BRIEFS

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Looking Through Morrissey’s Eyes

Verdammt, so langsam wollen mir keine Superlative mehr einfallen, mit denen ich die BRIEFS adäquat beschreiben kann. Warum belassen wir es nicht einfach dabei, dass die BRIEFS das absolut Beste sind, was die USA in den letzten Jahren an Punkrock ausgespuckt haben, und dass mir da keiner widersprechen darf? Ich weiß, das wäre zu einfach. Also von vorne. Ich kann Tom Radio Blast und Lutz Soundflat gar nicht genug dafür danken, dass sie mir diese Band aus Seattle damals mit ihrem Debütalbum „Hit After Hit“ und unzähligen Singles ans Herz gelegt haben. Und das gerade noch rechtzeitig vor ihrer ersten Europatour Ende 2002. Was mir heute den Vorteil verschafft, den neu Begeisterten, die gerade erstmals ein BRIEFS-Konzert besucht haben beizupflichten, dass das gerade Gesehene zwar – wie immer – grandios war, das Konzert damals im kleinen Raum des Underground zu Köln aber diverse, bis zu diesem Zeitpunkt noch unschuldige Leben grundlegend hätte verändern können. Seitdem haben die BRIEFS unzählige Singles und die Alben „Off The Charts“ und „Sex Objects“ veröffentlicht, sind ständig auch in Europa auf Tour gewesen und haben mich immer wieder begeistert, sei es live oder auf Platte. Die Jungs können scheinbar einfach nichts falsch machen. Auch das Anfang November via BYO veröffentlichte vierte Album „Steal Yer Heart“ – das erste mit ihrem neuen Bassisten Stevie Kicks, vormals Mitglied der grandiosen NEW TOWN ANIMALS, der seit Sommer 2004 dabei ist und den ausgestiegenen Lance Romance ersetzt – ist da keine Ausnahme und mal wieder ein unwiderstehliches Meisterwerk, das die absolute Ausnahmestellung der BRIEFS weiter ausbaut. Grund genug, den Jungs ein paar Fragen zu stellen. Da Telefone eine Erfindung des Teufels und die BRIEFS erst nächstes Jahr wieder hier unterwegs sind, erfolgte das per E-Mail. Joachims und meine Opfer waren die beiden Gitarristen und Sänger Daniel J. Travanti und Steve E. Nix.

Ihr habt seit über einem Jahr einen neuen Bassisten. Wer ist dieser Stevie Kicks, wo kommt er her, wie kam er zu euch?
Daniel: Bevor er einstieg, hatten wir schon ein paar Leute vorspielen lassen, aber es schien keiner so recht zu uns zu passen. Wir wollten keine großen Muskelmänner oder gar Hippies in der Band. Eigentlich wollten wir von Anfang an Kicks haben, aber er spielte bei den NEW TOWN ANIMALS aus Vancouver und das ist ja unsere kanadische Bruderband, also quasi Familie und da wollten wir nicht deren Karriere beeinträchtigen. Aber es stand eine Tour an, und Lance konnte definitiv nicht mit dabei sein, also haben wir Kicks einfach gefragt. Natürlich nicht, ohne uns vorher den Segen der New Towns dafür zu holen. Er hat zugesagt, mit uns getourt, und nachdem sich kurz darauf die Towns aufgelöst haben, sind wir einfach immer weiter getourt und haben Kicks nie zurückgegeben. Er ist jetzt sogar der Meinung, dass er einen amerikanischen Akzent hätte.
Steve: Kicks ist ein Engel, der uns aus Kanada gesandt wurde. Dem Land, das nie jemanden ausbombt, das Gesundheitsfürsorge für jeden bietet und wo das Geld auf Bäumen wächst. Wir erwarten also, sehr viel Glück mit unserem neuen Bassisten zu erleben.

