Würde ich unter den Chefredakteuren und Herausgebern dieses Blattes eine Umfrage starten, wer der charismatischste deutsche Band-Frontmann ist, würden sicher alle Stimmen auf Lee Hollis entfallen. Mit den SPERMBIRDS, STEAKKNIFE und 2BAD (Letztere freilich längst aufgelöst) trägt der vor über 25 Jahren aus Texas nach Deutschland eingewanderte Hollis seit den frühen Achtzigern mit schöner Regelmäßigkeit zur Erbauung all jener Menschen bei, die zu ihrer Musik gerne auch smarte Texte serviert bekommen. Irgendwann in den Neunzigern begann Hollis als "Spoken Word"-Performer aktiv zu werden, seine Kurzgeschichten auf Englisch von kleinen Bühnen herab zu lesen und diese dann in Buchform zu veröffentlichen. Mit "Strategy For Victory" ist jüngst ein weiterer Band erschienen, und den nahm ich zum Anlass, mal zu ergründen, woraus Lee die Inspirationen für seine Geschichten zieht, und das in vielen Interviews zu kurz kommende Thema anzusprechen, wie es ihn eigentlich seinerzeit erst in die US Army und dann nach Germany verschlagen hat.
Lee, du bist Teilzeit-Barkeeper. Einer, der mit seinen Kunden mithält?
Ich fürchte ja.
Das soll einer der größten Fehler der Mitglieder jenes Berufsstandes sein.
Ich weiß, und ich mache ihn dennoch immer wieder.
Ebenso wird gesagt, dass das Aufstehen nach einer solchen Nacht mit 25 Jahren viel leichter fällt als mit 40.
Es ist noch viel schlimmer: es sind zwei verschiedene Welten. Aber ich will auch nicht wieder 25 sein, ich hätte nur gerne den Körper eines 25-Jährigen. Ich habe in den letzten Jahren aber auch durchaus dazugelernt, nicht weil ich es ruhiger angehen lassen will, sondern es muss. Ich gehe eben nicht mehr jeden Abend weg.
Aspekte dieses Lebens tauchen in deinem neuen Buch immer wieder auf. Also offensichtlich beschäftigt dich das Thema als Sänger zweier Bands, die ja etwas mit Jugendkultur zu tun haben.
Die Frage ist schwer zu beantworten, ohne wie ein alter Sack zu klingen. Ich weiß, dass mein Leben so nicht für immer weitergehen kann, aber ehrlich gesagt, fühle ich mich in meiner Situation derzeit recht wohl. Musik zu machen, auf einer Bühne herumzubrüllen ist immer noch mein liebstes Hobby. Allerdings hüpfe ich heute nicht mehr soviel auf der Bühne herum wie früher, das macht mir etwas Sorgen. Und wenn ich genauer drüber nachdenke, stelle ich fest, dass mein bisheriges Leben wesentlich schlechter hätte verlaufen können. Ich habe bislang so ziemlich genau das getan, was ich tun wollte. Ich war sogar mit meiner Band in Afrika, worüber sollte ich mich also beklagen?
Dein neues Buch ist, wie auch die davor, nicht besonders dick. Ich schätze also mal, dass du nicht jeden Tag von morgens bis abends schreibst.
Nein, und das Buch hat auch 15 Jahre gebraucht, haha. 2007 war ich mehr mit meinen beiden Bands on the road, im Studio oder sonstwie unterwegs - zu viel für meinen Geschmack, und so war die einzige Zeit, die ich zum Schreiben hatte, jene, die ich in der Bar hinter dem Tresen saß und auf Kundschaft wartete. Ich nehme so einen kleinen Notizblock,wie er in jeder Kneipe rumliegt, von Carlsberg, um genau zu sein, und schreibe da meine Gedanken nieder. Mindestens die Hälfte meines Buches entstand so. Später tippe ich das dann ab und versuche die Geschichten so schlüssig wie möglich zu machen, was nicht immer leicht ist. Und ich mache mir auch immer wieder Notizen, wenn ich eine gute Idee für eine Geschichte habe.
