbindung zwischen Tiki und Rock'n'Roll? Ich denke, hierzulande hat ja einst Tim Warren von Crypt Anfang der 90er etwa mit den "Jungle Exotica"-Samplern viele Leute, die eigentlich Garage-/Punk hörten, darauf gebracht, dass da draußen noch ganz andere Musik ist, einhergehend mit einem ganz eigenen Style.
Wie oben schon erwähnt, die Tiki-Ästhetik wurde schon in den 80ern von Underground-Künstlern wie Boyd Rice als "strange" genug erkannt, um subversiv zu sein. Punkbands wie die CRAMPS gruben ihr Material ja auch aus den obskursten Kulturnischen der 50er Jahre aus. Sachen, die so skurril waren, dass sie nie populär geworden waren, und jetzt plötzlich zeitgemäß erschienen. Tim Warren hat da weiter gegraben, und so war es dann auch ganz natürlich, dass sich nach dem "Tod" des Punk einige Zeitgenossen der Tiki-Kultur zuwandten. Ich war übrigens ja auch 1977 Kameraassistent bei dem Dokufilm "Punk in London". Und was ist die absolute Revolte, nachdem das "Elternablehnen" zum Klischee wurde? Die Kultur der Eltern freudig zu umarmen und sie für cool zu erklären!
In den USA ist Tiki "Underground Mainstream", in Deutschland nur Eingeweihten vertraut. Hast du eine Erlärung?
Ganz klar, weil es in Europa nie so verbreitet war, wie in Amerika zu seiner Hoch-Zeit. Die geschichtlichen Zusammenhänge bestanden einfach nicht, wie zum Beispiel das "Pacific War Theater" - Theater im Sinne von Kriegsschauplatz -, und dass Hawaii 1959 ein amerikanischer Bundesstaat wurde. Diese Dinge führten mit zur Tiki-Welle in Amerika Ende der 50er/Anfang der 60er, die so in Europa einfach nicht stattfand. Generell auch weil eine so überdrehte Kitsch-Popkultur, nicht nur in Bezug auf Hawaii, im mehr politisch korrekten und "stilvollen" Europa nie so weit gegangen wäre. Das Einzige, was man in Europa vielleicht damit vergleichen kann, waren die italienischen Eisdielen der 50er Jahre, die vom Italienurlaub-Boom inspiriert wurden. Es gibt also in Europa niemanden, der damit persönliche Erinnerungen verbindet. Im Amerika der 90er war es zwar auch total vergessen, aber je mehr Leute ich im Laufe meiner Recherchen darauf ansprach, desto mehr Erinnerungen kamen hoch, für viele war es eine so dunkle Erinnerung, dass sie zuerst nicht sicher waren, ob es ein Traum war oder ein tatsächliches Geschehnis, dass sie mal in einem Tiki-Environment gewesen waren. Als das "Book Of Tiki" dann rauskam, klickte es, und den Amis ging ein Licht auf.
Du wirst immer wieder als "Urban Archeologist" bezeichnet - kannst du den Begriff, das Konzept mal erläutern?
Der "Urbane Archäologe" hat ein Auge für die vergessenen Stilformen des 20. Jahrhunderts, besonders der zweiten Hälfte, die oft genauso verschwunden und selten geworden sind wie Epochen, die Tausende von Jahren alt sind. Er weiß, dass man rare Schätze nicht in fernen exotischen Ländern suchen muss, sondern Zeichen und Überbleibsel in der eigenen Nachbarschaft versteckt sind, begraben unter Schichten von Fortschritt und Modernisierung.
Lurker erzählte mir, dass in Madrid jüngst ein altes Tiki-Restaurant geschlossen wurde, die Deko immerhin wurde gerettet. Ein typisches Schicksal für solche Etablissements im frühen 21. Jahrhundert? Kommt ein ein eventueller Retro-Trend also zu spät, um Bestehendes zu retten?
In Spanien, wo die Tiki-Kultur erst in den 70er Jahren ihre eigene Blühte erlebte, passiert jetzt das, was in den USA in den 80ern begann: die Bars werden wegmodernisiert. Retro-Trends retten leider wenige kommerzielle Geschäfte, das kann nur der Mann von der Straße.
Was ist heute in den USA von Tiki erhalten geblieben, an Bars, Restaurants, Wohnanlagen und so weiter? Besteht da ein allgemeines Verständnis dafür, dass diese Kultur erhaltenswert ist, oder steht an deren Stelle längst eine neue Shopping Mall?
