Der rote Kanister kommt direkt aus dem Süden: München ist die Heimat des engagierten Labels red.can.records, das zuletzt mit Veröffentlichungen der Stuttgarter Post-Surfrock-Combo ARE WE ELECTRIC? und der Münchner Emo-Rocker PURREN auf sich aufmerksam machte. Vor allem aber besticht red.can durch die aufwändige und schöne Aufmachung seiner Releases, bei denen künstlerische Handarbeit gegen industrielle Schnellproduktion gesetzt wird. Wir besuchten Label-Macher Bernd Hofmann (30) in seinem Büro und sprachen mit ihm über Vinyl-Träume, die Probleme von Indie-Labels und warum es sich lohnt, viel Energie für die richtige Sache aufzuwenden.
Ihr presst eure Veröffentlichungen auf durchsichtiges oder farbiges Vinyl und steckt es in handbedruckte Siebdruck-Cover oder transparente Hüllen – das ist ja ein ganz schöner Aufwand für ein kleines Musiklabel!
„Ja, aber genau darum geht es. Das Artwork und die äußere Form ist bei uns ebenso wichtig wie die Musik. Ich bin der Meinung, dass unsere Bands es verdient haben, wahrgenommen und gehört zu werden. Ich versuche eben als Label, meinen Beitrag dazu zu leisten, indem ich schöne Veröffentlichungen mache, die aus der Masse herausstechen.“
Wo sticht das denn optisch ins Auge? Immerhin bestellen immer mehr Menschen über Mailorder im Internet, weil es da billiger ist.
„Die Mund-zu-Mund-Propaganda macht eine Menge aus. Allerdings ist das ein Prozess, der mehrere Jahre dauern kann. Zum anderen ist es aber auch so, dass du stärker wahrgenommen wirst, wenn du deine Sachen an Zeitschriften zum Rezensieren schickst, weil man sich eben die Mühe gemacht hat mit dem Artwork. Sei es ein Siebdruck-Cover oder ein Cover, das inklusive der Platte komplett transparent daherkommt. Und allein die Tatsache, dass wir normalerweise ausschließlich auf Vinyl veröffentlichen beziehungsweise mit einer CD, die der Platte beiliegt, findet viel Aufmerksamkeit.“
Aber ist es nicht so, dass die meisten Leute mittlerweile CDs kaufen?
„Da kann ich nicht zustimmen. Wir haben die Platte von ARE WE ELECTRIC? sowohl auf Vinyl als auch separat als CD veröffentlicht und müssen feststellen, dass sich die CD fast gar nicht verkauft, das Vinyl aber schon. Und das beim gleichen Preis. Gerade im Bereich Indie- und Gitarrenmusik ist sowieso ein Interesse an Vinyl vorhanden, und die CD als Medium hat einfach ihre große Zeit hinter sich. Viele haben gemerkt, dass das ein sehr beliebiges Ding ist, bei dem das Artwork immer sehr, sehr klein und kaum zu fassen, geschweige denn zu lesen ist. Und da entdecken eben immer mehr die Liebe zum Vinyl und zum Artwork, das man in der Hand halten kann. Außerdem ist die Auseinandersetzung mit einer Platte einfach größer als bei einer CD. Schon allein dadurch, dass man eine Platte umdrehen muss, beschäftigst du dich damit, was auf der ersten Seite und was auf der zweiten Seite ist. Du hörst eine Platte von vorne bis hinten durch, im Gegensatz zur CD, wo du dir die Reihenfolge der Lieder beliebig zusammenstellen kannst. Eine Band denkt sich ja auch meistens was beim Aufbau ihrer Songs und ihrer Tracklist. Und von daher wird Vinyl der Musik besser gerecht.“
Das kostet aber auch eine Menge in der Produktion und das ist doch gerade für ein kleines Label ein wichtiger Faktor.
„Unser Vertriebsmensch hat gesagt, dass die Waage zwischen Idealismus und Wirtschaftlichkeit im Gleichgewicht sein muss. Das fällt bei uns natürlich schwer, weil die Vinyl-Produktion tatsächlich um ein Viertel, wenn nicht sogar ein Drittel teurer ist, als eine CD-Produktion. Und trotzdem denke ich, dass das Sinn macht. Und ich weiß nicht, ob es mit CDs im Moment leichter wäre. Bei unseren Auflagen von 500 Stück, und vielleicht auch mal drüber, spielt es erst mal keine große Rolle, ob du für Vinyl ein paar hundert Euro mehr zahlst. Dass wir Geld verdienen, ist ja so oder so noch ein gutes Stück entfernt.“
Zum Geld verdienen braucht man ja auch einen anständigen Vertrieb.
„Da sieht es bei uns inzwischen etwas besser aus. Die CD von ARE WE ELECTRIC? haben wir über Swamp-Room im Vertrieb und die beiden neuen Vinyl-Veröffentlichungen, also PURREN und ARE WE ELECTRIC?, werden jetzt über Broken Silence vertrieben. Das ist ein Vertrieb von drei ehemaligen EFA-Mitarbeitern, die sich seit Mai um 15 bis 20 kleinere Indie-Labels aus Deutschland kümmern – unter anderem das Münchner Label Gutfeeling. Und da sind wir schon froh, weil die Vertriebssituation wahnsinnig schwierig ist.“
Wo liegt denn das Problem?
