VOM RITCHIE

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Vom, erst mal die Basics.

Geboren wurde ich 1964 in Billericay, wie in ‚Billericay Dickie’, dem Ian Dury-Song. Ich heiße Vom, und derzeit spiele ich Schlagzeug für die TOTEN HOSEN, THE BOYS und TV SMITH, und wer mich sonst noch will.

Wann hat Punkrock für dich begonnen?

1976, als ich diese Doku auf Thames Television gesehen habe, bei der Janet Street-Porter die SEX PISTOLS interviewt hat, in so einem besetzten Haus. Die zeigten dann auch Liveaufnahmen von Konzerten, und ich war begeistert. Das war noch bevor ‚God save the queen’ erschienen war. Mit meinem Freund Paul Smith, der im Haus gegenüber wohnte und später in einer Band namens THE EARAIDS spielte, hörte ich dann die ganzen neuen Platten, denn ich hatte kein Geld, konnte mir nicht mal Singles kaufen, doch Paul hatte alle. Und selbst wenn ich Geld gehabt hätte, hätte meine Mutter sicher die Platten kaputt gehauen, was sie dann später auch getan hat, haha. Und meine Poster hat sie auch von der Wand gerissen, und meine T-Shirts zerrissen – sie hat sich eben Sorgen um mich gemacht. Die erste Platte, die mich damals so richtig weggeblasen hat, war ‚Moving targets’ von PENETRATION. Ich lernte die ganzen Bands vor allem über Paul kennen, denn im Radio lief außer bei John Peel nichts brauchbares, aber bei Peel konnte man immer neue Sachen entdecken.

Wo hast du damals gewohnt?

In Stanford-le-Hope in Essex, und da war man so ziemlich abgeschnitten von allem. Es gab nur drei oder vier Punks in der Stadt, und als erstes lernten wir damals schnell zu rennen. Ich war schon immer so eine kleine Rotznase gewesen, meine Mutter nannte mich ‚Scruff’, meine Freunde sagten ich sei ‚scruffy’, und da passte es einfach zu mir, Punk zu werden. Ein Freund gab mir dann seine Bondage-Hosen, aus denen er rausgewachsen war, und so ging es los. Auf einem Flohmarkt habe ich dann für 15 Pence mein zweites Paar gekauft, und die habe ich heute noch, die trage ich bei HOSEN-Konzerten. Recht bald fing ich dann an, nach London auf Konzerte zu fahren, im Marquee oder Electric Ballroom, wobei ich meinen Eltern natürlich nicht sagte, wo ich hinging.

Und du bist ohne Probleme in die Clubs reingekommen?

Na ja, es war nicht immer einfach. Beim Marquee haben sie mich mal rausgeschmissen, da musste ich dann hintenrum. So ein Typ, den ich heute noch kenne und der später Roadie bei DOCTOR & THE MEDICS war, war Türsteher am Hintereingang und für ein paar Kröten hat er mich dann reingelassen. So lief das oft. Beim Electric Ballroom ließen mich nette Türsteher dann auch mal so rein, mit der Warnung, bloß nicht in die Nähe der Bar zu gehen, und was habe ich gemacht? Bin natürlich direkt an die Bar gegangen. Und ich muss sagen, ich habe keinen einzigen Gig verpasst, ich kam immer irgendwie rein.

Waren die Shows damals eigentlich gewalttätig?

So ab 1978 und bis 1980 gab es immer mal wieder Raufereien auf Konzerten. Schlimmer waren die Security-Typen, die wurden jedes Jahr übler und haben Leute einfach zum Spaß verprügelt. Und dann war da noch das wachsende Skinhead-Problem. Ich kann kaum glauben, dass ich mich heute mit so vielen Skinheads so gut verstehe. Früher bin ich vor denen immer davongerannt, und deshalb hatte ich Anfang der Achtziger auch keine Lust auf die ganzen Oi!-Bands – die entdecke ich heute für mich wieder. Du konntest damals gar nicht zu diesen Konzerten gehen, die hätten die Scheiße aus dir rausgeprügelt. Damals bestand die Skinheadszene aber auch zu einem guten Teil aus Leuten, die nur Spaß daran hatten, Punks die Straße entlang zu jagen und für die die Musik nur zweitrangig war.