In der heutigen zersplitterten Kultur gibt es manchmal Entwicklungen, die zwar zeitgleich, aber gegensätzlich laufen: Obwohl es jetzt in Amerika wie nie zuvor ein Bewusstsein für die Einzigartigkeit der Tiki-Popkultur gibt, schließen alte - und neue! - Tiki-Bars. Das Islands-Restaurant im Hanalei Hotel in San Diego ist ein Beispiel. Es war einer von ganz wenigen originalen Tiki-Läden, der noch Lavagesteinwasserfälle hatte, mit kleinen Bächen, die durchs Restaurant flossen und über Brücken überquert wurden, ein Juwel. Weil aber Hotels aus irgenwelchen Gründen alle paar Jahre zu anderen Ketten wechseln, wurde die Außenfassade Ende der 90er aufs Langweiligste modernisiert. Aber das Innere blieb relativ intakt, und alle Tiki-Freunde atmeten auf. Der neue Manager gab sich als Freund der Tiki-Gemeinde, und der jährliche "Tiki Oasis"-Event wurde dorthin verlegt. Vor zwei Jahren wurde das Hotel wieder verkauft, und die neue Besitzer-Corporation, die irgendwo im Mittleren Westen der USA sitzt und keine Ahnung von Tiki oder dem Tiki-Revival hat, riss alles raus und verwandelte es in ein ganz beliebiges, anonymes Hotelrestaurant. Es gibt immer weniger alte Beispiele der Tiki-Kultur, herausragend sind das Mai Kai in Fort Lauderdale, Florida, das Hala Kahiki in Chicago, und der Tonga Room in San Francisco. Und es gibt noch eine Menge Tiki-Apartmentgebäude in Los Angeles. In Europa wäre die von 1972 stammende Trader Vic's-Bar im Hotel Bayrischer Hof zu nennen. Aber ich bin heilfroh, dass ich Anfang der 90er Jahre angefangen habe, den Stil zu dokumentieren, denn vieles, was sich seitdem fotografiert habe, steht heute nicht mehr.
Ich denke, mit Tiki ist es wie mit allem, was sich einer - neuen - Beliebtheit erfreut: Je mehr Leute den Style entdecken, desto schwieriger wird es, die echten Schätze zu finden, von steigenden Preisen mal abgesehen. Wie kamst du an deine besten und wichtigsten Stücke, kannst du zwei, drei beschreiben?
Ich stamme ja noch aus der Prä-eBay-Zeit, wo Tiki einerseits viel schwieriger zu finden, aber auch noch nicht als "collectable" erkannt worden war. Heutzutage kann man sich via eBay schnell in Tiki einkaufen. Gab man 1996 "Tiki" als Suchwort im Internet ein, kamen ganze zwei Sachen: etwas über den Baseballspieler Tiki Barber, und eine Webseite, die eine Frau für ihren Hund Tiki gemacht hatte. Nicht nur das Artefakt, sogar das Wort "Tiki" war aus dem Alltag total verschwunden. Wie ich immer betone, gab es das Wort ja auch nicht als Bezeichnung für den Stil in den 50ern, das kam erst in den 90ern auf, und mein erstes Buch definierte es zum ersten Mal überhaupt als Stilrichtung. Meine Schätze? Mein zwei Meter langes Ostereinsel-Mosaik im modernen Stil. Meine "Tahiti"-Bar von Witco. Diverse Lampen von Kelbo's und mein Maori-Tiki aus dem "Tikis"-Amusement-Park. Es ist einfach zuviel, und es zu beschreiben, würde Seiten füllen.
Und was ist dein furchtbarstes Stück? Es muss doch in den 50ern und 60ern auch ein paar unglaubliche Entgleisungen bei der "Tikiisierung" irgendwelcher Gegenstände gegeben haben.
Man könnte viele meiner Witco-Stücke als "Entgleisungen" betrachten, aber aus den schon oben genannten Gründen sind sie nicht nur das, sondern auch genial, und darum musste ich in meinem neuen Buch dieses "Geniale" erklären, und für die Ewigkeit erhalten. Ich finde schlechten Geschmack viel spannender als den langweiligen, "guten" Konsensgeschmack.
Wie muss man sich deine Wohnsituation vorstellen? Eine Art Tiki-Museum?
