Seit bald zehn Jahren schwimmt der Hannoversche Dampframmen-Ska-HAMMERHAI durch die Republik und hinterlässt seine Spur in Form von angeschlagenen Pogo-Pinguinen. HAMMERHAI sind unverwechselbar, sie hatten schon immer ihren ganz eigenen Stil. Trotz ihrer Vorliebe für den Off-Beat, scheuen sie sich nicht, mit anderen stilistischen Elementen zu experimentieren, ohne dabei jedoch Crossover zu sein. Wortgewandte deutsche Texte und dennoch eingängige Arrangements würzen ihre sehr eigene Musikkreation. Mein Erstkontakt mit ihnen war 1999: Damals noch im Münchener Club Feierwerk tätig, durfte ich die Truppe mit DISABILITY zusammenführen. Seitdem hatte ich immer mal wieder die Gelegenheit, die Band irgendwo in der Republik live zu erleben. Mittlerweile sind vier Jahre vergangen, seit das letzte Studioalbum "Komma' klar" auf Wolverine erschienen ist. Das Kohleofenkollektiv, der offizielle Infodienst der Band, hatte lange Zeit nichts mehr von sich hören lassen, da flattert Ende Mai die wohlklingende Kunde in mein elektronisches Postfach: "Mein Kiez" - es gibt endlich ein neues HAMMERHAI-Album. Daraufhin habe ich sofort Sänger Sölti kontaktiert, der mir zusammen mit Bassist Tikki einige aktuelle Details verraten hat.
Trotz der zwischenzeitlich veröffentlichten Live-CD/DVD "Unterwegs", waren HAMMERHAI in den letzten Jahren nur noch sporadisch auf Tour. Bandintern gab es einige Veränderungen: Die beiden früheren Gitarristen Tim und Pape sind ausgestiegen, HAMMERHAI mussten sich also erst einmal wieder neu sortieren. Einen würdigen Ersatz fand man mit Lennart. Privat hat sich jedoch auch jede Menge getan, so dass für die Band nicht mehr so viel Zeit bleibt. Bassist Tikki ist Vater geworden, Herr K. ist nach Köln gezogen, und Lennart schreibt an seiner Doktorarbeit. Sölti ergänzend zur Situation: "Wir sind alle scheißalt geworden und müssen an unsere Rente denken. Und deswegen müssen wir viel zu viel arbeiten, weil wir mit HAMMERHAI die Last des erdrückenden Generationenvertrages fast alleine schultern müssen. Und dann manchmal auch noch feiern - Hölle!"
Waren die Aufnahmen zum neuen Album "Mein Kiez" bereits 2005 eingespielt, dauerte es noch zehn Monate, bis HAMMERHAI die Feinarbeiten beendet hatten. In Zusammenarbeit mit Übersee Records und Tank Records wurde das Material auf CD, via Rat Race Records auf Vinyl veröffentlicht. Mit der Covergestaltung ist erneut Ralf Rohde beauftragt worden. Wer das Artwork für "Komma' klar" schon dufte fand, wird bei "Mein Kiez" voll auf seine Kosten kommen. Die Band ist sich einig: "Definitiv die schönste Platte, wenngleich nebenbei bemerkt, das müsste ich aber eigentlich auch sagen, wenn's nicht so wäre. Ist aber so!"
Gewöhnlich folgt einer brandneuen Veröffentlichung vermehrte Live-Präsenz. "Wir haben in den ersten Jahren von HAMMERHAI fünfzig Gigs pro Jahr gespielt, doch das würden wir alle schon zeitlich gar nicht mehr hinbekommen. Das Entscheidende ist doch, dass die Gigs und die Musik Spaß machen. Lass uns nächstes Jahr zwanzig Shows spielen, das machen in ihrem zehnten Jahr die allerwenigsten Bands. Wir haben jetzt unser fünftes Album draußen und wir finden es alle supergeil - das muss man von seinem eigenen Kram erstmal guten Gewissens sagen können."
Auch wenn HAMMERHAI nicht mehr so viel unterwegs sein können wie noch vor einigen Jahren, bedeutet das nicht, dass die einzelnen Bandmitglieder künstlerisch nicht aktiv sind. Aktuell hat Tikki seine eigenen sporadischen musikalischen Projekte am Start und arbeitet ansonsten sehr gerne mit Kindern, mit denen er Instrumentalstücke aufführt. Sölti schreibt Kurzgeschichten und produzierte kürzlich ein Hörbuch mit dem Titel "Der Sündenpfuhl am Frühstückstisch".