Und wann hast du angefangen Schlagzeug zu spielen?

Mit 13. Und mit 13 habe ich auch mein erstes Konzert gespielt und war auch schon auf Tour. Das war mit so einer Cover-Band, die BEATLES- und ROLLING STONES-Songs spielte, und eine Punkband, die MIRACLE BABIES, hatte ich auch schon. Mit der Coverband verdiente ich damals schon richtig Geld, mit der Punkband natürlich nicht. Tja, so fing das damals an, was anderes habe ich nie so recht gelernt und so trommle ich heute noch.

Du hast nie einen „richtigen“ Job gelernt?

Na ja, ich habe ein Jahr lang in London für eine Versicherung gearbeitet. Meine Mutter hatte mich dazu genötigt. Nach der Schule bin ich dann erstmal aufs College gegangen, obwohl ich dazu auch keine Lust hatte, doch so hatte ich zumindest Zeit auf Tour zu gehen. Und plötzlich hatte ich da ein Diplom in Wirtschaftswissenschaft, haha, doch das Letzte, worauf ich Lust hatte, war ein Job in dieser Richtung. Aber ich wohnte Zuhause, hatte kein Geld für eine eigene Wohnung, und so fügte ich mich eben dem Drängen meiner Mutter. Es war schrecklich, ich hielt ein Jahr durch, und dann war ich auch schon bei DOCTOR & THE MEDICS und es ging los. Das war 1982, glaube ich.

Erzähl! Ich denke, jeder wird zumindest den Hit „Spirit in the sky“ kennen, der im Original ja von Norman Greenbaum ist.

Die Band gab es, als ich einstieg, schon ein Jahr oder so. Die Band war damals so eine ganz eigene Mischung aus Hippie und Punk, und schon vor dem Hit haben wir bis zu 200 Konzerte im Jahr gespielt und hatten auch eine große Punk-Anhängerschaft. Mit dem Hit ging dann alles schief: Wir verloren unsere Punk-Fans, stattdessen tauchten kreischende Teenie-Mädchen bei den Konzerten auf, und als der Hit nicht mehr in den Charts war, kamen auch die Teenies nicht mehr und wir hatten ein Problem. Von dem Hit hat sich die Band nie wieder erholt, das Album war schrecklich gemischt.

Und ich dachte, mit so einem Hit hat man das große Los gezogen.

Ja, für fünf Minuten. Wir hatten aber plötzlich keine Kontrolle mehr darüber, was passierte, hatten einen beschissenen Plattenvertrag, und nicht mal ein Jahr nach einer Nummer 1-Single stand ich dann in der Schlange vor dem Arbeitsamt und musste mir Sprüche anhören, ob ich echt der Typ aus dem Fernsehen sei. Das war so richtig scheiße.

Und wer hat sich das ganze Geld eingesteckt?

Das weiß ich bis heute nicht. Wir haben zwei Alben und zehn Singles gemacht, und dafür habe ich nie auch nur einen Penny gesehen. Und das, obwohl ich Co-Autor der B-Seite von „Spirit in the sky“ und von zwei Alben war ...

Wie alt warst du damals?

Der Hit, das war 1985. Also war ich 21. Meinen Vertrag hatte ich unterschrieben, da war ich noch nicht ganz 18, deshalb mussten wir den etwas vordatieren. Das war alles eine seltsame Situation.

Was hat deine Mutter gesagt, als du plötzlich in den Charts und im Fernsehen warst?


Da war sie natürlich sehr stolz, und sie ist es heute noch.

Wie ging es nach DOCTOR & THE MEDICS weiter?