Als Kicks noch bei den NEW TOWN ANIMALS spielte, war er dunkelhaarig. Jetzt ist er blond. Muss ein Brief blond sein? Bitte denkt auch an die deutsche Geschichte ...
Daniel: Ich kann mich nicht erinnern, wie dieses ganze Blonde-Haare-Ding begonnen hat. Es war wohl eine Reaktion auf die ganzen „black hair crybaby“-Emobands um uns herum, als wir anfingen. Wir hassten das und wollten auf gar keinen Fall so sein wie die. Und auf einmal war ich blond! Es ist dann wohl Teil unserer Identität geworden. Außerdem hilft es, auf Tour Geld zu sparen, wenn du im Hotel behauptest, es würden nur zwei Leute einchecken und dann alle vier rein schummelst. Ohne Rücksicht auf die deutsche Geschichte also: Ja, ein Brief muss blond sein.
Steve: Wir ließen Kicks die Luft anhalten und die Augen schließen und tunkten dann seinen gesamten Kopf in Blondierung. Es hat ihm zwar nicht allzu sehr gefallen, aber ich denke, er ist jetzt froh, blond zu sein. Und ältere Frauen stehen darauf.

Was ist mit eurem alten Bassisten Lance passiert? Es gibt ja das Gerücht, dass er inkognito bei einer richtig großen Band mitspielt.
Daniel: Ja, er spielt jetzt mit Bob Seger; eine furchtbare Tragödie. Nein, er ist momentan musikalisch nicht aktiv, auch wenn er neulich in Seattle bei „Dead in the suburbs“ auf die Bühne kam und mit uns spielte. Wir sind immer noch Freunde, er ist einfach ein viel beschäftigter Mann und diese verdammte Band frisst halt viel Zeit.
Steve: „Inkognito“ impliziert doch, dass keiner seine Identität kennen darf. Möglicherweise spielt Lance ja bei einer supergroßen Band, aber wissen tun wir davon nichts. Und wenn wir was wüssten, dürften wir nichts darüber sagen. Aber vielleicht wissen wir ja tatsächlich was. Auf jeden Fall spielt er nicht bei SPIZZ ENERGY, aber vielleicht bei der Reuniontour der BOOMTOWN RATS. Höchstwahrscheinlich zwar nicht, aber vielleicht doch.

Es scheint, euer neues Album klingt teils wieder mehr nach den frühen BRIEFS, unbeschwerter als „Sex Objects“, das irgendwie ernster rüber kam. Liegen wir damit jetzt völlig falsch?
Daniel: Nein, damit liegt ihr nicht falsch. Unsere Songs werden immer von dem inspiriert, was um uns herum passiert. Als wir „Sex Objects“ schrieben, waren wir mächtig angepisst davon, dass die Welt den Bach runter geht. Wir sind zwar immer noch ziemlich angepisst, haben aber gelernt, den Hass und die Wut in Liebe umzuwandeln. Frieden und Freude für alle im Jahre 2006! Gott schütze uns. Sogar meine dreckigen, stinkenden Hippie-Nachbarn.
Steve: Es gibt keinen Plan bei unserem Songwriting. Es kommt, wie es kommt. Wir nehmen einfach unsere Favoriten von den Songs, an denen wir gerade arbeiten, und nennen es dann ein Album. Aber wenn ihr der Meinung seid, dass Bob Seger zu töten oder durch Gary Glitters Augen zu gucken „unbeschwert“ sei, dann solltet ihr da nochmals drüber nachdenken.

Andererseits gibt es auf „Steal Yer Heart“ Songs wie „Can’t get through“ oder „Getting hit on at the bank“, die man von den BRIEFS so noch nicht gehört hat. Gibt es Grenzen dabei, was ein BRIEFS-Song sein darf und was nicht?
Daniel: Ja, kein Free Jazz. Ansonsten gibt es keine Grenzen. Wenn ich mich durchsetze, gibt’s auf der nächsten Platte nur „tribal chanting“.
Steve: Wir bleiben unseren Einflüssen treu, und das sind eben 25 Jahre großartigste und unterschiedlichste Formen von Punkrock. Offensichtlich mögen wir das alte Zeug ja und unser Sound reflektiert das eben. Aber wir versuchen, Songs zu schreiben, die sich voneinander unterscheiden, aber dennoch nach den BRIEFS klingen. Songs über das Eintreten in die Navy oder bei der YMCA zu bleiben sind aber nicht erlaubt.

Mal angenommen, einer von euch schreibt einen Song, der den anderen gar nicht gefällt oder der eben kein BRIEFS-Song ist. Hättet ihr Zeit und Lust für irgendwelche Nebenprojekte? Gab es solche denn schon mal?
Daniel: Ich würde das nicht generell ausschließen, momentan beanspruchen die BRIEFS aber meine ganze Zeit.
Steve: Ich habe eine Zeitlang bei den GIRLS am Bass ausgeholfen, aber nichts zum Songwriting beigesteuert. Nebenprojekte machen Spaß, aber es ist schwer, bei dem Tourprogramm der BRIEFS Zeit dafür zu finden.