Hattest du denn schon immer einen Hang zum Schreiben, also etwa in der Schule?
Nein, auch das hat was mit Punkrock zu tun, wie fast alles bei mir. Ohne Punkrock, ohne das Trust-Fanzine und später das Zap wäre ich nicht zum Schreiben gekommen. Es war mir also nie ein Grundbedürfnis, das ich stillen musste, aber seit ich es entdeckt habe, finde ich es cool.
Du bist Anfang der Achtziger mit der US-Armee nach Deutschland gekommen. Was hat dich dazu bewogen, zur Armee zu gehen? In Deutschland war es damals erste Punker-Pflicht, dem Wehrdienst durch Flucht nach West-Berlin oder Zivildienst zu entgehen.
Das hatte persönliche Gründe, lag an dem Verhältnis zwischen mir und meiner Familie. Ich war viel jünger, war nicht besonders selbstbewusst, und meine Familie wollte, dass ich zur Armee gehe. Sie war der Meinung, ich sei "out of control", und ich war es wohl auch. Das waren meine Gründe, und die hatten nichts damit zu tun, dass ich dabei sein wollte, wenn es den nächsten Krieg zu kämpfen gilt. Ich wurde gedrängt und habe mich drängen lassen. Es ist keine schöne Geschichte, keine, die ich gerne erzähle.
Was war das für ein Gefühl, aus Texas nach Deutschland zu kommen, zu einer Zeit, als die Friedensbewegung aktiv war, es um die NATO-Nachrüstung mit den Pershing II-Raketen ging?
Deutschland war für mich ein Kulturschock. Seit damals weiß ich, dass dieses Phänomen kein Mythos ist, denn ich habe es selbst erlebt. Dieser Schock hielt ungefähr ein Jahr an, die Zeit, die ich auf dem Armeestützpunkt lebte. Ich teilte mir das Zimmer mit ein paar echten Hillbillies, also Hinterwäldlern, und es war schrecklich. Ich habe zwar mitbekommen, dass wir da waren, um den Kommunismus zu bekämpfen, und auch die Raketen habe ich registriert, aber ehrlich gesagt, habe ich damals nicht besonders klar gedacht. Und dann war da ja auch noch die Sprachbarriere.
Was war dein Job in der Armee?
Ich war Grafiker und Illustrator. Ich habe Poster und Pläne gemacht - Dienstpläne, Urlaubspläne, Organisationspläne, Poster in der Art wie "Bitte keine Panzer stehlen" oder "Bitte nicht besoffen fahren". Das war vier Jahre lang mein Job.
Bekamst du den Job, weil du Vorbildung hattest?
Ja. Ich war ein guter Kunststudent. Ich hatte eigentlich ein Stipendium für eine Kunsthochschule in Texas, ging dann aber stattdessen zur Armee. Und da habe ich mir dann die Arbeit als Grafiker ausgesucht.
Wie bist du in Deutschland mit den Punks in Kontakt gekommen?
Ich habe sie gesucht! Kaiserslautern ist nicht gerade groß, und so stieß ich früher oder später auf die Punks, fand heraus, dass sie sich in einer Kneipe namens Dschungel treffen. Also ging ich da rein, setzte mich an die Bar und schaute feindselig, bis mich jemand ansprach. Es war also ein aktiver Versuch der Kontaktaufnahme, ich wollte mit diesen Leuten was zu tun haben. Das muss Ende 1981 oder Anfang 1982 gewesen sein.
Wann kam dann die Idee auf, eine Band zu gründen?
Ich wollte schon immer eine Band. Anfangs dachte ich, ich würde Gitarre spielen, aber das kann ich einfach nicht. Nachdem ich es geschafft hatte, ein paar Leute in Kaiserslautern kennen zu lernen, war also der nächste Schritt die Gründung einer Punkrock-Band.