Die späten 80er und frühen 90er waren eine schreckliche Zeit für mich. Ich musste mein Haus in England aufgeben, weil ich die Miete nicht mehr bezahlen konnte, meine Eltern machten wir Vorwürfe, wenn wir uns sahen, meinten, ich solle mir endlich einen Job suchen und so weiter - na ja, sie machten sich eben Sorgen um mich. Ich hatte in der Zeit natürlich die eine oder andere Band, die CRY BABYS, machte in Paris eine Platte mit Stiv Bators, spielte bei THE LAST OF THE TEENAGE IDOLS, einer Glamrock-Band, spielte zusammen mit Glen Matlock, John Plain und Casino Steel von den BOYS bei einem Ian Hunter-Album mit, war mit 999 auf Tour.

Wie war das damals für dich, die ganzen Leute zu treffen und mit ihnen zu spielen, die du als Punk-Kid ja wohl richtig angehimmelt hast?


Ich bin auch heute noch ein richtiger Musikfan, und ich bin immer noch nervös, wenn ich Leute treffe, die in Bands spielen, auch wenn die eigentlich viel weniger bekannt sind als die, in der ich heute spiele. Ich habe mich selbst noch nie als ‚Star’ gesehen, ich bin einfach Fan. Und so bin ich heute zwar auch noch aufgeregt, wenn ich bekannte Musiker treffe, aber das hat sich über die Jahre schon etwas reduziert. Ich habe auch schon Leute in so seltsamen Situation getroffen. Zum Beispiel als ich die BOYS bzw. YOBS in der Philipshalle in Düsseldorf wieder getroffen habe. Da war ich gerade von der Arbeit in Köln zurückgekehrt – ich arbeitete da auf dem Bau, als die den Cinedom gebaut haben – und meine damalige Freundin Monique wartete schon vor dem Haus auf mich und faselte was davon, ich müsste jetzt sofort zur Philipshalle zu den TOTEN HOSEN und den YOBS, da seien 10.000 Leute, die warteten auf mich. Also stieg ich ins Taxi, ging direkt auf die Bühne zum Soundcheck und trommelte los. Und danach musste ich dann auf dem Boden hockend mal eben zwölf Songs lernen, in doppelter Geschwindigkeit, weil wir in 20 Minuten auf die Bühne mussten. Auf der Bühne klappte es dann leidlich – nur beachteten die mich überhaupt nicht, ich musste schauen, dass ich irgendwie klar kam und schwitzte wie Sau. An diesem Abend sah mich dann auch Campi das erste Mal spielen und war begeistert.

Wo hattest du zum ersten Mal was von den TOTEN HOSEN gehört?

Ha, das war auch so ein Zufall: 1984 hatten wir mit DOCTOR & THE MEDICS unseren ersten Fernsehauftritt in ‚Old Grey Whistle Test’. Und in dieser Sendung wurde das erste Mal überhaupt ein Clip der TOTEN HOSEN – ‚Liebesspieler‘ war das – im englischen Fernsehen gezeigt, und es waren auch noch die einzigen beiden Bands überhaupt in der Sendung. Und dann verschlägt es mich Jahre später nach Düsseldorf und ich spiele dann sogar bei dieser Band – das ist doch bizarr, oder? Aber wo war ich stehen geblieben? Ach so, berühmte Leute. Na ja, also nach und nach lernte ich eben immer mehr Leute kennen und war dann auch nicht mehr so nervös, die Leute hatten für mich dann nicht mehr diese Aura. Die einzige Ausnahme: Debbie Harry! Als ich mit Stiv Bators rumhing, hatte der eine Verabredung zum Essen mit ihr, und ich sollte mitkommen. Ich konnte mich kaum bewegen, so zitterten mir die Knie! Als wir dann da hinkamen, kam sie gar nicht, sondern ‚nur’ Chris Stein saß da. Und trotzdem zitterten meine Knie. Und später dann war ich mit Kris von den GODFATHERS in einer Band namens THE BROTHERLAND, und wir hatten ein Konzert zusammen mit BLONDIE. Und als ich sie dann wirklich sah, zitterten mir wirklich die Knie, und ich hatte so viel Schiss, dass ich sie nicht mal angesprochen habe. Ich habe mir aber vorgenommen, in Zukunft wirklich immer gleich mit den Leuten zu sprechen, denn ich hatte mehrfach die Gelegenheit, Joe Strummer anzusprechen, tat es aber nie – und jetzt ist er tot. Mein Alptraum ist eben, dass man von solchen Leuten so ein bestimmtes Bild hat, und das möchte man dann nicht gefährden, in dem man sie anspricht und sie womöglich unfreundlich darauf reagieren und damit dieses Bild zerstören. Allein dieser Gedanke macht mich schon verrückt, und etwa Debbie Harry blöde stotternd gegenüber zu stehen, das geht einfach nicht. Johnny Rotten ist auch so jemand, der mich nervös macht, den habe ich auch noch direkt nie getroffen, aber er ist schon mal an mir vorbei gelaufen, schaute mich an, zeigte mir mit zwei Fingern das Fuck Off!-Zeichen und lachte los ‚Fuckin‘ shit haircut, fuckin‘ shit haircut!’. Tja, das war alles, was er zu mir gesagt hat ...

