FRANK NOWATZKI

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Noir-Geschichten abseits der Großverlage

Wenn ich jetzt schreibe: „Frank Nowatzki war Gitarrist bei BETONCOMBO, einer der ersten Berliner Punkbands“, meinen bestimmt viele, Bescheid zu wissen, worum es sich die nächsten Zeilen drehen wird. Hier aber soll es jetzt nicht um die Musik gehen, sondern um einen Zweig der Literatur, der neben Beat und anderer Undergroundschreibe wie kaum ein anderer den Blick auf die Außenseiter der Gesellschaft und die menschlichen Abgründe richtet: Pulp- und Noir-Literatur, besonders etabliert in Frankreich und den USA. In diesen Romanen geht es um die dunklen, kaputten Seiten hinter den Fassaden der Gesellschaft, um Sucht, Elend, Gier, Gewalt, Wahnsinn. Frank Nowatzki bemüht sich schon seit den 80ern darum, dem deutschen Buchmarkt Klassiker des Genres wieder zugänglich zu machen und neue Autoren näher zu bringen. Und da in der von ihm herausgegebenen Reihe Pulp Master ein gutes Buch nach dem anderen erscheint, ist dies für mich Grund genug, diesen Typen mal vorzustellen, der sich übrigens bereits schon mal in Ausgabe 47 dieses Heftes ein wenig über das Thema Pulp-Literatur ausgelassen hatte.


Wann und wie bist du das erste Mal mit Literatur abseits des Mainstreams und mit Noir und Pulp im Speziellen in Berührung gekommen? Was hat dich daran fasziniert?

Ich muss so 14 oder 15 gewesen sein, als ich mit einem Charles Bukowski in der Hand öfters meinen U-Bahnhof verpasst habe und bis zur Endstation durchgefahren bin. Das war für mich wie ein Blick hinter die Kulissen. Das war ehrlich und authentisch. Bukowski hat mir gezeigt, wie unsere kapitalistische moderne Gesellschaft hinter den Fassaden funktioniert. Darüber bekam ich den Einstieg, insbesondere zu amerikanischen Autoren wie William S. Burroughs, der wiederum ein Verehrer war von Noir-Autoren und Outlaws wie Jack Black, dem Autor von „You Can’t Win“, auf Deutsch „Du kommst nicht durch“.

Für viele Menschen ist das Wort „Krimi“ mehr ein Unwort und wird mit leicht verdaulicher Kost gleichgesetzt. Gleichzeitig habe ich schon erlebt, dass selbst ernannte Krimihasser von Schreibern wie Jim Thompson, George P. Pelecanos oder Derek Raymond total begeistert waren. Wie würdest du die Grenze ziehen zwischen der bürgerlichen Kriminalliteratur auf der einen und Pulp- und Noir-Romanen auf der anderen Seite?

Ich habe versucht, das Unwort-Problem zu umgehen und mit Pulp Master einen eigenen Begriff zu schöpfen, mit dem man Crime Fiction, Pulp, Noir oder sonstige Crossover-Geschichten etikettieren kann. Mittlerweile ist das Spektrum so facettenreich, dass man als Leser ohne Sortierung nicht mehr hinkommt. Deshalb sind vermutlich auch die traditionellen Krimireihen der Großverlage eingestellt worden. Man hat versucht, es allen Lesern Recht zu machen und das Gegenteil erreicht.

Eine Buchreihe, die auf dem amerikanischen Markt in den 80ern jede Menge Klassiker besagter Noir-Literatur wiederveröffentlicht hat, ist Black Lizard Books. Du hast Ende der 80er unter dem Namen „Black Lizard Bücher“ die deutsche Version gestartet Wie ist es dazu gekommen und warum hat das Ganze relativ schnell wieder geendet?