Uns hat die Schreibweise des neuen Songs „Lint Fabrik“ irritiert. Geht’s da um den gleichnamigen kleinen Laden in Belgien, den ihr übrigens falsch geschrieben habt?
Daniel: Die Schreibweise hat irritiert? Ihr scheint ein paar Valium zu benötigen. Ja, es geht um die Lint Fabrik oder Fabriek oder fabric oder wie auch immer das geschrieben wird. Wir haben viel zu viel Zeit mit Schlafen und dem Lesen der Graffitis an den Wänden in diesem Club verbracht. Wenn du schon mal da warst, wirst du wissen, was ich meine. Aber ich liebe den Club. Ich liebe es, dort zu schlafen und zu lesen, wie jemand seinen Schwanz in das Rektum der Mutter eines anderen gesteckt hat. Es ist gemütlich dort.
Steve: Ich habe mich mal mit einem Haufen Hasch und Amphetaminen in der Lint Fabriek abgeschossen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo genau. Es könnte in der Lampe gewesen sein, oder hinter den Wänden oder auch innerhalb einer Matratze ...

„Steal Yer Heart“ wurde von Johnny Sangster produziert, der ja unter anderem auch MUDHONEY, die POSIES, die MAKERS und BOSS MARTIANS aufgenommen hat. Wie war die Zusammenarbeit?
Daniel: Er ist die Helen Keller der Plattenproduzenten. (Erklärung der Redaktion: Helen Keller war eine gehörlose Blinde, die sich eben für die Belange dieser Behinderten eingesetzt hat.)
Steve: Er ist zwar blind, aber hat gute Ohren. Wir haben ihm während der Aufnahmen öfter mal unsere nackten Ärsche gezeigt.

Euer zweites Album „Off The Charts“ wurde für Europa von Bitzcore lizenziert, danach endete aber die Zusammenarbeit. Warum?
Daniel: Hm, lass es mich so sagen: Wir arbeiten alle daran, dass wir wieder Freunde werden. Reicht das?

Bitzcore änderten ja leider die Trackliste von „Off The Charts“, so dass sich nicht nur Plattensammler-Nerds die Platte zweimal kaufen mussten, um an alle Songs zu kommen. So etwas ist den BEATLES ja auch ständig passiert. Wie steht ihr zu so einer Veröffentlichungspolitik?
Daniel: Wenn ich mich recht erinnere, waren wir es, die die Trackliste geändert haben. Nicht weil wir wollten, dass sich die Leute die Platte zweimal kaufen, sondern weil wir meinen, dass es in der Form ein besseres Album ist. Wir sind auch Platten-Geeks, auch wir lieben und hassen so etwas eigentlich, auf der Suche nach B-Seiten, raren Versionen und so was zu sein. Ich weiß, dass die Änderung einige Leute angepisst hat, aber es war die richtige Entscheidung. Außerdem kannst du dir die dir fehlenden Songs ja aus dem Internet holen. Nur zu, du hast unsere Erlaubnis.
Steve: Es ist so einfach eine bessere Platte. Auch die wieder veröffentlichte Version auf BYO hat die verbesserte Tracklist.

Seit „Sex Objects“ seid ihr bei BYO. Wie kam es dazu und warum habt ihr Dirtnap verlassen?
Daniel: BYO ist ein Label, das wir schon kennen und respektieren, seit wir Kids waren. Ich habe immer noch den „Another State Of Mind“-Flyer der YOUTH BRIGADE/SOCIAL DISTORTION-Tour an meiner Wand hängen. Als Shawn uns gefragt hatte, ob wir was zusammen machen wollen, mussten wir einfach ja sagen. Dirtnap ist ein großartiges Label und wir sind sehr froh, ein Teil davon gewesen zu sein, gerade zu Anfang, aber jetzt ist BYO unser Zuhause.
Steve: BYO ist das beste Label der Welt. Wenn sie doch nur auf unseren Rat hören und Platten von DISTRICT und den SHOCKS veröffentlichen würden.