Hattest du damals schon den Haarschnitt, den du heute hast?

Nein, er war schlimmer, haha. Ich war den ganzen Tag am Strand gewesen und meine Haare waren ganz lockig und komisch abstehend. Und ich muss sagen, Mr. Rotten: It was a fuckin‘ shit haircut!

Du hast auch mal eine Weile in New York gelebt.

Das war 1990. Ich war da, um mit Kris Dollimore von den GODFATHERS und Stiv Bators auf Tour zu gehen, nachdem wir in Paris eine Platte aufgenommen hatten. Sam Yaffa von den HANOI ROCKS sollte Bass spielen, Stiv hatte alles organisiert und wir warteten nur darauf, dass es endlich losgeht. Ich schlief jede Nacht auf einem anderen Sofa, und eine Nachts war ich bei Freunden, als das Telefon klingelte und der Anrufbeantworter anging. Und wir hörten das dann ab und dann war da die Nachricht drauf, Stiv Bators sei in Paris auf dem Nachhauseweg vom Studio von einem Auto angefahren worden, dann zwar nach Hause gegangen, aber dort später gestorben. Wir saßen da, wir konnten es überhaupt nicht glauben. Wir riefen dann Stivs Freundin Carol in Paris an und sie bestätigte alles, sie war natürlich ganz hysterisch. Und klar, die ganzen Aufnahmen waren damit gestorben. Und ich war in New York und hatte kein Geld mehr und wurde doch deutlich darauf hingewiesen, dass ich mir dringend das Geld für den Flug nach England besorgen sollte, sonst würde ich nie wieder in die USA einreisen können. Also rief ich meinen Vater an und der zahlte das Ticket. Na ja. Aber die Zeit in New York an sich war cool, ich spielte da mal mit einem Typen, dessen Band SCHOOL OF VIOLENCE hieß. Ich hatte da eine Kleinanzeige in der Village Voice aufgegeben, ‚Famous mad English drummer requires band. No wankers!’ – und schon bei der Aufnahme wünschte mir die Dame viel Glück damit. Dann rief mich dieser Typ an, wir verabredeten uns, ich fahre da völlig abgebrannt mit dem Bus hin und schon beim Aussteigen sehe ich diesen Typen, mit einem riesigen Iro, Bart und zwei Dobermännern neben sich, mit riesigen Nietenhalsbändern. Niemand also, dem man im Dunkeln begegnen will. Er erwies sich dann als supernetter Typ, wir spielten auch zusammen, aber wir gaben nie ein Konzert und ich flog nach England zurück, bevor da richtig was daraus wurde.

Du wirst immer wieder mit den BOYS bzw. YOBS in Verbindung gebracht. Wie hat sich das ergeben?

Das erste Mal traf ich sie bei der HOSEN-Show, von der ich vorhin erzählt habe. In England hatte ich die nie getroffen.

Und wie bist du überhaupt nach Deutschland gekommen?