„Es gibt sehr viele Vertriebe in Deutschland, tatsächlich mehr, als man glaubt. Aber es ist schwierig, einen Laden zu finden, der musikalisch vertritt, was man produziert und dann noch an einem kleinen Label Interesse hat. Wir arbeiten mit Auflagen von 500 Stück, was für einen Vertrieb wirtschaftlich kaum interessant ist. Dazu kommen dann viele andere Hürden, die dir zur Auflage gemacht werden. Also Werbung schalten, viele Rezensionen bekommen, die Bands ständig auf Tour haben. Gerade das ist im Moment nicht gerade einfach, weil die Leute überall weniger zu Konzerten gehen, und es sehr viele Bands gerade im Gitarrenbereich gibt, die Konzerte spielen wollen. Dementsprechend tut man sich schwer, die Bands irgendwo unterzubringen.“
Dabei habt ihr ja auch bekannte Namen im Katalog. Immerhin hat red.can doch eine 7“ zum zehnjährigen Bestehen der US-Band FLUF gemacht.
„Das kam, weil ich die Band seit vielen Jahren schätze, liebe und verehre. Und da ich sie 1999 in den USA auch persönlich kennen gelernt habe, ist mir dann Anfang 2002 eines Abends beim Einschlafen die Idee gekommen: Wie wäre es eigentlich, wenn man von einer seiner Lieblings-Bands eine Single herausbringt? Ich habe dann die Jungs angesprochen und sie haben mir nach ein wenig Bedenkzeit zwei Songs eingespielt. Josh, der Bassist, hat das Artwork dazu gemacht, und das alles ist dann zum zehnjährigen Bestehen der Band exklusiv bei red.can veröffentlicht worden. 100 Stück davon gab es in den USA, den Rest bei uns. Die Resonanz war leider sehr gering, wir haben hier vielleicht 100 Stück verkauft.“
Was für Bands sind seitdem bei red.can dazugekommen?
„Es ging dann bald weiter mit den Münchnern JAKOV GOODNIGHT, die schon während der FLUF-Produktion bei mir nachfragten, ob ich etwas mit ihnen machen würde. Und da ich die Band zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre kannte und mochte, ist dann die sehr schöne 12“ mit sechs Songs entstanden. Dann kamen PURREN – auch eine Münchner Band und schon beinahe eine Inzest-Geschichte, weil zwei Bandmitglieder Brüder von JAKOV-Leuten sind. Bei PURREN war es so, dass die eigentlich woanders veröffentlichen sollten. Das Album war samt Artwork schon fertig, doch dann sind sie über viele Umwege erfreulicherweise bei mir gelandet. Auf das Album haben wir auch bislang die beste Resonanz bekommen. Zeitgleich mit PURREN habe ich dann auch noch ARE WE ELECTRIC? gemacht.“
Und was kommt als nächstes?
„Es gibt zurzeit mehrere Optionen. Zum einen ist da die Münchner Band SUBROSA von den Brüdern Hugo und David da Cruz. Letzterer spielte bereits bei den fantastischen Bands EISCORN und COUNT DRACULA. Dann gibt es MITOTE, eine deutschsprachige Punkband aus München, sowie ein dreiköpfiges Video-Sound-Projekt namens ORANGE A TROIS.“
Willst du denn irgendwann mal von deinem Label leben?
„Sollte ich mal diese Illusion ansatzweise gehabt haben, habe ich sie beerdigt. Man muss wahnsinnig große Stückzahlen verkaufen, um überhaupt mal Geld damit zu verdienen. Also mindestens 2.000 bis 3.000 Stück von einem Release. Und dann brauchst du auch eine gewisse Regelmäßigkeit - wir haben bei uns bisher zwei Veröffentlichungen im Jahr ...“
Du bist Schreiner und studierst nebenher an der Akademie der Bildenden Künste in München. Siehst du dein Label, das ja unter dem Slogan „We do records and art“ läuft, auch als Teil des Kunststudiums?
„Richtig. Es ist allerdings schwierig, den Leuten dort vor Ort das als Kunst zu verkaufen. Das geht am ehesten noch als Konzept-Kunst, beziehungsweise als konzeptionelle Arbeit durch, und so war es anfangs auch angelegt. Also verbunden mit Siebdruck, der ja auch bei den Covern, Stickern oder Plakaten, die ich mache, zum Tragen kommt. Aber es ist sehr schwierig, das als künstlerische Arbeit zu vermitteln und ich bin mal neugierig, ob ich dort red.can letztendlich als Diplomarbeit präsentieren darf.“
Hast du denn einen Punk-Background, oder woher kommt deine Begeisterung für D.I.Y.?
„Als Punk würde ich mich nicht bezeichnen. Aber es geht darum, Sachen in die Hand zu nehmen und sich ein wenig den Gesetzmäßigkeiten von Markt und Konsum zu entziehen. Also etwas dagegen zu steuern.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #56 September/Oktober/November 2004 und Alex von Streit