Waren dann die SPERMBIRDS deine erste Band oder gab es davor noch andere?
Es gab eine, haha. HOPP UND EX SUICIDE hieß die und wir spielten so weinerlichen JOY DIVISION-Sound. Immerhin habe ich da aber gelernt zu schreien. Und bald danach kamen die SPERMBIRDS.
Wer waren deine ersten deutschen Freunde?
Das waren Beppo und Markus und ihre Freundinnen. Und ganz offiziell ist Matthias "Beppo" Götte mein ältester Freund. Wie ich ihn getroffen habe? Wie gesagt, ich suchte nach ihnen, suchte nach Leuten, die sich komisch anziehen. Damals sahen Punks eben noch komisch aus, haha.
Bevor die SPERMBIRDS dann aber so richtig loslegen konnten, musstest du in die USA zurück - und kamst dann wieder als Zivilist nach Deutschland.
Damals gab es ein Programm der Armee, in dessen Rahmen man dir half, nach der Dienstzeit in Deutschland zu bleiben. Die halfen dir mit dem ganzen Papierkram und so. Leider war ich dafür zu spät dran und hatte die Wahl, ohne irgendwas in Deutschland zu bleiben oder in die USA zurück zu gehen und dann wieder zu kommen. Also ging ich für ein halbes Jahr in die USA zurück, sparte etwas Geld und kam wieder.
Aber was zog dich nach Deutschland? Viele Deutsche sind heiß darauf, in die USA zu gehen.
Ich hatte viele gute Freunde gefunden in Kaiserslautern. Ich kann ja kaum jemand leiden, aber diese SPERMBIRDS-Typen, das waren super Typen, die sogar mich tolerierten. Ich vermisste die einfach. Und dann war da die Band an sich: Ich war das halbe Jahr in Atlanta, versuchte da eine Band zu gründen, aber merkte, dass die Leute da zwar viel reden, aber nur wenig auf die Reihe kriegen. Die SPERMBIRDS waren mir also auch so wichtig, dass ich zurück nach Deutschland ging. Ich wohnte dann erst mal bei Markus, suchte mir einen Job.
Wie? Du hattest mal einen richtigen Job?
Ja, zwei Jahre lang arbeitete ich in einer Lautsprecherfabrik, habe Platinen gelötet. Ich wüsste nicht, dass ich jemals etwas Langweiligeres getan hätte. Und ich hab auch mal in einem Copyshop gearbeitet, aber nur kurz - die haben mich rausgeschmissen.
Und dann hast du dich entschieden, eine Rockmusikerkarriere zu starten.
Genau.
Und wurdest ein Mann des geschriebenen, gesprochenen und geschrieenen Wortes.
Besser hätte ich es nicht ausdrücken können, danke.
Und die Deutschen verstehen dich auch?
Meistens. In Ostdeutschland gab es schon mal Probleme, weil die früher in der Schule Russisch statt Englisch gelernt haben. Vor vielen Jahren hatte ich mal eine Lesung in Delitzsch und es war furchtbar: die saßen da nur alle und starrten mich an, die verstanden kein Wort. Und es waren viele Leute. Ich habe nie einen Veranstaltungsort so schnell verlassen wie damals - von der Bühne direkt ins Auto. Aber heute ist das ja auch im Osten anders.
Was gibt dir da oben auf der Bühne den Thrill?
Wenn die Leute an den richtigen Stellen lachen. Meistens klappt das auch. Es ist ganz ähnlich wie bei einem gute Konzert, man spürt einfach, wenn die Kommunikation funktioniert.
Du schreibst bis heute auf Englisch, obwohl du schon lange hier lebst und auch sehr gut Deutsch sprichst. Wie kommt das?