Ich war mit THE BROTHERLAND auf Tour, lernte Monique kennen und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe sie dann immer wieder besucht, jeder Besuch war länger, und so hatte ich mir dann einen Job gesucht, eben beim Bau dieses Kinos in Köln. Und dann passierte diese Sache mit den YOBS. Zu dieser Zeit rief mich dann John von den BOYS an, lud mich ein, bei den CRY BABYS zu spielen, und das tat ich auch. Wir tourten eine ganze Weile, aber das war finanziell ein Desaster und ich musste letztlich das Haus verkaufen, das wir zusammen gekauft hatten, und ich hatte dann noch 1.500 Pfund und ging nach Deutschland. Ich arbeitete dann noch eine Weile bei einem CD-Vertrieb, und ich spielte bei B BANG CIDER mit Monique und meiner jetzigen Frau Mary. Was die BOYS anbelangt, so fragten die mich, ob ich bei einer Reunion-Tour in Japan für sie Schlagzeug spielen würde, und natürlich wollte ich. Bis heute mache ich das Booking für die Jungs.

Und wie ging es weiter?

Als ich bei B BANG CIDER spielte, bekam ich den Anruf, ob ich auf dem Ian Hunter-Album spielen wolle, aber das hatte ich ja schon erzählt. Und kurz darauf war ich dann doch noch mal in Skandinavien mit den CRY BABYS auf Tour. Weil die englischen Fußball-Hools aber in Schweden eingefallen waren, machten alle Clubs zu und unsere Tour wurde gecancelt und wir saßen eine Woche in einer winzigen Fischerhütte an einem See. Und da passierte es: John meint, er wisse, wie man so ein Kanu rudert ... Das Ende vom Lied war, dass wir in voller Montur mit Creepers an, meinen Schlüsseln und allem in den Taschen gekentert sind. Daryl ist dann beinahe ersoffen, ich habe meine Schlüssel verloren, John versucht mit seinen bleischweren Creepers an Land zu schwimmen und wir haben es eben mal so geschafft. Auf der gleichen Tour in Finnland wollte mich ein schwarzer Amerikaner, den ich gar nicht kannte, auf der Straße erschießen – keine Ahnung warum. Ich konnte gerade noch in den Club flüchten und schiss mir vor Angst beinahe in die Hosen. Oder in Dänemark, auf einer anderen Tour, wurde ich auf der Bühne mal übel verprügelt, warum auch immer.

Dann sind wir ja beim interessantesten Thema angekommen ... Tom, die Zigaretten-Frage bitte.

Oh, ich glaube, ich muss jetzt gehen ...

Bring uns bitte auch noch Bier mit. Danke. Ja, also, es gibt da so ein Foto, auf dem du eine brennende Zigarette unter der Vorhaut stecken hast...

Okay, das ist eine coole Geschichte. Das war bei der Vorstellung des ersten Musik-Trivial Pursuit in London im HMV-Laden auf der Oxford Street. Da war jede Menge Prominenz, ich war mit Clive, dem ‚Doctor’ von DOCTOR & THE MEDICS da, und plötzlich sagt Richard, der Bassist der MEDICS zu mir, ich solle schnell wegrennen, da komme ein TV-Team, um mir eine Frage zu stellen. Und so verpisste ich mich auf die Toilette. Dort versuchte ein Fotograf, den ich kannte, gerade mit all seinen Kameras eine Hand zum Pissen frei zu bekommen, und so bat er mich, seine Zigarette zu halten, und ich, boing, steckte mir das Ding unter die Vorhaut. Nach dem Pissen will er die Kippe wieder haben, sieht mich – und drückt ab! Monate später kommt ein Bekannter in einem Club auf mich zu und meint, er könne noch gar nicht glauben, was für ein Foto er heute von mir gesehen habe - in einem Buch. Ich habe mir dann das Buch – es heißt ‚More sex and drugs and rock and roll’ – bei einem Freund ausgeliehen, der es sich aber auch nur geliehen hatte, und später wollte ich es dann zurückgeben und habe dafür herumtelefoniert, weil ich den Namen vergessen hatte. Dummerweise habe ich das Buch dann bei meinen Eltern neben dem Telefon liegen lassen, und natürlich musste mein Vater darin herumblättern und entdeckte sofort dieses Foto. Er meinte nur, ich solle das bloß nie meine Mutter sehen lassen.