Ja, aber ein Museum im alten Stil der Völkerkunde-Museen des 19. Jahrhunderts, wo die Objekte nicht didaktisch geordnet, sondern in einem wilden Durcheinander wie Beutestücke aufgehäuft waren, und so eine mysteriöse Atmosphäre schufen, die dann Künstler wie Picasso zu seinen ersten abstrakten Bildern inspirierten.
Stört es dich denn, dass Tiki von manchen der Camp-Kultur zugerechnet wird? Darin verbirgt sich ja auch eine gewisse Missbilligung des Phänomens, oder?
Nein, ich sehe es ja als meinen Auftrag, da Brücken zu bauen. In Amerika gibt es, abgeleitet von dem Begriff "High Brow", der snobistsch hochgezogenen Augenbraue des Kunstkenners, den Begriff "Low Brow Art". Ich sehe mich als einen "Middle Brow"-Autor, der zeigt, dass "Low Brow" das nächste "High Brow" sein kann. Dafür habe ich mit Taschen den perfekten Verleger gefunden. Während Taschen im elitären Deutschland manchmal immer noch als "Low Budget" eingestuft wird, hat der Verlag sich weltweit als "High Brow" etabliert, und etwas geschafft, was im engstirnigen deutschen Kulturbetrieb nie möglich gewesen wäre.
Wie "ausbeuterisch" war Tiki? Wie sehr war es Ausdruck einer westlichen Sichtweise auf eine fremde Kultur, wie viel Authentizität steckte noch darin?
50er/60er-Tiki war nicht "ausbeuterisch", weil es aus einer naiven Liebe für die echte polynesische Kultur geboren wurde. Die Leute wussten es einfach nicht besser zu rekreieren. Tiki ist natürlich nur und nichts anderes als "Ausdruck einer westlichen Sichtweise auf eine fremde Kultur", das ist ja gerade der Witz daran. Trotzdem ist es in seiner "Unauthenzität" in sich selbst authentisch, wie in meinen Büchern gezeigt wird. Heutzutage taucht immer mehr Tiki-Kunst auf, die sich nur auf die heutige Tiki-Revival-Kunst bezieht, und das wirkt flach und unwitzig ... ist unauthentisch.
Hatten damals, haben heute polynesische Künstler einen Anteil am Tiki-Markt?
Nein, nicht nennenswert. Es geht wirklich nicht um die authentische Volkskunst, sondern um die westlichen Fantasiewelten, die die Südsee erzeugt hat. Auch Touristenkunst ist da was anderes, da die sich ja oft bemüht, so authentisch wie möglich zu sein.
Und gibt es Berichte, wie Polynesier die westliche Interpretation ihrer Kunst aufnehmen? Das muss für die ja ähnlich befremdlich wirken wie für einen Bayern ein Oktoberfest in den USA, oder?
Ja und nein. Wenn man vielleicht Mitglied einer hawaiianischen "Back to the Roots"-Bewegung ist, wird es einem sicher schrecklich geschmacklos und politisch inkorrekt anmuten. Andererseits haben die Polynesier aber schon immer viel Humor gehabt, und die mythische Figur "Tiki" wurde auch schon in alten Überlieferungen in humoristischen Tönen gezeichnet, als geiler Schalk. Und in den 50er/60er Jahren frequentierten viele ausgewanderte Polynesier regelmäßig bestimmte Tiki-Lokale auf dem amerikanischen Festland, weil sie sie an die Heimat erinnerten - denen machte der Kitsch nichts aus!
Ist es sinnvoll, zwischen Tiki als eigenständiger Kunstrichtung einerseits und dem Massenmarkt-Kitschphänomen andererseits zu unterscheiden?
Glaube ich nicht, da kommt man dann ins Diskutieren: Ist Popkultur Kunst? Ich meine, ab einem gewissen Level ja. Und was ist Pop, wenn nicht ein Phänomen des Massenmarktes. Dieser erzeugt zwar jede Menge Trash, aber gebiert auch die Höhepunkte einer Stilrichtung, wie zum Beispiel Tikitempel wie das - inzwischen abgerissene - Kahiki in Columbus, Ohio, oder bestimmete Möbelstücke des Hauses Witco. Das sind dann Dinge, die es wert sind, in den Kunst-Olymp erhoben zu werden. Das bringt mich auch wieder auf die Frage "Mainstream versus Subkultur". Popkultur kommt von der Masse und sollte auch für sie sein.
Du hast "The Book Of Tiki" und "Tiki Modern" veröffentlicht - angesichts von Umfang und Ausstattung offensichtlich Mammutprojekte. Kannst du was zur Arbeit daran erzählen, was hat dich getrieben? Und wie waren und sind die Reaktionen darauf?