Mitte der 80er hatte mir eine Freundin in San Francisco einen Willeford in die Hand gedrückt. Und als ich wenig später entdeckte, dass Black Lizard in Berkeley reihenweise coole und längst vergessene Autoren gleichen Kalibers ausgraben hatten, nahm ich Kontakt mit ihnen auf. Dummerweise war ich Anfänger und musste gleich mit mehreren Agenten verhandeln. BL hatte einen in NYC, der wiederum einen in Deutschland und alle wollten mitverdienen. Zinsen und Kosten für Lizenzen, Druck und Übersetzungen waren schlicht und ergreifend zu hoch. Die Rechnung ging einfach nicht auf. Zu allem Überfluss wurde BL auch noch von Random House übernommen.

Meistens scheuen sich Verlage ja, Autoren zu veröffentlichen, bei denen es eher in den Sternen steht, wie sich deren Bücher verkaufen. Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Maas Verlag zustande und wie entwickelte sich schließlich die Pulp Master-Reihe? Warum hat sich Pulp Master schließlich von Maas getrennt? Was sind deine Ziele mit Pulp Master?

Erich Maas stieß mit seinem Verlag irgendwann an ähnliche Grenzen. Er hatte gute Titel publiziert, doch finanziell und kräftemäßig zehrte das Ganze einen auf. Als wir uns 1993 kennen lernten, fusionierten wir mit dem Ziel, unsere Kräfte zu bündeln und einen Independent-Verlag zu etablieren. Als er 2001 plötzlich verstarb, stand ich wieder alleine vor dieser Mauer, die wir eigentlich zusammen hatten einreißen wollen. Danach war der Maas Verlag nicht mehr derselbe, die verbliebenen Beteiligten zogen längst nicht mehr an einem Strang. Meine Ziele? Ich hoffe, ich kann noch ein paar neue Autoren entdecken und die Mauer doch noch irgendwie klein kriegen, aber die Chancen als Einzelkämpfer stehen nie gut. Setzen würde ich darauf nicht.

Wie erklärst du dir die bodenlose Ignoranz, die den meisten Autoren entgegengebracht wird, die es wagen, Klartext schreiben und unbequeme Themen anzupacken?

Wenn man als Lektor für einen größeren Publikumsverlag arbeitet und an seinen Erfolgen gemessen wird, dann wird man den Teufel tun und experimentieren. Da greift man auf Bewährtes zurück. Wir dagegen kommen nur an Autoren, die andere längst abgelehnt oder übersehen haben. Das ist die Crux und gleichzeitig die Chance von Kleinverlagen. Außerdem: Ignoranz lauert überall, nicht nur im Literaturbetrieb. Sie ist Teil unseres Systems und die Massmarket-Player können mit dieser Ignoranz gute Geschäfte machen.

Wie verkaufen sich deine Bücher? Einige Autoren wie Buddy Giovinazzo oder vor allem auch Garry Disher sind ja schon länger auch an größere Verlage geraten. Trotzdem sehe ich deren Bücher unverständlicherweise ständig auf irgendwelchen Grabbeltischen ...

Die Erst- und Originalausgaben von Buddy sowie Garrys „Wyatt“-Romane erscheinen nach wie vor bei mir und stehen dann in einer Hand voll gut sortierter Krimibuchläden im Regal. Jahre später versuchen dann große Publikumsverlage mit Lizenzausgaben ihr Glück damit, das gehört zum Geschäft. Das bringt uns Kohle in die Kasse, die wir wiederum in neue Entdeckungen investieren können. Auch für die Autoren selbst zahlt es sich dann irgendwann aus, auf ein Dark Horse wie Pulp Master gesetzt zu haben, anstatt als Nobody gleich in der Backlist eines Großverlages unterzugehen. Garry Disher beispielsweise, der ja jetzt mit seinen Challis-Polizeiromanen zum Unionsverlag gewechselt ist, was inhaltlich auch besser passt, weiß, dass Pulp Master hierzulande Pionierarbeit geleistet hat, ohne die der Wechsel gar nicht zustande gekommen wäre.