In meinem neuen Buch gibt es ja diese kleine Story darüber, wie ich das Deutsche hasse. Ich habe mit ein paar Leuten darüber gesprochen, meine Texte ins Deutsche übersetzen zu lassen, aber ich glaube, das würde auch nicht funktionieren. Ich könnte auch versuchen, auf Deutsch zu schreiben, aber das wäre für mich mehr der Versuch zu beweisen, dass ich die Sprache ja doch beherrsche. Und ich glaube auch nicht, dass ich auf Deutsch irgendwas besser ausdrücken könnte als auf Englisch. Außerdem klappt es ja auch so. Ich bin halt ein Hybrid, halb Amerikaner, halb Deutscher beziehungsweise Saarländer. Und so schlecht ist das gar nicht.
Es wird erzählt, dass du ein wütender Mensch sein kannst ... Ich habe die Tür im BluBox-Studio gesehen: über dem Loch darin steht dein Name.
Also das war so: Ich werde so gut wie nie krank, was angesichts meines Lebensstils ein Wunder ist. Aber damals waren wir mit STEAKKNIFE im Studio, und ich wurde krank, und da macht die Arbeit im Studio überhaupt keinen Spaß. Und nach zwei Stunden vergeblichen Versuchs, einen Text zu singen, war ich so wütend, dass ich die Tür getreten habe und die davon leider ein Loch bekam. Zum Glück fanden die vom Studio das so cool, so dass sie mir anboten, gegen ein Autogramm über dem Loch auf die Bezahlung einer neuen Tür zu verzichten.
Wut scheint aber auch thematisch ein roter Faden in deinen Texten zu sein.
Andererseits machst du, wenn man dich trifft, immer einen recht netten Eindruck.
Ich versuche immer ein netter Kerl zu sein, hasse dabei aber fast alles. Es gibt ja auch vieles, über das man wütend sein kann! Und ja, ich bin oft wütend, aber gleichzeitig laufe ich ja nicht durch die Gegend und schreie alle Menschen an. Meine Strategie ist, mich mit halbwegs intelligenten, gut aussehenden Menschen zu umgeben, die ich als Schild gegen den Rest der Welt benutze. Es gibt so viel Ignoranz auf der Welt, da muss man einfach wütend sein.
Wie verträgt sich das mit deinem Job als Bartender im Saarbrücker Karate Club?
Ich bediene fast jeden - nur keine dummen Besoffenen und Menschen, die auf Ärger aus sind. Jeder andere, der sich halbwegs wie ein menschliches Wesen aufführt, wird von mir bedient.
Ist es denn nur ein Job oder auch ein Reservoir für Inspirationen zu neuen Geschichten?
Es ist definitiv nicht nur ein Job. Die Bar ist ganz exzellent, um sich inspirieren zu lassen. Da kommen viele Menschen hin, die dann zwar besoffen sind, aber immer noch intelligent. Und die versorgen mich mit vielen guten Ideen. Und ich bin gerne da, ich mag die Bar.
Was wird dieses Jahr bringen?
Hoffentlich zwei neue Platten, STEAKKNIFE und SPERMBIRDS. Die SPERMBIRDS haben mehrere neue Songs, und mit STEAKKNIFE arbeiten wir da auch dran. Ach ja, es sieht so aus, als würden die SPERMBIRDS dieses Jahr das erste Mal in Griechenland spielen. Wir waren noch nie da, das dürfte also interessant werden.
Und in Südafrika wart ihr ja schon.
Das war erstaunlich! Wie ich auch in der Geschichte in meinem Buch geschrieben habe, saß ich die ganze Zeit nur im Bus und schaute raus und dachet, verdammt, wir sind in Afrika! Die Menschen waren extrem freundlich zu uns, die Landschaft war wundervoll, es war total beeindruckend. Zwölf Stunden im Bus zu sitzen, muss nicht langweilig sein, wenn man dabei unter anderem wilde Elefanten zu sehen bekommt.
Lee, Danke für deine Zeit.
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