Vielleicht weil HAMMERHAI sehr mit Hannover verbunden sind, haben sie dieses Album ihrem Kiez, ihrem Stadtteil Linden gewidmet. "Das ?In dieser Stadt gehört der Größenwahn zur Tracht ...' ist natürlich auf Hannover - größtes Schützenfest der Welt, Expo, WM, größte Industriemesse, CeBit, blablabla - bezogen. Linden ist die wesentlich lässigere, trashigere, aber durchaus gediegene und lauschige Seite von Hannover. Ich wohne hier sehr gerne." Tikki ergänzend: "Wir proben seit Jahren in diesem Stadtteil und haben hier die meisten Konzerte gespielt. Ich finde, das ist schon ein Grund, mal ein Lied darüber zu machen. Sölti sollte damit in ein Schulbuch unter dem Kapitel "Großstadtlyrik" aufgenommen werden." Fast schon eine Liebeserklärung.
Mir fällt auf, dass Sölti auf "Mein Kiez" vor allem die Themen Alkohol und Liebe verarbeitet: "Habe ich so noch gar nicht gesehen ... Gut, dass mich mal jemand darauf anspricht, hahaha! Alkohol und Liebe sind aber andererseits auch wirklich keine üblen Themenblöcke, nicht wirklich neu, aber bewährt. Menschmenschmensch, da erwischt du mich jetzt aber echt eiskalt. Ich hätte jetzt gesagt, schlappe Bohrschrauber-Akkus und die Zeugen Jehovas wären unsere Hauptthemen."
Nach wie vor sind HAMMERHAI schwere Kost für den traditionellen Ska-Liebhaber. Als sie noch mit zwei Gitarren als schwergewichtiges, manchmal fast metallisches Sixpack unterwegs waren und den Off-Beat nur so nach vorne trieben, wussten selbst die Punks im Publikum oftmals nicht, wie ihnen geschah. Diese innovative, unberechenbare Art, wie HAMMERHAI den Off-Beat durch bewährte, traditionellen Stile und neue Einflüsse bereichern, macht diese Formation so einzigartig. Nun also die Experten gefragt, warum es so wenige Bands gibt, die den Off-Beat so vielseitig nutzen? Als Bassist der Band, dem im Reggae- und Ska-Genre der eigentliche Melodiepart zuteil wird, ist Tikki der Meinung, dass es mangelndes Interesse oder fehlende Lust sei, sich mit anderen Musikrichtungen beschäftigen, um diese dann auch umzusetzen. "Vielleicht ist es zu anstrengend oder nicht puristisch genug."
Sölti hingegen: "Meines Erachtens lassen sich viel zu viele Bands davon beirren, dass im Zweifelsfall die sechshundertste Coverversion von Bob Marley-Klassikern beim Publikum besser ankommt, als eine Eigenkomposition. Gerade ?Bewegungsmusik' wie Ska, Punk und Reggae lebt viel von der Energie im Publikum, deswegen macht man den Kram ja. Das führt aber leicht auf den Irrweg, möglichst einfache und bekannte Klischees zu bedienen, weil die im Pit am unmittelbarsten ankommen. Es gibt gerade im Ska/Punk-Bereich so viele Bands, die den vermeintlichen Trends hinterher gehechelt sind. Das ist mir total fremd. Ich suche mir doch im Leben aus allem das Beste für mich raus und lasse mich nicht auf eine Spielart reduzieren. Für uns war es immer gerade der Kick, dass wir auf Tod und Teufel unseren eigenen Stiefel gemacht haben. Ganz viele sehen das eben anders."
Mit Argwohn betrachte auch ich diesen Trend, der zudem einen Rattenschwanz an unsäglichen Veröffentlichungen nach sich zieht. So langweilig und langwierig es ist, sich aus Tonnen von Schlamm die kleinen Goldkörner auszuwaschen, es lohnt allemal. HAMMERHAI sind der lebende Beweis, dass viele bestehende Schubladen für eine Band noch nicht ausreichend sind. Nach wie vor kenne ich keine Truppe, die den guten alten Off-Beat so originell nutzt und nur ansatzweise nach HAMMERHAI klingt. Wenn das mal kein spezielles Gütesiegel ist.
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