Ich stelle es mir schwierig vor, aus dem Wulst an Schriftstellern wirklich gute Leute zu finden ... Wie entdeckst du die Autoren für die Pulp Master-Reihe?

Dafür gibt es kein Patentrezept. Es ist eher eine Mischung aus Recherche im Internet, in einschlägigen Fanzines, Reviews, Kontakte und so weiter. Auf ältere, vergessene Titel wie etwa. PJ Wolfsons „Geißel der Niedertracht“ stößt man zum Beispiel durch die „Chroniken“ von Jean-Patrick Manchette. Garry Disher wurde in einem kleinen englischen Fanzine gefeiert, nachdem die Agenten hier schon von allen Verlagen Absagen bekommen und ihn abgeschrieben hatten.

Einige, wie ich finde, besonders interessante Bücher bei Pulp Master sind leider schon vergriffen, ich denke dabei besonders an die beiden Lansdales. Gibt es eine Chance für eine Zweitauflage?

Ein schwieriges Thema. Bei den Lagerkosten kommt über die Jahre ganz schön was zusammen. Irgendwann geht man davon aus, dass so ein Titel durch ist. Von solchn Titeln gibt es aber oft auch noch ein paar Verlagsarchivexemplare, die man direkt über die Website anfragen kann.

Hast du je daran gedacht, selbst mal etwas in Richtung Roman oder Erzählung zu schreiben oder siehst du dich eher als Herausgeber?

Ich bin mit dem Schreiben von Vor- und Nachworten, den Klappentexten und dem anderen Kram ziemlich ausgelastet. Sollte ich aber mal die nötige Zeit und die Idee dazu haben, stünde dem nichts im Wege.

Du warst ja auch Gitarrist bei der Berliner BETON COMBO ... Bist du neben dem ganzen Literaturkram auch noch musikalisch aktiv?

Es gibt einige Dinge, die man nie richtig lassen kann. Die CLIT COPS sind nach ein paar Jahren Babypause wieder aktiv, ab und an spielen wir ein paar Gigs, zum Beispiel im Berliner Wild At Heart. Manchmal trifft man dann sogar auf nette Leute wie Dahlia Schweitzer, die Anfang des Jahres im Maas Verlag ein Buch herausgebracht hat und die in der Dancefloor-Clubszene performt. Wir haben neue Songs geschrieben und ein neues Projekt namens DAHLIA & THE BANG gestartet und im Juni im WTFF gespielt. Das ging ganz gut ab.

Wenn ich nun auf Pulp und Noir aufmerksam geworden wäre, aber noch keine Ahnung hätte: Welche Bücher würdest du als Einstieg empfehlen? Ansonsten: hast du irgendwelche Tipps für Neuentdeckungen?

Klassisch anfangen könnte man mit Dashiell Hammett, der in „Rote Ernte“ seinen Privatdetektiv nach „Pissville“ schickt, um die korrupten und kriminellen Elemente gegeneinander auszuspielen. Wie man pornografische Pulp Fiction zu einem irren, bizarren und doch überzeugenden Genre-Crossover verarbeiten kann, beweist der SF-Autor Philip José Farmer in „Fleisch“ bereits 1968 mit der Kurzgeschichte „Die Verkörperung des Bösen“: Die Polizei von L.A. untersucht ein anonymes Videotape, auf dem neben der Hinrichtung von Detective Childes Partner Colben auch paranormale Erscheinungen zu sehen sind.

Was gibt es in der Zukunft bei Pulp Master?

Der neuer Disher kommt in Kürze und im Herbst dieses Jahres gehen mit Paul Freeman und Rick DeMarinis zwei echte Neuentdeckungen an den Start, die wie Buddy Giovinazzo bereits an neuen Romanen arbeiten. Das heißt, die Pulp-Pipeline ist prall gefüllt ...

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