Wir befinden uns irgendwo in Berlin-Friedrichshain. Wir müssen ein wenig suchen, bis wir die unscheinbare, kleine Erdgeschosswohnung gefunden haben, die zweckmäßig zum Labelbüro von Sinnbus Records eingerichtet wurde. Was um die Jahrtausendwende als loses Kollektiv junger, musikbegeisterter Menschen begann, hat sich mittlerweile zu einem etablierten Indielabel mit deutschlandweiter Aufmerksamkeit entwickelt. Gerade erst hat man die Elektroklänge von AMPL:TUDE auf Platte gebannt, da steht schon mit BODI BILL die nächste Veröffentlichung vor der Tür. Und es gibt noch viel zu tun. Bei Mate-Tee und Zigaretten und zwischen diversen noch zum Ausschneiden bereitliegenden Cover-Bastelbögen, klären uns Peter Gruse und Uwe Bossenz, zwei der insgesamt fünf Label-Betreiber, über Sinnbus auf.
Die Anfänge
Rückblende: Dieselbe Stadt, Ende der 1990er. In der Berliner Szene formieren sich Leute aller Couleur, die vor allem gemeinsame musikalische Interessen verbinden und ihre Energien bündeln wollen, um etwas auf die Beine zu stellen, anstatt immer nur zuzusehen. Ob Musiker, Fotografen, Grafikdesigner, Filmemacher oder DJs - die Beteiligten kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, was sich natürlich später in Arbeit und Image widerspiegelt.
Man stellt erste Konzerte auf die Beine, die den normalen Rahmen sprengen sollen, oder wie Uwe es beschreibt: "All das, was uns selber früher bei Konzerten gestört hat, haben wir versucht zu verbessern."
So fingen sie an, Clubs zu buchen und umfangreichere Veranstaltungen zu organisieren: Die Läden wurden schön hergerichtet, es gab extra Räume für DJs oder Solokünstler, irgendwelche interaktiven Aktionen, wo das Publikum mit eingebunden war. "Das ist heute vielleicht alles weit verbreitet, aber 1999, als wir damit angefangen haben, war das oftmals nur Konzert, die Bands spielten und das war's dann", so Uwe weiter.
Bis zu 30 Leute, die meisten selbst in eigenen Bands aktiv oder aus deren Umfeld, engagierten sich in dieser Konzertgruppe. Und - ganz die romantische Idealvorstellung - man ist untereinander befreundet. Man traf sich, besprach und organisierte Veranstaltungen. Alles Do-It-Yourself, das alte, fast in Vergessenheit geratene Punk-Prinzip. Obwohl es hier nicht um Punk geht, um Kategorien, um Definition. Dadurch dass die Konzerte immer regelmäßiger stattfanden und immer größer wurden, konnte man sich innerhalb Berlins einen gewissen Ruf erarbeiten - nicht zuletzt auch durch die Veranstaltungsreihe "Sinnbus The Battle", einem Bandwettbewerb im etwas anderen Sinne:
"Da gab's dann im Club zwei Bühnen, einander gegenüber aufgebaut, und die Bands spielten dann abwechselnd gegeneinander. Jedenfalls am Anfang, später sogar gleichzeitig. DELBO gegen KATE MOSH oder TORCHOUS vs. MASONNE, zum Beispiel. Im Club waren dann so 300 bis 400 Leute, rappelvoll, und die standen dann in der Mitte und mussten sich nach jedem Lied zur anderen Band umdrehen. An der Decke über dem Publikum hingen Mikrofone, die haben dann den Applaus aufgenommen. Wir hatten auch so ein eigenes ?Applausometer' programmiert und die Ergebnisse dann an die Wand projiziert. Dafür gab es dann Punkte und natürlich für den Gewinner auch einen Pokal und am Ende haben die Bands dann noch zusammen gespielt."