Mehr davon.

Ein anderes Mal kam ich völlig auf Speed und sturzbesoffen auf eine Party, die sich nicht als die eines Freundes, sondern irgendeines Architekten herausstellte. Ich tauche da also auf, ein Pulle Wodka in der Hand, der tasmanische Teufel in Person. Und dann stand da eine Schüssel Oliven auf einem Tisch, und ich habe nichts besseres zu tun, als mir eine Olive nach der anderen unter die Vorhaut zu schieben, und plötzlich starrt mich der ganze Raum an, all diese Yuppies mit Champagnergläsern. Der DJ drehte die Musik ab, alles war plötzlich ruhig, und ich stehe da mit den Oliven unter der Vorhaut – und habe losgelassen und die Oliven in den Raum geschossen. Und dann ging die Musik wieder an, und diese Frau kommt auf mich zu und fragt, wo ich das denn gelernt hätte. Ich nahm meine Wodkaflasche und stürmte zur Tür hinaus.

Die BRIEFS, die ja ein paar Tage mit den TOTEN HOSEN auf Tour waren, haben da ganz ähnliche Storys erzählt. Die meinten, du wärst ja ein sehr netter Typ, aber manchmal ...


Oh, du meinst die Sache auf der Theke? Na ja, es war deren Merchandiser, der mir den ‚Hamburger’ zeigte: er hat seinen Schwanz und seine Eier irgendwie so verknotet, dass das dann wie ein verdammter Hamburger aussah, kein Witz! Und ich natürlich Hose runter, weil, das kann ich ja auch. Na ja, ich habe es zumindest versucht. Das war in der Bar von irgendeinem recht guten Hotel, und dieses ältere Ehepaar schaute uns völlig entgeistert zu.

Ich erinnere mich an eine Szene bei der Popkomm, als du und Tom Proctor, damals bei Cargo England, euch gegenseitig Sackhaare in die Nase gesteckt habt, vor allen Leuten ...
Oh ja, das hat ein paar Leute ziemlich geschockt, hehehe.


Aber du hast ja auch noch ein anderes Leben: Wir sitzen in deiner netten kleinen Kellerbar in einem Reihenhaus im Düsseldorfer Norden – und das ist doch eine andere Situation als noch vor zehn Jahren.


Ja, die Dinge haben sich geändert, und ich kann mich nicht beklagen. Ich bin verheiratet, habe ein Kind, mein Leben läuft erstmals recht glatt. Ich meine, ich hatte immer Spaß, aber ich war immer ziemlich arm, und das wird auf Dauer schon etwas, na ja, langweilig.

Apropos Kellerbar: Angeblich soll sich ja Robbie Williams als Gast angekündigt haben.

Ich habe im TOTEN HOSEN-Buch geschrieben: Robbie, du kannst ja mal in meiner Bar vorbeikommen, wenn du in Düsseldorf bist, denn ich wusste, dass er ein Exemplar des Buches bekommt. Als wir dann neulich bei der Echo-Verleihung waren, lief ich backstage an seiner Garderobe vorbei und er sah mich und meinte, ich solle mal reinkommen. Er stand da in seinen Unterhosen, bedankte sich für das Buch und meinte, er würde ja echt mal schauen müssen, dass er in meiner Bar vorbeikommt. Na ja, das wird er wohl eh nie tun, aber witzig wäre es ja doch.

Wir haben bisher noch nicht wirklich über die TOTEN HOSEN und deine Position da gesprochen.

Ich bin jetzt seit vier Jahren dabei und immer noch irgendwie der Neue, aber das ist schon okay. Die letzte Tour war phantastisch, es macht mir Spaß.

Anfangs war das ja für alle nicht einfach, denn obwohl du schon Schlagzeug gespielt hast, sah man auf Fotos immer noch Wöllie, der ja aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr spielen konnte.

