FOOD SPECIAL: Lost in the supermarket

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foodwatch ist ein eine gemeinnützige, unabhängige Organisation, die sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert. Sie informiert Verbraucherinnen und Verbraucher zum Beispiel über Gift im Essen, über die Drahtzieher von Gammelfleischskandalen und darüber, ob Bio wirklich bio ist. Mit Recherchen, öffentlichen Kampagnen und vor Gericht kämpft foodwatch für die Gesundheit der Verbraucher. Aus diesem Grund haben wir Barbara Hohl, bei foodwatch verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, ein paar Fragen gestellt.



Was versteckt sich hinter foodwatch?


foodwatch ist, wenn ich das so sagen darf, die deutsche Start-up-NGO des neuen Jahrtausends fürs Essen. Der Name ist Programm: Wir schauen als "watch dog" genauer hin auf den Lebensmittelmarkt. Ob Zusatzstoffe, Fleischschiebereien oder Dioxine in Futtermitteln - die Themen sind vielfältig. Leider können wir uns aber nicht aller Missstände im Lebensmittelsektor annehmen. Wir versuchen, den Scheinwerfer auf konkrete Pfuschereien zu halten und anhand dessen grundsätzliche Probleme aufzuzeigen, die vielen vielleicht gar nicht bekannt sind oder die die Verantwortlichen versuchen, unter der Decke zu halten. "Essen ist Macht" und deswegen üben wir als Pressure Group Druck aus auf Industrie und Politik. Wir bündeln Stimmen und wollen die Verbraucher in Deutschland stärker machen.



Gibt es in Deutschland ein Grundrecht auf gesunde Lebensmittel?

Es gibt - theoretisch - ein Grundrecht auf Wahlfreiheit, deswegen fordert foodwatch "Demokratie auf den Teller!" Beispiel Gentechnik: 80 Prozent aller Gentech-Pflanzen werden in Futtermitteln verarbeitet. Die Milch von der Kuh, die ihr Leben lang Gen-Soja gefressen hat, muss aber nicht als "mit Hilfe von Gentechnik hergestellt" gekennzeichnet werden. Wer aus ethischen, gesundheitlichen oder anderen Gründen Gentechnologie ablehnt und nicht gleichzeitig Veganer sein will, unterstützt diese aber trotzdem und unwissentlich, weil tierische Produkte nicht gekennzeichnet sind. Die Verbraucher haben ein Recht darauf, beim Einkauf eine Wahl zu haben zwischen verschiedenen Qualitäten. Genau dieses Recht wird ihnen bei Lebensmitteln aber oft verwehrt.



Was verbinden Sie mit Essen?

Neben dem leiblichen Wohl, Kreativität und Gemütlichkeit: Politik. Eine große Aufgabe von foodwatch ist es, das Bewusstsein dafür zu wecken, dass wir es beim Essen mit politischen Problemen zu tun haben. Das ist vielleicht erst mit der BSE-Krise klar geworden, denn wer hat in dieser Zeit die Stimme der Verbraucher vertreten? Ein Anlass mehr für Thilo Bode, die Organisation foodwatch im Jahr 2002 zu gründen. Und für viele Menschen ein Anlass, die Agrarwirtschaft als mächtige Lobby wahrzunehmen, die zuständige Politiker für sich einnimmt, die eigentlich im Sinne der Bürger, die sie gewählt haben, handeln sollten. Das gesamte Ausmaß von BSE ist die Folge des Versagens der europäischen Politik auf mehreren Ebenen.



TV-Kochsendungen sind sehr beliebt - selber kochen jedoch weniger. Eine aktuellen Untersuchung des Wissenschaftlichen Beirats beim vormaligen Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hat dazu folgendes herausgefunden: "Ernährungskompetenzen scheinen im Alltag der Bundesbürger kein wichtiges Thema mehr zu sein, denn immer weniger Menschen können kochen oder haben Kenntnisse über frische Lebensmittel und deren Verarbeitung". Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären?

Die erste Tütenfertigsuppe stammt aus dem Jahre 1886 von Julius Maggi. Mit dieser Erfindung traf er vor allem den Bedarf der im Zuge der Industrialisierung in die Städte geströmten Massen. Binnen zweier Jahre soll damals das Angebot bereits auf 22 Sorten angewachsen sein. Fertig konfektionierte Lebensmittel machen inzwischen die eigenhändige Zubereitung selbst einfachster Gerichte überflüssig. Selbst Pfannkuchenteig gibt es längst als Brei-im-Beutel fertig zu kaufen. Zwischen dem weit verbreiteten Anspruch, sich gesund, leicht, bekömmlich und frisch zu ernähren und der heimischen Küchenrealität klafft eine Lücke. Das Supermarktparadies mit seiner Scheinvielfalt fordert offensichtlich seinen Tribut. Dass auch Bio-Käufer davon nicht verschont bleiben, lehrt ein Blick in moderne Ökoläden. Vorgefertigte "Convenience"-Produkte und Snacks haben längst die ehedem puristischen, Grundnahrungsmittel-geschwängerten Holzregale lebensmitteltechnologisch "instand besetzt". Je weiter ein Produkt verarbeitet ist, desto mehr Geld lässt sich damit verdienen und mehr als mit den reinen Rohstoffen. Das ist nicht nur im Lebensmittelbereich so.