Schließlich war es nahe liegend, noch einen Schritt weiter zu gehen und nicht nur mehr Auftritte für Bands zu organisieren, sondern auch deren Musik zu veröffentlichen. Spezialisiert hatte man sich damals nicht auf irgendeine Richtung und so kam es, dass bei Sinnbus bis heute eine bunte Mischung an Künstlern und Musikstilen beheimatet ist, wie Uwe erläutert:
"In der einen oder anderen Diskussion ließ sich schon mal raushören, das Schwierige an Sinnbus sei, dass wir uns nicht auf einen musikalischen Stil beschränken ließen. Das haben wir hin und wieder auch selber gedacht. KATE MOSH spielen Indierock, AMPL:TUDE machen - so würde ich es jetzt mal nennen - Halli-Galli-Elektronik, daneben total schwer zu konsumierende Musik wie zum Beispiel KAM:AS oder die ersten Sachen von MONOTEKKTONI. BODI BILL ist wiederum Minimal-Elektro mit Singer/Songwriter-Anleihen.
Es hieß immer, deswegen könne man als ein Nischen-Label nicht so gut verkaufen. Aber wir denken eher, dass genau das auch das Besondere ist. Dass da einfach eine bestimmte Art von Anspruch in der Musik ist, der die Sachen vereint. Man weiß zwar nie genau, in welche Richtung jetzt die neue Sinnbus-Platte gehen wird, aber man kann sich sicher sein, dass die Musik einen hohen Anspruch verfolgt und den Hörer auch fordert, das ist uns ganz wichtig."
Von der Konzertgruppe zur Plattenfirma
Der Start des Labels liegt mittlerweile fünf Jahre zurück. Nach einigen Releases auf CD-R erschien im Frühjahr 2002 "Sinnbus Transport", die erste richtig gepresste Veröffentlichung des frisch gegründeten Labels. Die Bands auf diesem Sampler waren unter anderem MONOTEKKTONI, DELBO und SEIDENMATT. Sie kommen, wie auch der Rest, aus dem Sinnbus-Umfeld und halten dem Label teilweise bis heute die Treue.
Dennoch garantieren freundschaftliche Verbindungen nicht automatisch eine Zusammenarbeit, was auch Sinnbus erfahren musste. Nach dem Release der KATE MOSH-EP "Life Is Funfair" wollte man eigentlich auch noch den Nachfolger herausbringen - die Band entschied sich jedoch zum Labelwechsel. Trotz erster Enttäuschung bringt man Verständnis für den Schritt der Gruppe auf: "Die Entscheidung von KATE MOSH war schon nachvollziehbar. Wir waren zwar traurig, für uns war das eine ziemlich krasse Zäsur, auf der anderen Seite auch ein Aufwachen, die Erkenntnis, dass man eben nicht für immer zusammenarbeiten kann, nur weil man befreundet ist. Ich denke, dadurch haben wir auch ein großes Maß an Professionalität gewonnen."
Diese neu gewonnene Professionalität half beim Knüpfen neuer Kontakte, brachte mehr Möglichkeiten und machte das Label insgesamt für andere Künstler attraktiver. So wuchs der Erfolg mit der Zeit stetig. Seit dem ersten Sampler hat man rund 20 weitere Platten herausgebracht und schon längst beschränkt man sich nicht mehr nur auf Berliner Bands: "Am Anfang war es ja wirklich nur unser Freundeskreis, die ersten fünf, sechs Releases. Dann haben wir angefangen mit BARRA HEAD aus Dänemark und den aus Schweden stammenden AUDREY und ALARMA MAN nach außen zu gehen."
Damit verschwand auch der Makel, ein Label von Freunden für Freunde zu sein, was sich zu dem auch nur lokal orientiert. Zwar sind die bisherigen Veröffentlichungen ausländischer Bands nur Lizenzen - die Platten sind vorher schon außerhalb Deutschlands bei anderen Labels erschienen - je doch versucht man diese Entwicklung, auch mit internationalen Künstlern zusammenzuarbeiten und demnächst auch weltweit für deren Veröffentlichung zuständig zu sein, fortzusetzen.
"Wenn jetzt eine supergeile südafrikanische Band kommt, warum nicht? Warum sollten die nicht in Berlin veröffentlichen?", meint Peter und fügt hinzu: "Wir sind jetzt an einem Punkt, wo wir weltweit Leute kennen, Kontakte haben und diese auch nutzen wollen. Das wir anfangs nur Bands veröffentlicht haben, die wir kannten, war ja eher Zufall. Die Verbindung zwischen uns und den Leuten ist ja schon vor der Label-Idee da gewesen. Es ist ja klar, dass man vor allem zuerst etwas mit Leuten macht, die man kennt, auf die man sich verlassen kann, denen man vertraut."