Es war einfach eine Übergangsphase und für Wöllie nicht einfach, denn er war ja eine halbe Ewigkeit dabei. Ich und Wöllie sind heute gute Freunde, da gab und gibt es keine Probleme, und die HOSEN-Fans haben mich auch akzeptiert, und in der Band läuft es sowieso gut – ich könnte nicht glücklicher sein und wüsste nicht, was sich daran in der Zukunft ändern sollte.

In den Medien scheinst du dich ja eher zurück zu halten, da ist Campino der Mann, mit dem jeder reden will.


Klar, die wollen einfach alle mit Campi oder auch Andi und Breiti sprechen, und ich habe nur im Ausland mal ein paar Interviews auf Englisch gegeben. Aber ich hatte dafür so Aktionen, dass ich bei Charlotte Roche auf Viva einen Monat lang Gast war, und ich habe auch kein Problem damit Interviews zu geben, nur wollen eben fast alle Interviewer die Originalmitglieder sprechen.

Das gibt dir aber doch sicher auch mehr Freiheit, oder? Du kannst ja noch in einen Supermarkt gehen, ohne direkt von Fans umschwärmt zu werden.

Das stimmt, aber je länger ich in der Band bin, desto mehr wird man auch erkannt. Aber ich habe damit kein Problem, ich rede gerne mit Leuten, außer so richtig Besoffene, die mich nicht in Ruhe lassen.

Wie ist denn dein Einfluss auf die Musik der HOSEN? Ich meine, du kommst aus dem englischen Punkrock, wie bringst du dich da ein?


Also Campi hat ja auch diesen Background, aber ich denke, die TOTEN HOSEN sind heute keine klassische Punkband mehr. Ich selbst bin kein ‚technischer’ Schlagzeuger, also kein Metal-Drummer oder so, sondern ein ganz normaler Punk- und Rock-Drummer. Mein Einfluss ist das, was ich spiele. Ich glaube, die anderen in der Band wollen auch gar nicht so einen achtarmigen Superschlagzeuger. Wir kannten uns ja alle schon vor meinem Einstieg, wir mögen die gleiche Musik, haben ungefähr das gleiche Alter, und so passte das einfach. Es war irgendwie eine logische Entscheidung: Warum nach jemandem suchen, wenn man schon jemanden kennt. Und ich glaube, ihre einzige Sorge war mein Lebenswandel, denn die hatten mich ja schließlich oft genug gesehen, wie ich zu allen Tages- und Nachtzeiten aus irgendwelchen Kneipen getorkelt kam, und das konnte ich verstehen. Mittlerweile wissen sie, dass ich sie nicht hängen lasse und immer eine gute Show abliefere, und dass ich den Job nicht nur wegen des Geldes mache, sondern wirklich hinter dem stehe, was die Band macht.

Und wie ist das bei solchen Veranstaltungen wie der Echo-Preisverleihung, wird da erwartet, dass man sich auch ordentlich benimmt?

Oh no, I NEVER behave! Und so hatte ich natürlich im Vorfeld meine Eintrittskarte verloren, weil ich mit Wöllie schon vorher gesoffen hatte. Und so kamen wir da angetorkelt, waren schon beinahe am Eingang, als ich merkte, dass meine Karte weg ist. Ich war schon richtig verzweifelt, doch direkt vor dem Eingang fand ich dann eine neue Eintrittskarte – unglaublich! Aber schon klar, auf so einer Veranstaltung bringe ich so eine Olivennummer natürlich nicht – alles zu seiner Zeit. Und außerdem bin ich mit den Jahren ja auch etwas ruhiger geworden, haha. Solche Sachen wie die Echo-Verleihung sind natürlich immer eine seltsame Sache, da sind 99,9 % der Leute nicht wirklich aus unserer Szene, wobei ich sagen muss, dass die Musiker meist echt okay sind, nur eben die Leute um sie herum nicht.

Du hast hier im Haus gar kein Schlagzeug.