Kochen Sie selber gerne?

Unbedingt. Sehr gerne "klassisch deutsch" mit Kartoffelgerichten und Wurzel- oder Kohlgemüse. Aber auch ich unterliege oft der Zeitknappheit, da sind zum Beispiel Nudelgerichte schon praktisch. Fleisch kaufe ich kaum, wenn dann nur in Bioqualität oder von Neuland.



Was nützen all die schöngeistigen Diskussionen um tolles, leckeres Essen, wenn es für viele Kinder noch nicht einmal Frühstück zu Hause gibt?

Zweieinhalb Milliarden Euro pumpt die Ernährungsindustrie jedes Jahr in die Werbung, rund ein Viertel davon für Süßwaren. Als "Kinderlebensmittel" beworben versprechen sie Extraprofite. Die angebliche "Extraportion Milch" in so genannten Kindermilchriegeln besteht aus Milchpulver, Butterreinfett und Zusatzstoffen wie Emulgatoren, Aromen, bedenklichen Farbstoffen und Konservierungsmitteln. Der Zuckergehalt wird geschickt hinter der Bezeichnung "Kohlehydrate" versteckt. Ein neunjähriges Kind müsste, um seinen Tagesbedarf an Kalzium zu decken, 17 Milchschnitten essen - und würde damit gleichzeitig 40 Stück Würfelzucker und ein halbes Paket Butter zu sich nehmen. Wen nimmt es Wunder, dass bereits die Bauchspeicheldrüsen fünfjähriger Kinder vor derartigen Kalorien-Exzessen kapituliert haben sollen. Dieses landläufig als Altersdiabetes bezeichnete Phänomen ereilte bislang Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Ratlos fragt man sich, was Eltern umtreibt, die ihren Kindern süße und noch dazu teure Snacks statt Apfel und Pausenbrot in die Schultaschen stecken. Und was machen die Politiker? Sie wollen übergewichtige Kinder zu Dünnsein und -bleiben erziehen, entfachen moralische Debatten und bitten dafür die Ernährungsbranche an Runde Tische in Gestalt einer Augenwischveranstaltung namens "Plattform für Ernährung und Bewegung". Statt zum Beispiel für eine klare und einfache Kennzeichnung von Zuckern und Fetten zu sorgen.



Was essen wir alles mit einem Fertiggericht?

Seit Jahrzehnten rührten und rühren Politik und Ernährungswirtschaft in trefflichem Einverständnis jenen sinnestäuschenden Brei an, den wir heute in nahezu beliebigen Variationen mampfen. Ein vorgeblicher "Erdbeerjoghurt" etwa, der in Wahrheit nur den Bruchteil einer tatsächlichen Erdbeere enthält, verdankt seinen Geschmack einem Abfallprodukt der Holz- oder Zellstoffindustrie, und seine Konsistenz nicht gemächlicher Reifung, sondern allerlei Zusatzstoffen. Zur Aufrecherhaltung der allgemeinen Illusionierung wurde bei der Neufassung der europäischen Aroma-Richtlinie die Unterscheidbarkeit zwischen "natürlichen", "naturidentischen" oder "künstlichen" Aromen nicht etwa verbessert - sondern gleich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner "Aroma" eingeebnet. Die "Billigheimer" unter den Fertiggerichte-Herstellern werden es der Politik schon danken. Die Verbraucher bekommen davon im Alltag nichts mit, das geschieht hinter den Kulissen. Deswegen ist Politik mit dem Einkaufskorb leider nur bedingt erfolgversprechend. THE CLASH würden sagen: "Lost in the supermarket"...



Wie können wir als VerbraucherInnen Einfluss nehmen? Haben wir mündige Bürgerinnen und Bürger?

In dieser Hinsicht ist Deutschland ein Entwicklungsland. Das haben wir dieses Jahr gut gesehen am Beispiel Verbraucherinformationsgesetz, das endlich die Rechte der Verbraucher stärken könnte. Hätte foodwatch nicht eine Kampagne dazu gemacht, wäre es klammheimlich im Frühjahr durchgewunken worden und das ganz im Sinne der Industrie, die kein Interesse an mehr Transparenz hat. Uns ist es wenigstens gelungen, eine öffentliche Diskussion dazu zu entfachen, die Mogelpackung ist aufgeflogen. Verbraucherrechte sind Bürgerrechte. Die Menschen müssen sich zusammenschließen und organisieren, am liebsten wäre mir bei foodwatch! Nur politisches Engagement und öffentlicher Druck wird etwas bewirken. foodwatch wird Schritt für Schritt mehr Einflussmöglichkeiten für die Verbraucher erstreiten. Umfassende Informationsrechte über das Essen sind Grundrechte, die den Wettbewerb um mehr Lebensmittelqualität beflügeln werden. Politiker und Ernährungswirtschaft werden dies früher oder später erkennen. Verbrauchertäuschung und Qualitätslügen beim Essen können sich unsere Gesellschaft und die Ernährungswirtschaft nicht mehr leisten.

 

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