Nach eurem Debüt „Hit After Hit“ hatte der Major Interscope Interesse an euch. Angeblich habt ihr auch eine Platte aufgenommen, die dann aber nie veröffentlicht wurde. Stimmt das oder ist in Wirklichkeit „Off The Charts“ das „verschollene“ Album?
Daniel:
Ich schwöre hiermit, dass wir wirklich ein Album für sie aufgenommen haben und dass es nie veröffentlicht wurde! Es ist schon witzig, wir werden ständig danach gefragt und niemand glaubt uns. Ja, wir haben eine Platte für Interscope gemacht. Ja, es war ein einziger Alptraum. Ja, wir besitzen die Aufnahmen noch. Sie sind in einem Keller und werden von bewaffneten Zwergen bewacht. Ja, ja, ja, es ist alles wahr! Aber wir haben Unmengen an versteckten Botschaften auf die Platte gepackt wie „Fred Durst sucks cock in hell“ und so, die man hören könnte, wenn man die Platte rückwärts spielt. Das war so ziemlich das Beste an den Aufnahmen für Interscope.
Steve: Man kann ein paar Songs dieser Session auf den letzten beiden „Old Scars And Upstarts“-Samplern hören.

Eure Single-Veröffentlichungen haben in letzter Zeit zahlenmäßig stark nachgelassen. Seid ihr eine Konzeptalbum-Progrock-Band geworden, die über das Singleformat hinausgewachsen ist?
Daniel:
Nein, wir waren schon immer eine Konzeptalbum-Progrock-Band.
Steve: Es ist schwierig, ein voll ausgearbeitetes progressives Konzept auf eine Single zu quetschen, obwohl wir das für die „C’mon Squash Me Like A Bug“-7“ schon mal gemacht haben. Und wir werden es wieder tun!

Es scheint, dass ihr ständig auf Tour seid. Täuscht der Eindruck? Wo wart ihr dieses Jahr überall?
Daniel:
Wir waren überall, sogar in Japan. Also wirklich beschäftigt. Und sind es immer noch, eine Tour mit CLIT 45 in den USA steht noch aus in diesem Jahr.
Steve: Wir sind mindestens die Hälfte eines Jahres auf Tour. Das kann anstrengende Arbeit sein, aber es ist auch verdammt cool. Wir treffen so Freunde auf der ganzen Welt.

Könnt ihr denn von der Band leben oder müsst ihr in euren wenigen freien Tagen arbeiten gehen?
Daniel:
Wir schlagen uns so durch. Rechnungen zu bezahlen ist manchmal schwierig, aber noch schwieriger ist es, einen Job zu finden, der es mir erlaubt, so oft zu touren wie ich will. Es stellt sich also die Wahl: BRIEFS oder Hausmeister. Es gibt kein Zurück.
Steve: Ich würde gerne zwischen den Touren arbeiten, aber es ist wirklich schwer, jemanden zu finden, der dich einstellt, um dann und wann für ein paar Wochen zu arbeiten.

Sind die BRIEFS-Skateboards ein teurer Merchandise-Artikel oder riskiert ihr tatsächlich eure Gesundheit auf den Dingern?
Daniel:
Skateboarden ist absolut gesund!
Steve: Runterfallen und wieder aufzustehen bedeutet, dass du gute Knochen hast und im Herzen jung geblieben bist. Es bedeutet, dass du jeden Stein, den dir das Leben in den Weg legt, umfahren kannst. Und es bedeutet, dass du kein kleines Mädchen mehr bist.

Bei dem Blind Date, das wir letztes Jahr mit Daniel und eurem Schlagzeuger Chris machten, kam Chris’ vom Rest der Band wohl nicht gern gesehene große Liebe zu den SMITHS zum Vorschein. Gibt’s noch mehr Favoriten einzelner Briefs, die die anderen an seinem Verstand zweifeln lassen?
Daniel:
Witzigerweise haben wir Anfang des Jahres in Los Angeles gespielt und Morrissey kam vorbei, um uns zu sehen. Er kam in dem Moment, bevor wir auf die Bühne gingen, mit je einem Bodyguard an jeder Seite, setzte sich in die VIP-Sektion des Clubs und hat sich die ganze Show angeguckt. Sogar die Zugaben. Und dann ist er direkt gegangen, als wir fertig waren. Das war eigenartig und es gruselt mich. Aber Chris fand es klasse.
Steve: Das war super gruselig. Aber ich kann zum Beispiel FUGAZI nicht ausstehen und die werden auch ständig in unserem Van gespielt. Keine große Sache, man entwickelt eine Toleranz für solche Dinge.