Nein, das ist im Proberaum. Hier habe ich nur ein Kinder-Schlagzeug für meinen Sohn Jez. Den Namen habe ich von Jez, dem einstigen Tourmanager von THE MISSION, ein supernetter Typ, mit dem ich mich auf Anhieb verstanden habe, als wir uns trafen. Wir haben uns dann ewig nicht mehr gesehen, und als ich in New York war, spielten THE MISSION, ich rief da an und ich ging zum Konzert. Er brachte an dem Abend dann mal wieder seine perfekte Robert Smith-Parodie, komplett mit Perücke und verstellter Stimme – das Publikum tobte, die hielten das zuerst für echt ... Wieder ein paar Jahre später sah ich ihn als Tourmanager von THE CURE in der Philipshalle, danach lange nicht mehr, wir bekamen dann das Kind und nannten es Jez. Als DEPECHE MODE dann vor einer Weile hier spielten, die ich auch von früher her kenne, unterhielt ich mich mit Martin Gore, wir kamen auf das Thema Kinder und ich sagte, mein Sohn heiße Jez und dass ich ihn nach diesem Typen benannt habe, der für THE MISSION und THE CURE gearbeitet habe. Und er meinte, der würde auch für sie arbeiten und sei heute Abend auch hier. Martin ging los, holte Jez, wir begrüßten uns stürmisch, und als ich ihm dann sagte, dass ich meinen Sohn nach ihm benannt habe, fing er beinahe an zu weinen und meinte, er müsse jetzt seine Mutter anrufen und ihr das erzählen. Martin Gore sagte, er werde darüber einen Song schreiben – ich hoffe, ich bekomme was von den Tantiemen ab, haha.

Vom, ich habe mir mal aus deinem Regal hier ganz wahllos ein paar CDs geholt und will dazu eine kurzen Kommentar von dir. Fangen wir an mit den
NEWTOWN NEUROTICS.


Eine brillante Band aus den Achtzigern, sehr politisch, sehr schöne, melodiöse Songs. Ich liebe sie.

POISON IDEA.

Was für eine Band – Pig Champion, das war ein Typ. Die sollen im Sommer auf Tour sein, ich freue mich darauf, sie zu sehen. Auf der Platte hier, ‚Pajama Party’, sind ein paar echt sehr gute Cover-Versionen enthalten.

PRODIGY.

Die mag ich auch, die haben eine sehr schön punkige Attitüde und gute Songs.

SUZI QUATRO.

Oh, Suzi Quatro, sex on legs! Wonderful! Als Kind lief ich die Straße entlang und sang ‚Can the can’. Brilliant Pop Rock Seventies Fun-Scheiße!

DAVID BOWIE.

Oh, ‚Hunky Dory’ von David Bowie, vielleicht mein liebstes Album überhaupt. Mit so grandiosen Songs wie ‚Oh you pretty thing’ oder ‚Life on Mars’. Ich war immer von dem Pianospiel fasziniert, das klingt, als ob da einfach jemand rumklimpert, und das gefiel mir, denn ich kann Musik nach Noten wie aus dem Lehrbuch überhaupt nicht leiden. Später fand ich dann heraus, dass Rick Wakeman das Piano spielt, und das so genial, das ist unglaublich.

BLONDIE.

Was soll ich sagen, die Platten sind wundervoll. Debbie Harry ist heute noch phantastisch, Chris Stein ist ein Genie. Clem Burke, ein Killer-Drummer, auf einem ganz kleinen Drumset.

TV Smith.

Das ist das neue Album, wir haben noch kein Label dafür, und es ist komplett fertig. TV Smith ist ein supernetter Typ, ich liebe ihn. Der hat hier im Haus sogar ein eigenes Zimmer. Und seine Freundin ist auch unglaublich, die sind seit Ewigkeiten zusammen und sie sieht heute beinahe besser aus als damals.

Vom, wir danken dir für das Interview.

Joachim Hiller, Tom van Laak

Foto: Joachim Hiller (S.33), sowie Vom Ritchies Archiv