Ich habe acht Jahre auf den richtigen Verleger für das "Book Of Tiki" gewartet, weil ich wollte, dass Tiki wieder eine Pop- - wie populär! - Kultur wird. Ich hätte es vorher bei Verlagen wie RE-Search, Amok oder Feral House rausbringen können, ich hatte sogar mal ein Treffen mit Ed Hardy, der damals kleine Kunsteditionen herausgab, aber dann hätten es wieder nur meine Freunde und ich zu sehen bekommen und andere ähnliche Hipster-Gruppen in anderen Großstädten. Einige Leute hatten mir schon Mitte der 90er Jahre den Taschen Verlag empfohlen, aber der publizierte damals nur für den deutschen Markt, und ich wusste, das Buch musste erst in seinem Heimatland Amerika einschlagen, um dann nach Europa und Japan zu gelangen. Als ich dann Ende der 90er sah, dass Taschen anfing, auf den amerikanischen Markt zu gehen, wurden sie wieder interessant. Das Timing war gut: Bekannte von mir renovierten das von Benedikt Taschen gekaufte Chemosphere-Gebäude und arrangierten ein Meeting, und so wurde das "Book Of Tiki" eines der ersten amerikanischen Bücher des Verlags. Mein Plan ging in Erfüllung: dass Buch hat Tiki in Amerika in aller Munde gebracht. Tiki war ja nicht nur total verschwunden, sondern auch zu seiner Hoch-Zeit nie als Stilrichtung erkannt und benannt worden. Ich hatte das Glück, auf etwas Unentdecktes, wenn auch begrenzt Populäres gestoßen zu sein, etwas, das nie bewusst gemacht worden war. Heute denken viele, es sei immer schon in der Form dagewesen, das war es aber nicht.
Ich bin ja sehr visuell orientiert, und so sucht man dann immer Dinge, die man noch nie vorher gesehen hat. Und findet Freunde, die genau solche Jäger und Sammler sind, urbane Archäologen und eifrige Flohmarktbesucher. Die haben dann auch viel Material zum ersten Buch beigetragen. Als es dann ans nächste Buch ging, war ich natürlich unter dem Druck, etwas Adäquates auf dem Level der ersten "Bibel" zu bringen. Wunderbarerweise hatte aber mein erstes Buch eine ganz neue Generation von Tiki-Archäologen inspiriert, und durch das Internet, mit Websites wie tikicentral.com tat sich eine ganze Gemeinschaft von Sammlern auf, für die ich natürlich der "Big Kahuna" war und die mich gerne unterstützten. So konnte ich dann so einen Schinken wie "Tiki Modern" rausbringen, sogar mit noch etwa hundert Illustrationen mehr als das "Book Of Tiki".
Nach dem US-Tiki hast du auch die spanische Variante für dich entdeckt. Was macht diese so speziell?
Der Charme der spanischen Tiki-Kultur besteht darin, dass sie zwar, genauso wie die britischen Beachcomber-Bars, ursprünglich von der amerikanischen Tiki-Kultur inspiriert wurde, aber sich dann in einem kulturellen Vakuum selbst neu kreierte und ganz neue Blüten trieb. Man könnte es vergleichen mit dem Film "Die Götter müssen verrückt sein", wo ein Buschmänner-Stamm eine Colaflasche findet und daraus ein ganz eigener Kult geboren wird, so eine Art "John Frum"-Syndrom.
Heute gibt es Trader Vic's-Bars in deutschen Nobelhotels, aber ansonsten scheinen Tiki und Deutschland keine großen Freunde zu sein, oder? Woran liegt's?
Wie schon gesagt, der kulturell-historische Kontext fehlt. Obwohl die Deutschen tropischen Paradieswelten gegenüber ja sehr aufgeschlossen sind, siehe die Kuba-Welle. Ich glaube auch, dass das heutige Verständnis der Tiki-Kultur und die Ironie der ganzen Sache sich als zu komplex gestaltet, als dass es schnell und einfach vermarktet werden kann. So gesehen, trotz all meiner Massenkulturpromotion, trifft zu, was die Sufis über ihre Lehre sagen: "The secret protects itself." Tiki wird von vielen verschiedenen Menschen auf vielen verschiedenen Eben verstanden, und letztendlich nur von wenigen ganz.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #79 August/September 2008 und Joachim Hiller