Wie wohl jedes andere Label auch bekommt natürlich auch Sinnbus Demos zugeschickt: "Der, der den Briefkasten öffnet, hört die dann schon mal so ein bisschen vor, danach beantworten wir die auch, aber das kann man natürlich nicht immer so ausführlich machen", erzählt Peter, schränkt dann aber auch ein:"Allerdings ist durch so ein Demo noch nie ein Release entstanden. Da waren manchmal schon ganz coole Sachen dabei, wir haben die Band dann auch zu unserer Konzertreihe ?Sinnbus Signale' eingeladen, aber dass wir eine Platte aufgrund von Demo-Einsendungen gemacht haben, das kam bisher noch nicht vor."
Vor zwei Jahren hat man sich in einer kleinen Wohnung das schon erwähnte Büro eingerichtet, das man sich zusammen mit einer Künstlerin teilt, da es bei Martin Eichhorn - einem weiteren Mit-Begründer von Sinnbus - zu Hause einfach zu eng wurde.
"Wir kamen einfach irgendwann an Grenzen, mit jeder höheren Pressung, dann die Coverbögen, die Flyer und sonstige Werbemittel. Martin hat zu Hause in Kartons gewohnt, das wurde natürlich mit der Zeit zu einem riesigen Platzproblem. Dazu kommt noch, dass wir alleine vom Label ja schon zu sechst sind und wenn dann noch eine Band dazukam, saßen schon mal an die zehn Leute in einem Raum und besprachen die verschiedensten Dinge. Das ging dann irgendwann nicht mehr."
Auch die Aufgaben sind schon länger klar strukturiert, jeder hat seinen Bereich, für den er zuständig ist. Eine Hierarchie gibt es trotzdem nicht. Und trotz der zugeteilten Bereiche, helfen bei anfallender Büroarbeit alle nach vorhandener Zeit mit. Dazu gehört auch, Coverbögen zurechtzuschneiden, wie das Peter und Uwe auch gleich machen werden, so erzählen sie. Zu meiner Überraschung sind die Platten-Artworks nicht nur aufwändig designt und in einem speziellen Digipak-Format, sondern auch alle von Hand angefertigt.
Wie es dazu kam, erklärt Peter so: "Martin hat sozusagen das ganze Design-Ding angeschoben. Industrielle Fertigung war damals, als wir das zum ersten Mal gemacht haben, eh absolut unmöglich für uns und über die Zeit haben wir dieses Ding jetzt immer mehr perfektioniert. Die Bastelbögen für die Cover kriegen wir inzwischen schon fertig bedruckt aus der Druckerei geliefert und der Rest geht eigentlich relativ schnell. Wobei unsere Auflagen früher bei 500 Stück lagen, und da müssen wir mal sehen, wie das bei BODI BILL jetzt wird, da haben wir am Anfang 2.000 pressen lassen."
Nicht nur die Auflage, sondern auch die Release-Frequenz hat sich erhöht. "Weiterhin alle ein bis eineinhalb Monate eine Platte machen", wolle man, so Uwe. Für 2007 sind bisher die Alben von TER HAAR, BEACH und SDNMT SEIDENMATT geplant. Das ist die nahe Zukunft. Seit kurzem versucht man zum CD-Release auch gleichzeitig eine kleine Vinylauflage des Tonträgers herauszubringen. Für Sammler und insofern finanziell machbar. Vertrieben werden Sinnbus-Platten mittlerweile international, so kommt es, wie Uwe erzählt, dass sie viel nach Japan verkaufen würden. Und damit sie ihren Bands auch ausgiebiges Touren ermöglichen können, arbeitet Sinnbus eng mit verschiedenen Booking-Agenturen zusammen. Zum Beispiel mit Under The Stars, Me!, ebenfalls aus Berlin. Denn live zu spielen ist immer noch das A und O.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #74 Oktober/November 2007 und Kevin Goonewardena